Die SibylleB
Nur in den ersten Nächten des Frühlings
erregt der Gesang der Sibylle:
singt die Sibylle: „Wie unter
„Wie unter Tiburs Bäumen /, wenn da der Dichter sass
05 und unter Götterträumen
der Jahre Flucht vergass …“
erregt die dürren Gebirge zum Grünen.
Treibt den Nachbarn in die Hotelbar
zwischen langwimprige Blicke
10 und schlecht gerötete Lippen zu den Likören.
Mich regt sie auf, die rauhe, uralte,
sie selber zu suchen: Ich laufe
zum Tempel, sie hat sich in die Cella verborgen.
Der Mond aber strahlt jetzt erst
15 voll, die Hänge duften verderblich.
Die Droge wirkt jetzt erst am stärksten.
Mich erschrecken
Ruinen schon wieder, und Blüten
findet so üppig man sonst nur auf Gräbern:
20 ich laufe zu den Fällen Kaskaden,
sie überrauschen nicht die laute,
Stimme, die aus der Cella die sanfteste Strophe:
„Wo ihn die Ulme kühlte
und wo sie sanft und froh
25 um Silberblüten spielte
die Flut des Anio“
unerbittlich heiser und schrill in die Nacht schreit.
27.VIII. 57