Dienstag, 27 August 1957

Die Sibylle (B)

Nur in den ersten Nächten des Frühlings
erregt der Gesang der Sibylle:
„Wie unter Tiburs Bäumen, 
wenn da der Dichter sass 
05 und unter Götterträumen 
der Jahre Flucht vergass …“
die dürren Gebirge zum Grünen. 
Treibt den Nachbarn in die Hotelbar 
zwischen langwimprige Blicke 
10 und schlecht gerötete Lippen zu den Likören. 

Mich regt sie auf, die rauhe, uralte, 
sie selber zu suchen: Ich laufe 
zum Tempel, sie hat sich in die Cella verborgen. 
Der Mond aber strahlt jetzt erst 
15 voll, die Hänge duften verderblich. 
Die Droge wirkt jetzt erst am stärksten. 

Mich erschrecken 
Ruinen schon wieder, und Blüten // 02v
findet so üppig man sonst nur auf Gräbern:
20 ich laufe zu den Kaskaden, 
sie überrauschen nicht die 
Stimme, die aus der Cella die Strophe: 
„Wo ihn die Ulme kühlte 
und wo sie sanft und froh 
25 um Silberblüten spielte 
die Flut des Anio“
unerbittlich heiser und schrill in die Nacht schreit.


Blatt 02r (A-5-d_02_173.jpg)

Die SibylleB

Nur in den ersten Nächten des Frühlings

erregt der Gesang der Sibylle:
singt die Sibylle: „Wie unter

„Wie unter Tiburs Bäumen /, wenn da der Dichter sass

05 und unter Götterträumen 

der Jahre Flucht vergass …“

erregt die dürren Gebirge zum Grünen. 

Treibt den Nachbarn in die Hotelbar 

zwischen langwimprige Blicke 

10 und schlecht gerötete Lippen zu den Likören.

Mich regt sie auf, die rauhe, uralte, 

sie selber zu suchen: Ich laufe 

zum Tempel, sie hat sich in die Cella verborgen. 

Der Mond aber strahlt jetzt erst 

15 voll, die Hänge duften verderblich. 

Die Droge wirkt jetzt erst am stärksten.
 

Mich erschrecken 

Ruinen schon wieder, und Blüten

Blatt 02v (A-5-d_02_174.jpg)


findet so üppig man sonst nur auf Gräbern:

20 ich laufe zu den Fällen Kaskaden, 

sie überrauschen nicht die laute,

Stimme, die aus der Cella die sanfteste Strophe: 

„Wo ihn die Ulme kühlte 

und wo sie sanft und froh 

25 um Silberblüten spielte 

die Flut des Anio“

unerbittlich heiser und schrill in die Nacht schreit.

27.VIII. 57

 

  • Besonderes:

    Bräunliches Papier; Blatt beidseitig beschrieben

  • Letzter Druck: GEDICHTE 1960
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-d/02_025
  • Seite / Blatt: 02r/v

Inhalt: 89 Manuskripte und 11 Typoskripte zu 24 Gedichten und 2 szenischen Texten (2 Endfassungen)
Datierung: 27.11.1956 – 31.12.1957
Textträger:114 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Gedichttyposkripten und bräunliche Blätter
Umfang: 27 Dossiers, 192 beschriebene Seiten
Publikation: GEDICHTE (10), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-d/02 (Schachtel 37)
Herkunft: Mappe EG 57

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

Manuskripte 1957 (alph.)
(Total: 100 )
Manuskripte 1957 (Datum)
(Total: 100 )
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