Dienstag, 26 November 1957

Der Fisch und der versunkene Poseidon (B)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse; das Wasser 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf 
05 und ist schon, bevor er es nur 
begriff, verdunstet und nicht mehr da. 

Der Fisch aber war heute früh, 
als man ihn fing, 
(mit seinen Gedanken) gerade so weit gekommen: 

10 „Seit ich einmal hinaufstiess, gelockt 
von dem helleren Licht und der grösseren Wärme 
(von dort, heisst es, war 
vor langem der Riese, der Meteor 
herabgekommen und hatte viele getötet. // 03v
15 Seither liegt er, Seesterne 
im Ohr, da, Polypen 
auf der Brust; das Bild eines Hochfischs. Wie sehr 
quält mich, dass ich ihm nicht ähnlicher bin … .), 

seit ich einmal hinaufstiess, 
20 wo helleres Licht und grössere Wärme 
den Ort seines Eintritts bezeichnen, 
fürchte ich mich: Das Kühle, 
das Flüssige, was sich von selber versteht, 
war nicht mehr da. Mir erstarrten 
25 die Kiemen. Die Flossen 
fanden nicht wieder den sanften 
Widerstand des Allgemeinen, des Alls 
um sich fächelnd voranzubewegen … . 

Kam der Hochfisch von dort? 
30 Gehn wir dorthin und verlieren Kiemen und Flossen? 
Durch wieviele Tode? // 04r

Vor kurzem sank ein kleiner, ein dunkler, ein weicher 
Hochfisch herab auf den grossen weissen und harten: 
vielleicht eine Abart, 
35 schon geschwächt und verringert, 
weil es dort, jenseits, im Leeren, 
auf die Dauer zu leben unmöglich? 

Der Hochfisch war eine Übertreibung. 
Unten muss man bleiben und die durch Wärme und Licht 
40 verdächtigen Höhen vermeiden. 
Wohnen will ich von morgen 
ab in dem einen noch leeren 
Ohr des grossen Hochfischs. Dort ist 
die Erinnerung an das, was zu erforschen 
45 ich aufgab, noch eben ein Ansporn, 
besser zu werden, und zugleich eine Warnung // 04v
vor allem Zuviel. …“

Hier war der Fisch heute früh, 
gerade als man ihn fing. 
50 Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf 
und ist schon, bevor er es nur 
begriff, verdunstet und nicht mehr da.


Blatt 03r (A-5-d_02_144.jpg)

Der Fisch und der versunkene PoseidonB

Die Fischhändlerin leert

den Eimer aus auf die Strasse; das Wasser 

kommt gegen den heissen 

Asphalt der Strasse nicht auf 

und ist schon, bevorer
05 und ist schon, bevor  es nur 

begriff, nicht mehr da und verdunstet .und nicht mehr da. 


Der Fisch aber war heute früh, 

als man ihn fing, 

(mit seinen Gedanken) gerade so weit gekommen: 

10 „Seit ich einmal hinaufstiess, gelockt 

von dem helleren Licht und der grösseren Wärme 

(von dort, heisst es, war 

vor langem der Riese, der Hochfisch Meteor 

herabgekommen und hatte viele getötet. //

Blatt 03v (A-5-d_02_145.jpg)


15 Seither liegt er, Seesterne 

im Ohr, da, Polypen 

auf der Brust; das Bild eines Hochfischs. Wie sehr 

quält mich, dass ich ihm nicht ähnlicher bin … .),

seit ich einmal hinaufstiess, 

20 wo helleres Licht und grössere Wärme 

den Ort seines Eintritts bezeichnen, 

fürchte ich mich: Das Kühle, 

das Flüssige, was sich von selber versteht, 

war nicht mehr da. Mir erstarrten 

25 die Kiemen. Die Flossen 

fanden nicht wieder den sanften 

Wiederstand des Allgemeinen, des Alls 

um sich fächelnd voranzubewegen … .

Kam der Hochfisch von dort? 

30 Gehn wir dorthin und verlieren Kiemen und Flossen? 

Durch wieviele Tode? //

Blatt 04r (A-5-d_02_146.jpg)

Der Fisch und der versunkene PoseidonB2

Vor kurzem sank ein zweiter, ein kleiner, ein dunkler,

\ ein weicher 

Hochfisch herab auf dengrossen
Hochfisch herab auf den  weissen und harten: 

vielleicht eine Abart, schon geschwächt und verringert,

35 schon geschwächt und verringert, 

weil es dort, jenseits, im Leeren, 

auf die Dauer zu leben unmöglich?

Der Hochfisch war eine
Der Hochfisch war eine Übertreibung. 

Unten muss man bleiben und die durch Wärme und Licht 

40 verdächtigen Höhen vermeiden. 

Wohnen will ich von morgen 

ab in dem einen noch leeren Ohr des

Ohr des Hogrossen Hochfischs. Dort ist 

Dort ist die Erinnerung an das, was zu erforschen 

45 ich aufgab, noch eben ein Ansporn, 

besser zu werden, und zugleich eine Warnung //

Blatt 04v (A-5-d_02_147.jpg)


vor allem Zuviel. …“

Hier war der Fisch heute früh, 

gerade als man ihn fing. 

50 Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 

kommt gegen den heissen 

Asphalt der Strasse nicht auf 

und ist schon, bevor er es nur 

begriff, verdunstet und nicht mehr da.

20.XI. 57

 

  • Besonderes:

    Bräunliches Papier; Blätter beidseitig beschrieben

  • Letzter Druck: GEDICHTE 1960
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-d/02_021
  • Seite / Blatt: 03r/v, 04r/v

Inhalt: 89 Manuskripte und 11 Typoskripte zu 24 Gedichten und 2 szenischen Texten (2 Endfassungen)
Datierung: 27.11.1956 – 31.12.1957
Textträger:114 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Gedichttyposkripten und bräunliche Blätter
Umfang: 27 Dossiers, 192 beschriebene Seiten
Publikation: GEDICHTE (10), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-d/02 (Schachtel 37)
Herkunft: Mappe EG 57

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

Manuskripte 1957 (alph.)
(Total: 100 )
Manuskripte 1957 (Datum)
(Total: 100 )
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