Freitag, 23 August 1957

Der Fisch und der versunkene Poseidon (A)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse; das Wasser 
kommt nicht auf gegen den heissen Asphalt 
und ist schon, bevor er es nur 
05 begriff, nicht mehr da und verdunstet. – 

Der Fisch aber war heute früh, 
als man ihn fing, 
mit seinen Gedanken gerade so weit gekommen: 

„Seit ich einmal hinaufstiess, gelockt 
10 von höherem Glanz und grösserer Wärme 
(von dort, hiess es, war 
vor langem der Meteor, der Fremdstein, 
herabgekommen und hatte viele getötet. 
Seither liegt er, Seesterne // 01v
15 im Ohr, da, Polypen 
auf der Brust; das Bild eines Hochfischs. Wie sehr 
verzehrt uns Begier, ihm ähnlich zu werden …), 

seit ich einmal hinaufstiess, 
wo höherer Glanz und grössere Wärme 
20 mir den Ort seines Eintritts verhiessen, 
fürchte ich mich: Das Kühle 
das Flüssige, was sich von selber versteht, 
war nicht mehr da. Mir stockte 
die Bewegung der Kiemen. Die Flossen 
25 fanden nicht mehr den sanften 
Wiederstand des Allgemeinen, des Alls 
sich fächelnd voranzubewegen. … 

Kam der Hochfisch von dort? 
Gehn wir dahin und verlieren Kiemen und Flossen? 
30 Durch wieviele Tode? // 02r

Kürzlich sank ein zweiter, ein kleiner, ein dunkler, ein weicher 
Hochfisch herab auf den weissen und harten: 
Eine Abart, schon geschwächt und verringert, 
weil es dort, jenseits, im Leeren, 
35 zu leben unmöglich? 

Der Hochfisch war wohl nur eine Übertreibung. 
Hier muss man bleiben und die durch Wärme und Glanz 
verdächtigen Höhen vermeiden. 
Aber wohnen will ich ab morgen 
40 in dem einen noch leeren Ohr des grossen, 
des schönen Hochfischs. Dort ist die 
Erinnrung an das, was zu erforschen ich aufgab, noch eben 
ein Ansporn, besser zu werden und zugleich 
eine Warnung vor aller Ausschweifung. …“

45 Hier war der Fisch heute früh, gerade bevor man ihn fing. 
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf // 02v
und ist schon, bevor er es nur 
50 begriff, nicht mehr da und verdunstet.


Blatt 01r (A-5-d_02_140.jpg)

Der Fisch und
Der Fisch oder der versunkene PoseidonA

Die Fischhändlerin leert den Eimer schmutziges Wasser

\ aus auf die Strasse.

es ist

Die Fischhändlerin leert

den Wasser¿eEimer aus auf die Strasse; das Wasser 

kommt nicht auf gegen den heissen
kommt nicht auf gegen den glühenden Asphalt 

und ist schon, bevor er es nur 

05 begriff, nicht mehr da und verdunstet. – 

Der Fisch aber , der war gestern, heute früh, 

gerade

als man ihn fing, 

mit seinen Gedanken gerade so weit gekommen:
 

„Seit ich einmal hinaufstiess, gelockt 

10 von einer Stelle höherenm Glanzes und grösserer Wärme 

(von dort, hiess es, war 

irgend

vor langem einmal der Meteor, der Fremdstein, die fremde Koralle,

herabgekommen und hatte viele getötet. 

von den unseren viele getötet.

Seither Nun liegt er da, in den Seesterne //

Blatt 01v (A-5-d_02_141.jpg)

im Ohr
15 im Auge, da, Polypen 

auf der Brust; das Bild eines Hochfischs. Wie sehr 

Wie sehr verzehrt uns Begier, ihm ähnlich zu werden …),
 

seit ich einmal hinaufstiess, 

wo höherer Glanz und grössere Wärme 

mir den Ort seines
20 mir den Ort des¿ Eintritts verhiessen, 

fürchte ich mich: Das Kühle 

das Flüssige, was sich von selber versteht, 

war nicht mehr da. Mir stockte 

Nichts war da, mir stockte die Bewegung der Kiemen:

die Bewegung der Kiemen. Die Flossen 

25 fanden nicht mehr den sanften 

Wiederstand des Allgemeinen, des Alls 

sich fächelnd voranzubewegen. … 

Kam der Hochfisch von dort? 

Gehn wir dahin und verlieren Kiemen und Flossen? 

30 Durch wieviele Tode? //

Blatt 02r (A-5-d_02_142.jpg)

Der Fisch und der versunkene Poseidon2

Kürzlich sank
Kürzlich kam ein zweiter, ein kleiner, ein dunkler, ein weicher 

ein weicher Hochfisch herab auf den weissen und harten: 

Eine Abart, schon geschwächt und verringert, 

weil es dort, jenseits, im Leeren, 

35 zu leben unmöglich? 

Der Hochfisch war  wohl
Der Hochfisch war vielleicht nur eine Übertreibung. 

Hier muss man bleiben und die durch Wärme und Glanz 

verdächtigen Höhen vermeiden. 

Aber wohnen will ich ab morgen 

40 in dem einen noch leeren Ohr des toten grossen, 

des schönen Hochfischs. Dort ist die 

Erinnrung an das, was zu erforschen ich aufgab, noch eben 

ein Ansporn, besser zu werden undzugleich Warnung
ein Ansporn, besser zu werden und  eine Mahnung, vor aller

Ausschweifung

eine Warnung vor aller Ausschweifung. …“

45 Hier war der Fisch heute früh, als man gerade bevor man ihn fing. 

Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 

kommt nicht auf gegen den heissen 

Asphalt der Strasse nicht auf //

Blatt 02v (A-5-d_02_143.jpg)


und ist schon, bevor er es nur

begriff, nicht mehr da und verdunstet. [—]

23. VIII. 57

 

  • Besonderes:

    Bräunliches Papier; Blätter beidseitig beschrieben
    Vgl. Tagebuch, 21.12.57

  • Letzter Druck: GEDICHTE 1960
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-d/02_021
  • Seite / Blatt: 01r/v, 02r/v

Inhalt: 89 Manuskripte und 11 Typoskripte zu 24 Gedichten und 2 szenischen Texten (2 Endfassungen)
Datierung: 27.11.1956 – 31.12.1957
Textträger:114 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Gedichttyposkripten und bräunliche Blätter
Umfang: 27 Dossiers, 192 beschriebene Seiten
Publikation: GEDICHTE (10), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-d/02 (Schachtel 37)
Herkunft: Mappe EG 57

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

Manuskripte 1957 (alph.)
(Total: 100 )
Manuskripte 1957 (Datum)
(Total: 100 )
Suchen: Manuskripte 1957