Inhalt: 47 Typoskripte zu 43 Gedichten (16 Endfassungen) Kommentar: Dossier 8 Titelblatt: Kuno Raeber / LEERUNGSZEIT / GEDICHTE Wiedergabe: Edierte Texte
Datierung: 1959
Textträger: Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 51 Dossiers; Dossiers 6/7: Titellisten
Publikation: GEDICHTE (27 Gedichte)
Signatur: A-5-e/02 (Schachtel 38)
Herkunft: Grüne Mappe G 1959
Doss. 1-5 vermutlich für separate Publikation aussortiert
Doss. 6/7 Titellisten, Bleistift
Doss. 8 Titelblatt: LEERUNGSZEIT / GEDICHTE
Alle Gedichte unterzeichnet: Kuno Raeber, 1959
Gedichte mit Originaltyposkripten (dünnes, durchsichtiges Papier, gefaltet, schwaches Farbband): Nr. 9-11, 21-27
Blätter rechts oben mit Bleistiftkreuz markiert: Nr. 4, 5.
Das Grab haben sie heut
in Alexandrien geöffnet. Der Wind
treibt den Geruch
über die Pharen aufs Meer.
05 Ein Beet weht nach Cypern und weckt
den Hirten am Berggrab auf Kreta. Das Grab
haben sie heut in Alexandrien geöffnet. Sie stehlen,
sie tragen den Leichnam zum Meer.
Der Geruch verrät ihn den Inseln und schwillt
10 auf und bildet
und wölbt in der Adriabeuge Venedig.
Heilung eines Kranken und Rettung eines Schiffes in derselben Nacht
Nachtwandrer, wohin
willst du vorüber? –
Am Saum des Moors Schlaf
flieh ich vorüber aufs festere
05 Wasser: dort strandet
eben am Riff ein Schiff und ruft mich. –
So gib mir, Nachtwandrer, schnell
die Hand in das Moor Schlaf
heraus, gib mir deine Hand! –
Du hingst am Balken. Der Regen
hatte dein Bild
gelegt in den Lehm.
Du fielst in dein Bild.
Sie raste zwar zuerst, hielt aber
bald ein, beschämt vom Weiher, der
stets beschwichtigt, was ihm nahe kommt.
Sie raste, pfiff und nahm am Ende
05 an das Taumeln einer Blume, die
der Wind aus einem Garten hergeblasen, sank
in den unbewegten runden Weiher.
Du lässt dich, Stier,
zurücktreiben zur Säule und stehst
und senkst deine Hörner?
Die Hieroglyphen
05 glänzen über die ganze
Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.
Ich knie vor dir, Stier,
ich komme mit meinem
10 Gesicht ganz nah deiner Schnauze:
Packe mich, Stier, du sollst
dich nicht fürchten, nicht weichen.
Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
15 Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.
Ich vergesse dich, Stier,
ich vergass die Leute, die schreien.
Blut rinnt mir fern über den Schenkel.
20 Ich ziele, ich treffe, ich steche.
Du ziehst den weissen
Schleim über die Gedärme. Die Pferde
wechseln an jeder Ecke die Hufe.
Die Glocken rollen
05 klirrend über die Strassen. Die Wagen
stöhnen. Ein Vorhang
kracht nieder. Es bleibt
da und dort eine Qualle und
schnappt nach Wasser.
Die unveränderte
Sonne tropft in den Rinnstein.
Die Schwäne spreizen die Schwingen und torkeln
auf verkrümmten Stelzen davon.
05 Die Flaumfedern blinzeln, geblendet,
und schweben und sind
auf dem Sand eine Decke, die schwimmt,
übriggeblieben nach einem
unabsichtlichen Opfer.
Der Blitzstrahl
schmilzt das Bild. Ein Schatten
bleibt in der Nische.
Die Hühner picken verwundert. Der
05 Radfahrer bleibt wie gewöhnlich
an der Ecke. Er tritt
auf die Pedalen. Die Räder
drehen sich schnell und kommen
keinen Zentimeter vom Fleck.
10 Ein Blitz aus heiterem Himmel
schmolz das Bild. Und ein Schatten
blieb zurück in der Nische.
Das Grab haben sie heut
in Alexandrien geöffnet. Der Wind
treibt den Geruch
über die Pharen aufs Meer.
05 Ein Beet weht nach Cypern und weckt
den Hirten am Berggrab auf Kreta. Das Grab
haben sie heut in Alexandrien geöffnet. Sie stehlen,
sie tragen den Leichnam zum Meer.
Der Geruch verrät ihn den Inseln und schwillt
10 auf und bildet
und wölbt in der Adriabeuge Venedig.
Nachtwandrer, wohin
willst du vorüber? –
Am Saum des Moors Schlaf
flieh ich vorüber aufs festere
05 Wasser: dort strandet
eben am Riff ein Schiff und ruft mich. –
So gib mir, Nachtwandrer, schnell
die Hand in das Moor Schlaf
heraus, gib mir deine Hand! –
10 Nur mit dem Finger rührt er mich an und geht
schon schnell übers Meer. Doch ich sitze
geheilt im Morgen, der schnell
fährt. Und herein
fährt das Schiff, das der Wandrer im Fliehn
15 wegzog mit dem Finger vom Riff und, ein Spielzeug, herein
stiess in das Geschrei der
entgegenlaufenden Kinder.
Die Lagune stinkt.
Jeder Wellenschlag schwemmt
Kot an die Stufen von Santa Maria della Salute.
Die alte Frau im Motorboot hält sich
05 die Nase zu. Aber sie freut sich, dass die Paläste
einzustürzen beginnen.
So wird man den Leib des heiligen Markus
vielleicht wieder finden.
Die Kanoniker, die ihn bewahrten,
10 sind alle gestorben. Man hatte
kein Geld für neue, denen
sie ihr Geheimnis hätten weitergegeben.
Die Tauben
steigen vom Platz
auf und gurren und wundern
sich mit wirrem Flügeln, warum
05 einer, der nicht einmal Flügel
hat, nicht bleibt auf dem Platz und sie füttert.
Warum er steigt auf Gerüste und baut
Türme.
Sie bedenken nicht, dass für Maurer
10 Türme zu bauen sich lohnt, fehl
zu treten, zu stürzen. Am Schopf
fasst sie die Hand des Luftgängers,
des heiligen Markus und legt
sie sacht hin auf den Balken.
Ein Stein trifft den Spiegel. Du siehst dich,
geflügelter Löwe, im Spiegel.
Er bricht, und der Henker
bohrt dir das Holz in die Augen.
05 Es splittert. Er will
dir die Flügel abhacken. Das Eisen
schmilzt. Du brauchst nicht
zurück nach Venedig. Du bist
der geflügelte Löwe geblieben.
Das rostige Dampfboot rührt um
den Kanal und stößt vor sich her
die Melone und stößt sie
die Treppenstufen hinauf.
Du hingst am Balken. Der Regen
hatte dein Bild
gelegt in den Lehm.
Du fielst in dein Bild.
05 Doch der heilige Markus schickte ein kleines
Papierschiff über das Bild und
fing dich auf, und du kamst,
eben noch ehe,
vollgesogen, es sank,
10 heil aus dem Bild.
Der Motor liegt still.
Schaukeln und Rufe
vom Steg: man hat ihn gefunden!
Schaukeln und Rufe, Gestank der Fische, des gelben
05 Leichnams. Die Kapelle
ist hell und voll Rauch.
Keiner zieht den, der im Boot sitzt,
eben vorm Sinken heraus,
es sei denn der heilige Markus.
Wessen Flehn ihn aus dem Gewölk
05 aus Gewittern und mächtiger Täuschung
herzog, der griff auch die Lichthand
und stieg hinüber und ließ
sein Votivbild am Pfeiler.
Das Boot
10 versteht es nicht mehr und wühlt
die Wellen und schlägt, bis er fällt, an den Pfeiler.
Verdorrt liegt dahinter der Leichnam.
Die Hand
hält keinen mehr, alle ertrinken.
Der Leopard schläft am Fuss,
die Tänzerin dreht
auf der Spitze der Pyramide.
Die Falter, müde vom Spiel
05 über dem Gras, besuchen
die Tänzerin oben und lassen
sich fangen im Netz
auf der Spitze der Pyramide.
Der Leopard wacht auf, wenn das Gras
10 raschelt und wenn aus dem Netz
der gestürzten Tänzerin wehn, eine gelbe
Wolke, die Falter, besuchen
die Spitze der Pyramide.
Das Licht des Motorrads erschreckt
15 den Leoparden. Er läuft
hinter die Pyramide. Die Falter
taumeln ins Licht des Motorrads.
Dreht die Tänzerin hier? Die gelbe
Wolke schmilzt ins Licht des Motorrads.
20 Der Leopard schläft hinter der Pyramide.
Das Gras steht und die Tänzerin dreht
auf der Spitze der Pyramide.
Undenklich lang
liegt der Tag zurück, wo der Deckel
so schwer auf dem Topf
lag, dass der Bote
05 kaum von der Stelle
kam. Das Pedal war
eingerostet. Der Sack wurde nach jedem
Kasten schwerer. Der Mond
lud sein Lachen dazu.
10 Heut ist er trüb von der Grippe.
Der Bote gleitet zum Postamt.
Der Wind hat den Deckel vom Topf
geworfen, bewegt
die Speichen und wirft
15 einen Brief in den Teich. Was keiner
sieht und keinen bekümmert.
Als ob sie wieherte, als ob sie sich bäumte,
knirscht die Strassenbahn in den Schienen.
In die Quere kam ihr ein weisser
Sarg. Und die Kinder
05 singen und tragen
Kränze aus Leinwandblüten, aus
Glasperlen.
Ungestört singen und tragen die Kinder: Was macht schon
das Knirschen, ihnen, die auf ein
10 Wiehern warten und auf ein Sichbäumen?
Dann liefen sie weg und
liessen fallen die Kränze
und stehen den weissen
Sarg auf den Schienen. –
15 Doch kraftlos knirscht die Strassenbahn in den Schienen.
Die Wand besteht ganz aus Spiegeln.
Der Garten ist dunkel. Die Geier
streiten hoch in der Luft und lassen
Fetzen des Lamms
05 fallen auf die Blumen, die schlafen. Die heben
schreiend die Köpfe, wenn Kot-
tropfen sie ätzen. Im Garten-
haus besteht die Wand ganz aus Spiegeln.
Draussen der Garten ist dunkel.
Aus der einen
Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich warte auf Särge.
Der eine kam mit der Woge
05 heran, die Gebeine
schienen. Und seither
flieht der Vulkan und zieht mit sich fort
aus der Bucht seine Flamme.
Aus der einen
10 Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich warte auf Särge.
Mich blendet
der Schein der Gebeine. Flieht der Vulkan
ganz fort aus der Bucht und
15 zieht mit sich seine Flamme?
Aus der einen
Hand rinnt mir der Sand kalt in die andre,
ich fürchte die Särge.
Nur die weisse
Dezembersonne schliesst
den Lotos auf,
der auf dem Teich den Sommer über schlief.
05 Nur sie erschreckt ihn nicht,
weil Nebel
an ihr vorbeizieht und ihr Scheinen mildert.
Und sie steht tief und denkt mit schlechtem
Gewissen an die Pracht, den Saft,
10 den sie im Sommer reizte, Eitelkeit.
Der Lotos
geht ohne Lärm und ungesehn
von der Dezembersonne auf.
Und glücklich, weil er
15 ihr die Meinung Iiess, sie reize keinen
zu Pracht und Saft mehr und zur Eitelkeit.
Die Wagen stauen sich, die Beine
sind lahm unterm Rotlicht.
Mein Drachen steigt auf und verachtet.
Die Wagen und die gelähmten
05 Beine schauen ihm nach und möchten
ihn jagen. Bemerken
nicht, dass jetzt, wo es keiner
mehr hofft, wieder Grünlicht
ist, bleiben stehen.
Das Motorrad
wirft ihn ab in die Pfütze:
Meer, Meer. Der Rock
saugt sich voll mit hinter den Rand
05 fallender Sonne.
Die zerschlissnen
Gesichter werfen ihm in die Pfütze
Gelächter zu. Der Rock
saugt sich voll mit hinter den Rand
10 fallender Sonne.
Er liegt in der Pfütze, gluckst,
und eine Blase. Das Mädchen
trat im Sommer am Strand
auf die Qualle, wartete, bis er da war.
15 Das Motorrad
wirft ihn ab in die Pfütze. Das Mädchen, zerschlissen,
wirft ihm Gelächter zu, eine Kusshand. Er liegt
im braunen Wasser, gluckst, eine Blase:
Meer, Meer und hinter den Rand
20 taumelnde Sonne.
Der Pfeil schwirrt
und fährt entlang den Boulevard
und bleibt auf der Insel im Wipfel
der roten Platane.
05 Das Schwirren, das Seil
zieht entlang den Boulevard
den Autobus über die Brücke zur Insel:
Ich suche den Pfeil
im Wipfel der roten Platane.
10Die andern Bäume sind alle
noch grün. Und die Drachen
erreichen sie langsam
und hängen
träg in den Zweigen.
15 Mein Pfeil in der roten
Platane ist tot.
Der Autobus fuhr zu langsam.
Der Schnee begann gestern abend zu schmelzen. Ich sitze
da in der Gosse, die Wagen
spritzen mich an. Die Leute
fahren vom Theater nachhaus. Und mir
05 fliegt vom Baum die Zikade,
die kein anderer sah,
herab in die offene Hand und
singt, solang ich es will.
Das Theater ist lange geschlossen. Ich sitze
10 in der Gosse und halte
ausgestreckt meine Hand, sie wird nicht
müde: es singt
meine Zikade.
Jenseits der Kommoden, bedeckt
von vergilbten Zeitungen, jenseits
der Spinnweben am Ende
des Gangs liegt der Garten. Die Blumen
05 sind verdorrt. Die
Sandfläche, jenseits
des Säulengeländers, ist feucht. Aus
den Wasserlöchern
kreischen Vögel. Die Ebbe
10 hat das Haff sonst gründlich geleert.
Schreie, wenn du hinaustrittst,
dann schweigen die Vögel und fliehen
weg über die Nehrung. Du bist
mit deiner Stimme allein.
Ich reibe mir am Morgen die Augen.
Aber der Fahrer
sieht im Kofferraum hinter Kanistern
ohne Grausen den Schädel.
05 Wer bringt ihn jetzt heimlich hinein, damit keiner
ihn sieht, bevor man ihn ausstellt auf dem Altar in Konstantinopel?
Aus dem Kofferraum nimmt
der Fahrer den Schädel und wickelt
ihn in seine Decke und legt ihn
10 neben sich auf den Sitz und fährt
ohne Grausen davon und hinein nach Konstantinopel.
Ich stehe hellwach im Morgen.
Der Damm ist wenig über dem öligen Wasser,
worin so mancher Tanker versackte.
Geh schnell, denn du weisst nicht,
wann das ölige Wasser den Damm überspült.
05 Den Vögeln sind die Federn verklebt,
Sie sitzen fest auf dem öligen Wasser.
Geh schnell, denn du weisst nicht,
wann das ölige Wasser den Damm überspült.
Sing, denn du weisst nicht, wann deine Stimme
10 im Kreischen der Vögel versackt,
wann ins ölige Wasser der Damm,
wann zu den Tankern der Damm, deine Stimme hinabsackt.
Der Stier steht im Eingang des Schuppens
und tritt nicht ein: Er fürchtet
deine Hummel weniger als das Blinken der Scherbe. Lenke
deine Hummel vorbei auf die Scherbe!
05 Sie sticht sie nicht.
Aber wenn sie den Stier sticht,
dreht er sich um und ertränkt
dein Ohr im Brüllen. Und nie
hörst du wieder das Brüllen des Stiers im Eingang des Schuppens.
Der Zug entgeht eben der Flut.
Die vergessene Schwangre zerknüllt
das Tischtuch. Das Blut
tropft auf das Pflaster und ruft
05 den Hubschrauber vom Festland.
Er steht in geringer
Höhe und zieht die Wöchnerin mit dem Kind
aus den Wirbeln. Jetzt schluckt
die Flut – nach der Brücke, der Schiene –
10 auch die Insel mit dem Gasthaus "Zur Meersicht" und rülpst.
Die Dogge liegt auf der Schwelle
des Kinderzimmers. Geifer
tropft ihr vom Maul. Sie steht
nur auf, wenn die Mutter
05 hereinwill, und sieht sie
an, dass sie wegschaut.
Die Dogge leckt
den Sand im Hof, die geborstne
Schelle schneidet sie in die Zunge. Sie senkt
10 den Kopf; sie will nicht, dass das Blut
dem Kind die Hand besudelt. Die Dogge
wedelt und geht
schwerfällig rückwärts zurück auf die Schwelle.
Du kannst kaum noch atmen. Die andern
Kinder haben den Speicher
verlassen. Du hörst von der Treppe
deinen Namen. Hart
05 stösst es dich ins Gesäss. Ein Hund
ist hier vor Jahren verendet. Schneller
als du. Du stemmst dich noch gegen
den Deckel der Truhe und hast
wieder Luft. Aber
10 dein Arm ist zu schwach.
In der Nacht wirst du noch hören, wie jemand
kommt und die Maske des Gärtners, die Maske
der Gärtnerin aus dem Schrank holt.
Aber du wirst nicht mehr
15 rufen und dich nicht mehr gegen den Deckel der Truhe
stemmen. Du wirst das Rascheln, das Kichern
eben noch hören. Und dann,
bevor du erstickst, das Knarren, das Rascheln,
das Kichern hören herauf von der Treppe.
Holz unterm Wasser
leuchtet Phosphor, es wird
nicht in Feuer
ausbrechen. Die Flut
05 bleibt und hält es bedeckt. Das Schiff
fährt schnell und ich kann
meinen Anker nicht werfen
als Angel, das Holz nicht
herauf und an mich ziehn.
10 Dann bräche es gleich
aus in Feuer, verbrännte
das Schiff. Das schwingt jetzt den grauen
Schleier über den Himmel. Ich schreie
nach Ebbe. Man hat
15 den Mond weggenommen, die Flut
bleibt, unaufhörlich
tanzt man im Dunkeln betrunken
auf dem Verdeck. Mein Anker
trifft nicht und fasst nicht als Angel
20 das Holz, das Phosphor
leuchtet unter dem Wasser.
Das schwarze Papier,
ein Wind trägt es in den Graben am Gehsteig,
in den Staub, der
aus der Baugrube herüber
05 kam: Es war darin eine
Lokomotive zum Spielen
verpackt. Wer kann es
noch fassen im Graben,
im Staub, der herüber
10 aus der Baugrube kam? Ein Wind
hat es, das jetzt schmutzig ist und zerrissen
gefasst und getragen, entzogen,
das schwarze Papier.
Das Hochparterre brennt.
Die Kinder
bleiben auf dem Teppich sitzen und spielen.
Das Feuerwehrauto
05 hält am Haus, die Spritzen
ermuntern die Flammen.
Die Kinder bleiben sitzen und spielen,
obwohl man sie ruft und die Leiter
anlegt: Die kahlen
10 Bäume wehren im Garten dem Himmel.
Die Kinder bedürfen
sonst keiner Rettung.
Die Strasse barst. Und das Gekröse
quoll herauf und stinkt.
Man muss sie verbinden. Dazu sind
mehr Binden nötig als der Winter hat.
05 Der Karneval
schminkt sich weiss und übersteigt
den Graben, hebt den Schirm, als ob der ihn hinüber
trüge, über seine
spitze Mütze in den Wind.
Die Fallschirmspringer
schlingern in den Drehwindwirbeln und sind
erst unten am Boden
nüchtern. Die Boote
05 sind leck, und die Inselbewohner
vermissen das Wissen,
Boote zu bauen, nicht mehr.
Die Fallschirmspringer
bringen die weissen
10 Zelte. Aufgerichtet
riechen sie nach den Gewürzen, welche die Priester
gemischt für das Fest
der gefallenen Engel. Die sind,
unten am Boden,
15 schon nicht mehr nüchtern: Geruch
der Gewürze, Trommeln, Trommeln, Gestampf.
Das Motorrad ist rostig. Sein Lärmen,
näher tönt es dem Lärm
bizarrer Vögel des Urwalds.
Er ist verwest, und eine Minute vor dem Gewitter
05 dringt aus dem Pflaster der Dunst.
Das Motorrad ist rostig, und wer
wird es erkennen, sobald es
an einem riesigen Farn lehnt? Dann lärmen
einzig die Vögel, der Urwald
10 nährt die nächste Verwesung.
Was nicht leicht herabfällt,
das ist eine Taube; man glaubt,
man hat sie schon in der Hand. Dann ist es
bloss ein Federball, mit dem zwei Kinder
05 spielten. Es ist eine Büchse
mit dem stinkenden Rest von Sardinen. Man läuft
den Häusern entlang, von denen ein Ziegel
niederhängt mit der Warnung: 'Achtung,
Dachdeckerarbeiten!'. Trotzdem
10 hofft man immer, es falle
die Taube herab in die Hand
und sträube die Federn. Doch eher
ist es ein Blumentopf, den die Putzfrau
leichtsinnig vom Sims stösst, der einen
15 erschlägt …
Du lachst: nie hab ich auf eine
Taube, nie auf das Schwirren, das Fallen
der gesträubten Federn gewartet. Ich will,
ohne zu wissen warum,
20 mit geöffneter Hand den Häusern
entlang laufen, auch wo man Dächer
neu deckt und wo der Schnee in grossen
Brocken rutscht und poltert. Ohne
zu wissen warum. Denn was niemals, was nicht
25 leicht herabfällt, das ist eine Taube.
Wirf die Fahrräder um vor der Hauptpost.
Löse die Bremsen der Strassenbahnen und lass sie
den Hang hinunterrasseln. Zerschneide
die Reifen der Autos am Bahnhof.
05 Zünde früh um sechs, eben nachdem
die Lastwagen die neue
Ware gebracht haben, das Stroh in der Ecke
der Markthalle an. Und bald ist
alles Qualm und Gestank.
10 Dann geh in den Garten und reisse
die Rosen aus und reisse die Lilien aus, knicke
den Flieder. Zertrample,
zertrample die Beete. Und dann
gehe zurück in dein Haus, schliesse
15 dich ein in dein Zimmer.
Einen einzigen Zweig lass
stehen, eingeschlossen im Zimmer.
Lang wird er blühen.
Seit gestern
sank und versackte der Fluss,
begannen die Fische, begann
der Unrat zu stinken. Ich schlief, ich bedurfte des trunknen
05 Radfahrers,
der auf dem Heimweg vom Ball
mich anstiess, damit ich erwachte und
den verfärbten Kadaver
fand in fauligen Kleidern. Braune
10 Lachen allein
dampfen noch hier, dampfen dort.
Die Mücken toben. Zum Brechen
reizt der Gestank.
Nimm den Teller vom Tisch,
trag ihn durch die Kammern.
Lass dich durch den Staub, die
Spinngewebe, das Sägemehl nicht beirren.
05 Nicht durch das alte
Gift, nicht durch den Speck,
der aus den Mausefallen heraufstinkt.
Ruh auf keinem Sessel aus, er bricht,
die Federn stechen dich ins Gesäss.
10 Geh durch die Zimmer weiter, verschütte
die Suppe nicht; erst am Ende, wo die Bilder des toten
Zaren und der Zarin fast schon
unkenntlich unter verstaubten
Scheiben hängen, dort in der letzten
15 Kammer stell den Teller nieder in die Asche: iss!
Da liegen geädert die Steine
aus dem geleerten
Bergwerk. Saum des Trottoirs.
Saum des geleerten Ägyptens.
05 Du fährst am Abend wie immer
mit der Kutsche entlang
der Promenade zum Meer.
Aber am Morgen weckt dich nicht mehr das Scheppern
der Eimer und das Fegen der Besen am Pflaster.
10 Die Wüste kam über die Gärten, betäubte
die Steine, Saum
des Trottoirs, Saum des geleerten Ägyptens,
Echo des Hufschlags von den Mauern. Geädert
lägen darunter die Steine. Sie liegen,
15 wieder betäubt, für dich da im entleerten,
im verschütteten Bergwerk Ägypten.
Unten im Keller des Turms
gehen die Rosse rundum.
Sie pumpen das Wasser, es rinnt
von der wiegenden Spitze. Wir sitzen
05 im Zimmer, wir sprechen
und trinken ein Bier nach dem andern,
wir rauchen schnell Zigaretten.
Unten im Keller des Turms
laufen die Rosse rundum.
10 Das Wasser stürzt, Katarakt,
von der wankenden Spitze.
Wir irren im Zimmer, wir halten
uns an den Wänden, wir flüstern, das Bier
ist verschüttet. Wir rauchen in kurzen
15 Zügen die letzte Zigarette. Der Mond
schwimmt weg, damit ihn die Spitze
nicht aufritzt.
Unten im Keller rasen die Rosse
rundum und schwitzen.
Du lässt dich, Stier,
zurücktreiben zur Säule und stehst
und senkst deine Hörner?
Die Hieroglyphen
05 glänzen über die ganze
Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.
Ich knie vor dir, Stier,
ich komme mit meinem
10 Gesicht ganz nah deiner Schnauze:
Packe mich, Stier, du sollst
dich nicht fürchten, nicht weichen.
Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
15 Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.
Ich vergesse dich, Stier,
ich vergass die Leute, die schreien.
Eine Tasche fliegt mir durchs Auge.
20 Blut rinnt mir fern über den Schenkel.
Ich ziele, ich treffe, ich steche.
Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
Säule. Wir können
25 sie beide nicht lesen.