Inhalt: Unselbständig publizierte Gedichte und Gedichtgruppen (Verstreutes)
Textträger: Zeitungen, Zeitschriften, Anthologien und andere Sammelwerke
vgl. Verzeichnis der unselbständigen Publikationen
Soll ich nicht der lobende Worte
Fülle verschwenden
an diese Glocken,
die aus bedachtsam
05 kreisenden Rädern
hängen dem Nachtwind
ein ihre Töne,
dass ein jeder
leuchte für sich
10 neben den Sternen?
Nicht zum Reigen gefügt
quellen sie los aus dem Turm.
Nein, wie das Kind aus dem Schoss, wie
Tränen aus trauerndem Herzen
15 perlen sie einzeln,
schwer und vollendet,
ohne dass einer wüsste,
wie sie gewachsen.
Ja, ihr fielet, klingende Tränen,
20 in meine wache,
friedlose Nacht.
Und mit den irrenden Winden
kamt ihr zu mir, da ich stand
am Gemäuer des Weinbergs
25 mitten im Winter.
Zu mir, dem Trauernden, her
fandet ihr,
wie zu den Hügeln dort, die
tragen auf kahlen Gipfeln
30 verfallne Kapellen.
Aber es bleibt noch Gestrüpp,
wucherndes wild,
und noch Bäume gereckt
in dieses Januars, des sommergleichen,
35 unbegreiflichen Himmel.
Auch du, Clivio, harrtest und beugtest dich duldend,
als dir kahl ward das Land, das
stets dich schmückt' als Geschmeide
und im duftenden Kranz
05 dir deine Hochzeit umprangte.
Duldend ertrugst du die Öde,
immer gehorsam gebreitet über die Hänge am Bach.
Aber dass dir nicht mangle vom neuen Tage die Botschaft,
hobst du nicht darum die Türme
10 hoch zum schweigenden Himmel?
Hobst du nicht darum sie auf,
dass sie hinaus vom Rade schleudern sollten die Töne,
wie einst Noah den Tauben am Fenster der Arche
löste die Fesseln der Füsse,
15 dass sie suchten trockenes Land und eine grünende Insel?
Siehe, schon fanden sie dort zum Rasten den Hügel
und der Eichen blattlose Kronen gesponnen ins Silber des Himmels.
Wer wollte Segen dir weigern und wer dir weigern Lobpreisung,
magdliches Clivio, dir? Denn nicht vergebens
20 drehte sich langsam das Rad im Gehäuse des Turmes,
säend die Klänge hinaus, die strenge gestuften,
über den trauernden Weinberg und den versiegenden Bach.
Stille steht es jetzt, es stocken die Töne,
schweigend ruhst du im Lichte,
25 da dir der Bräutigam kommt.
Gibt es denn Winter, mein Herz, die, wenn kahl auch,
glühen wie Sommer und, blumenlos, duften wie Rosen?
Warum liebe ich die trüglich erbrochene Landschaft,
ob sie vom Juli auch zehrt und von den Gluten des Augusts?
05 Singen will jetzt mein Herz dem blutigen Ringe,
wie ihn der Abend entflammt,
ziehend zum Zenit empor des Himmels glasblau Gewölbe.
Und wie dunkle Gebärden des Flehns und der ständigen Bitte
brechen Zypressen hinauf,
10 schwarz durch den feurigen Saum.
Wagst du es noch, mich zu lieben, da über die feurige Flut
immer dunkelt mein Trotz,
querhin gestreckt?
Aufwühlt vergebens der Wind die kreissende Erde,
15 und nur ein Totes aus mir
bricht in den fiebernden Winter.
Manchmal gedenken wir Lauten
mittags des stilleren Mondes,
der nicht in Flammen uns wärmt,
dennoch die Nächte erhellt.
05 Manchmal, ob auch wir nicht wollen,
steht inmitten des Herzens
aufrecht und dunkel die Pappel,
auf ihrem Wipfel der Mond,
ruhend vom einsamen Gang
10 durch die sternblühende Nacht.
Nacht rührt oft uns die Seele,
oft uns Lärmenden noch:
war sie nicht Schossraum des Worts,
das unsre Welten erschuf?
15 Fiel es nicht klingend in sie,
trug nicht Nacht die Musik?
Stille der Nächte allein
nährte den wachsenden Ton.
Und das Dunkel des Raums
20 wiegte das Licht in den Tag.
Aber die Mutter verging
klaglos im Schmerz der Geburt.
Doch die Pappel, sie trägt
dunkel im Wipfel den Mond:
25 Stille im Herzen des Lärms
und des grell-lichten Tags
wächst schon neu eine Nacht.
Willst du ganz enthüllen jener Gottheit
Bildnis, das der Schatten noch bedeckt:
weichen an den Eingang die Gefangenen,
scheun den Grund noch mehr, den stets sie scheuten,
05 weil, sie alle zu empfangen, aufgeht
des Gefängnisses Gefängnis; taube
Tiefe, wo doch Nacht schon düster drückte,
schaut sie an, das abertote Auge,
das Erinnerung selbst an Leben löscht.
Du näherst dich, und lächelnder hernieder
winkt deine Hand, die stets mir ferne schien.
Ich schlage mir in die kristallne Glätte
empor an Schimmerwänden Stufen aus.
05 O hell Erwachen, wo die Splitter sprühen,
der Tag gewährt ein lautereres Licht,
wenn jene Schneide in den Aufgangshimmel,
der klare Kamm den streng Bemühten trägt.
Des Unbestimmten Träume schwinden dort
10 mit letzten Sternen in den Glanz gewischt
der unvermutet wirklichen Vermählung.
Engel des Lichts
auf den Wogen
hüpfend über das schwingende Seil.
Viel Engel noch
05 auf den Brunnen der Stadt:
der eine mit Harfe
der andre mit Flöte
der dritte singt:
Jubilate.
10 Aber die Stadt
voller Angst vor dem Sturm.
Wogen schlagen
vom Hafen herein.
Steigende, steigende Wasser
15 überströmen die Brunnen
überfluten die Gassen
überfluten die Wagen
den Markt mit den Trauben
den Apfelsinen
20 den runden, den süßen Melonen. ||
Hoch auf Säulen der Brunnen
ragen die Engel heraus:
Engel mit Harfe
Engel mit Flöte
25 Engel der singt:
Jubilate
über den Wellen.
O glänzend, o sicher.
Herein kommt vom Meer
30 ihrer der größte:
Engel des Lichts
kommt hüpfend herein
schwingt sein Seil
über ertrunkener Stadt.
35 Und seine Brüder
Engelbrüder auf sicheren Säulen
spielen und singen dazu:
Jubilate.
Was ist im trüben Moor das Reinere,
davor zur Trübnis wird dies klare Ufer?
da Stadt und Garten einzig gegenwärtig
sind dort und diese obern bleiben Schatten,
05 geworfen an die Höhlendecke, die lastet
auf unsrem Haupt, und Freiheit ist der Eingang
hinunter in die widerliche Lache,
wo aus der Fische aufgeblähten Leichen,
aus fauler Pflanzen Resten steigt der Turm
10 ins Aug und ins Geblüt die Beere schwillt?
Wo denn anders ist dieser Strauch
reinen Herzens Erfahrung,
mit silbernen Blättern glänzend,
als in dem herbstlichen Garten Gegenwart,
05 dessen Kronen tragen die Kuppel
des Hauses aus Spielen der Liebe?
Wo denn anders ist er als hier am Ende des Jahrs,
das nie süßer schmeckt als im Abschied?
Wer immer wußte vom Abschied,
10 schon als die Taube, weiße Gefährtin, dem Kind
aus der Hand entglänzte über die roten und gelben Kronen der Bäume,
fürchtend den Winter:
Der lächelt jetzt und geht
allein hinein unter die Kuppel,
15 schließt die Tür, wie die Sonne
sank eben und Kühle weht aus dem Strauch
reinen Herzens Erfahrung
mit matt gewordenen Blättern.
Vor den Häusern der Armen
spielen die Kinder im Kehricht
ob auch die Strassen
alle sich neigen nach innen
05 der Mitte der Stadt.
Wer steigt die Treppen
hinauf dieses schmutzigen Hauses
voll Kammern der Bettler:
ihm auf dem Dach
10 leuchtet aus Flattern der Wäsche
die weisse Kuppel hervor
Burg über Brandung der Firste
und von der Laterne
der Mutter goldenes Schutzbild.
Wäre dieser Strom doch schon erhoben
diese Tiefe schon bereut
wär der Feind vom Engelheer zerstoben
und das Leben aus dem Sieg erneut,
05 würde an den letzten Abendhängen
jede Pflanze rein benannt
und in unversehrten Fängen
trüg der Vogel endlich fort uns aus
dem Brand.
Nimmer fand ich die Rose, solang sich
hob am Eingang zum Holz als Schlange
der Erdgeist,
sprang, ein Löwe, dem Bedränger ins
Antlitz,
Aufgerafftem fiel als Adler ins Auge.
05 Erst als Mut unüberwindlich
brach hervor aus der Tiefe jenseits
des Herzens,
drang ich ein und sah die Rose
glühen vor den ZeItgenossen des Königs,
der im Thronzelt ehrt ob Kronen die Rose,
10 Tod dem Pflückenden, aber dem
Schauenden Leben:
Ganz bin ich eins mit dem König
in der gefundenen Rose.
Wer den finstern Gang betritt am Tempel,
wo die alten Bilder stehn: der Adler
mit der Wölfin und dem Stier, im Holze faulend:
ihn bestürzen die, die vor verwandelt,
05 in den Nischen hausen unterm Tropfgestein.
Und sie lecken ihm Gesicht und Hand, bis daß er,
selbst ein junges Tier, die Zitzen saugt der Wölfin.
Sachte setzte der Pfau einen Fuß vor den andern und
zog den Schweif knisternd hinter sich her auf dem Geländer,
bis er an die Stelle kam, wo das Gebüsch wuchernd in
den schwarzen Garten hereinbrach, mit dem Gezweig voller
Düfte sich den Eintritt erzwang: Bis er dorthin kam,
Kopf und Krone hob, zögerte erst und dann anhielt,
sodaß sein Schweif, einen Augenblick blinkend, vom
Geländer hinabfiel und dann sich barg in den Zweigen.
02 Erschreckt nun hob sich ein Wind aus
dem Busch, stob ein purpurner Faltersturm in den Glanz,
der aus der Zweige Überhang aufging: Der Pfau schlug
das Rad in die Nacht.
Hängen Waldes Schattennetze nieder,
spüren Hunde kläffend nach dem Reh:
daß es sinkt in falbe Kräuter nieder,
glüher Nüstern Beute, reines Reh,
05 das sie auf der Fährte manches Wildes rochen.
Glüher Mäuler, die nun stillt das Reh,
fallend Geifergier zur Atzung nieder,
Hundegier, die lodert nach dem Reh
irre, wenn die Netze hängen nieder.
Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer.
Sie aber schweigt und ist schön inmitten des Meeres,
ob auch jene rufen klüftiger Berge
Wirrsal und wüste Wildnis der Herkunft und gehn doch
05 heut im Garten der Götter: ihnen ist Duft
von den Bäumen, Gesang der Zikaden und das
hohe Rauschen der Flut nur Elend, solange
ruhlos bleibt ihre Seele und das Gewaltige
will, nicht wissend das Glück der reinen Beschauung:
10 Ruhe im Einklang des Meers mit dem Himmel und den
Quellen des waldigen Bergs, wo das Ganze tönt.
01 Sachte setzte der Pfau einen Fuß vor den andern und zog den Schweif knisternd hinter sich her auf dem Geländer, bis er an die Stelle kam, wo das Gebüsch wuchernd in den schwarzen Garten hereinbrach, mit dem Gezweig voller Düfte sich den Eintritt erzwang: Bis er dorthin kam, Kopf und Krone hob, zögerte erst und dann anhielt, so daß sein Schweif, einen Augenblick blinkend, vom Geländer hinabfiel und dann sich barg in den Zweigen.
02 Erschreckt nun hob sich ein Wind aus dem Busch, stob ein purpurner Faltersturm in den Glanz, der aus der Zweige Überhang aufging: Der Pfau schlug das Rad in die Nacht.
Ohne Träne
steht im Trauerbaum der Knabe,
wo der irre Speer traf durchs Gebüsch den Hirsch,
den er früh noch ritt und dem er
05 ins Geweih die Kette hing und um den Hals die Kapsel:
wo der Hirsch des Knaben Hände leckte,
eh der im Gebüsch verirrte
Speer des Schlafes Zelt zerriß,
ohne Träne steht im Baum der Knabe.
Hängen über den Dolden
des buchtigen Ufers die Segel,
fällt aus den Felsen
der Feind mit dem Speer.
05 Da tauchen, da schwinden die Segel,
da sinken die Schiffe im Schaum,
und Schwimmerinnen für Schiffe
steigen herauf.
Dem Feind vor den schwimmenden Mädchen
10 fällt der Speer aus der Hand,
wenn sie ziehen aus Dolden,
singend, des buchtigen Ufers
ins offene Meer.
Wer den finstern Gang betritt am Tempel,
wo die alten Bilder stehn, der Adler
mit der Wölfin und dem Stier, im Holze faulend:
ihn bestürzen die, die vor verwandelt,
05 in den Nischen hausen unterm Tropfgestein.
Und sie lecken ihm Gesicht und Hand, bis daß er,
selbst ein junges Tier, die Zitzen saugt der Wölfin.
Was zwitscherst du, Vogel, dem Schläfer,
was streifst du das Bett hier, was dort mit dem Flügel,
daß er dir, ganz noch verfangen im Schlafnetz,
das du beginnst zu zerreißen, mit halber Hand wehrt?
05 Was rufst du lauter und fällst ihm in die Stirn,
setzest dich gar auf sein Haupt, lang hinschreiend:
So daß er, entfesselt, nun schwimmt auf dem Bett hinaus in den Mittag,
erschrocken und wach, allein mit dir, Vogel, als Lenker?
Als der Fischer
am Fuß des Felsens gelandet,
hinaufgestiegen und die Schulter des Fremden berührte,
hob dieser, der lang geschlossenen Auges gekniet,
05 endlich das Auge und sah,
daß er verlassen den heimischen Strand voller Feinde
und nun hier am entlegenen Strand
war, mit einem Fischer als Freund.
Verteilt in unzähliger Vögel Flügel und Stimme,
stiegst aus dem Rauch du hinauf,
über Scheitern in Flammen erneut:
Singst, wunderbar lindernd, am Morgen
05 den Trauernden, der dir verweinte
alle Stunden der Nacht,
vom Sims des Fensters in Schlaf,
als, über Scheitern in Flammen
erneut, du stiegst aus dem Rauch,
10 in Flügel und Stimme unzähliger Vögel verteilt.
Über dem wehenden Klang vergaßen die Fischer
die Netze des Nachts und irrten dem Morgen entgegen,
der in der Barke die nun an dem matten
Knaben verstummte Harfe heranträgt.
05 Sie ziehn sie ans Ufer, tiefer als sonst vom Fang der Fische,
ermüdet von diesem Fang, der erst im Morgen verstummte.
Hinein führt über die letzte glühende Düne
die Schlange den versengten Fuß in den Tau,
der ihn löscht, noch bevor zuinnerst dem Mund
unter dem Palmbaum die Quelle die mit der steigenden Sonne
05 immer kühlere Kühlung zustäubt: wo,
ihr geneigt, erwacht schon am ersten Tropfen die Lippe.
Wir sammeln das Harz, das die Myrrhenstämme herabrann.
Die Kamele schnupperten es weit in der Wüste,
darüber wegblickt die Palme, die nie sah der Ölbaum
der verschloßnen Oase: Wo nun sie schreiten hinein,
05 beladner als die Palme mit Datteln, als mit Oliven der Ölbaum,
mit der Myrrhen der Wüste würzigem Harz.
Auf der Schaukel schaut der zottige Hund
stumm von unten mich an, stumm von oben und schüttelt das Haar.
Nur wenn er zuweilen dich sieht, blinde Frau,
die du sitzest verhüllt auf der Mauer des Brunnens,
05 dann jault er laut auf der Schaukel
und wendet das Auge und schaut wieder von unten, wieder von oben
stumm mich an auf der Schaukel und schüttelt das Haar.
Auf der Flucht aus den Gassen der nächtlichen Stadt
trat ich ein in den Hof, wo rauschte die Ruhe
und auf dem Rand des Brunnens mitten in Blumen
ich das Haupt fand unterm Linnen.
05 Im Hof, wo rauschte die Ruhe allein in den Blumen,
jenseits der Gassen der Stadt, als aus der Nacht
mit tränenlos offenem Aug ich heimlich hineinfloh.
Zum Kreis der Engel vom Grund der spiegelnden Vase
wölken die Dämpfe: der Talschlucht verwandter, verwundert
finden sich unten im Grund der spiegelnden Vase
von neuem die Engel, wo wölken die Dämpfe, verdunkelnd
05 das Bild der Engel, der hellen, die sich verwundert
verwandelt anschaun im Grund der spiegelnden Vase.
Aus dem Mund des Knaben die Taube
flattert im Kreis und birgt
im Mund der Mutter sich schnell
unter der offenen Kuppel,
05 die leuchtet im Donnergewölk:
wo die kenternden Schiffer versprachen
Schalen und köstliche Kelche,
daß vor des ehernen Bergs
Steilwand sie rette der Knabe,
10 des Mund entflattert die Taube,
kreist und schnell sich verbirgt
in der Mutter lächelndem Mund.
Den Falken, den er eben gekauft, an der Wange,
singt auf dem Verdeck der Knabe den Händlern,
die laut ihm jubeln und lauter, bis daß ihm wegreißt die Stimme
der Wind, die Rahe ihm schlägt ins gewendete Lachen
05 und er, tränenwirr rings auf die Hämischen blickend,
den Falken als Boten, daß er geraubt auf dem endlosen
Wasser gefangen, losläßt ans Ufer zum Vater.
Als er vom Heerfeld, das lag durstoffenen Munds,
hinabkroch, fand er im Winkel des geborstenen Schluchtmunds
Wasser und brachte es dem, der noch aufrecht allein saß.
Der nahm und goß aus Freundeshänden den Helm
05 wenigen Wassers hinweg: richtete auf mit dem reichlichen Wasser,
das schnell verronnen im Staub, die Halme des Heerfelds.
Du stürzest den Mund ins salzige Wasser,
das bittrer ihn als der Durst sengt.
Ehe du hörst ein Murmeln im Kies,
den Fuß dir scharrend benetzest.
05 Ehe du gräbst mit der Hand,
daß der Strahl dir hervorspringt. –
Laut rufst du, die mit den Wolken am Rand gehn:
Daß sie, wenn träge allein
weiterwandern die Wolken, ins Auge
10 empfangen den Strahl, der die Glut ihnen anfacht
und löscht auf der Scheide der Wüsten.
Schleich ich hinaus in die Hütte an der Grenze des Dorfs,
daß mir der Gruß des Bruders am Morgen nicht schrecke,
die vom Frühlicht schon ängstlich, die Taube;
steig ich hinauf in die Höhle über dem Wasser im Fels,
05 daß mir das Lied des Fährmanns am Mittag nicht schrecke,
die vom einzigen Tropfstrahl schon ängstlich, die Taube;
grab ich mich ein in die Steppe jenseits des Tals,
daß mir das Zirpen der Grille am Abend nicht schrecke,
die von der Mondspur schon ängstlich, die Taube:
10 klagen am Tag und klagen zur Nacht die Schakale
in das verschüttete Grab: wohin floh, wohin meine Taube?
Wenn die Taube,
bevor das Rufen der Männer
von der Müllabfuhr und das
Rasseln der Eimer
05 aufweckt den Schläfer, der,
senkrecht auf der Stirn eine Falte des Ärgers,
sich umdreht mit Ächzen,
hochfliegt zum Turm in Alexandrien,
die gefangene Jungfrau zu nähren,
10 steht im Schlafrock die Freundin
auf dem kleinen Balkon und winkt
in den Hof dem Freund, der
aufs Rad steigt und eilig zurückwinkt:
er gefällt ihr nicht anders im dunklen
15 Rock mit dem glänzenden Posthorn als vorhin,
da er schlief und sie nochmals die
kleine Lampe mit dem Schirm aus
löchriger Seide andrehte und
aufsaß im Bett und ihn ansah.
20 Wenn mit der Wäsche
auf dem Dach des Hotels gegenüber
fliegen im Rauch – man kocht fürs Personal eben das Frühstück –
größer geflügelte Tauben,
schaut die Freundin verwundert hinauf, //
25 eh sie hineingeht und ansieht
das Bett, das leere, zerwühlte des Freundes, im Licht
der kleinen Lampe, die jetzt schon bei offnen Gardinen
zu verzweifeln beginnt unterm Schirm aus löchriger Seide,
eh sie hineingeht und hört
30 die Mülleimer rasseln und rufen die Männer,
indes im Zimmer daneben, senkrecht
auf der Stirn eine Falte des Ärgers,
der Schläfer ächzend sich umdreht.
Eh sie vergißt der einen
35 Sekunde größer geflügelte
Engeltauben, die tragen den hellen
Leichnam der Jungfrau zur
Gipfelwolke des draußen
im Dunst dort unerbrechlichen Grabmals.
1) Zur Legende von ihrer wunderbaren Ernährung im Gefängnis durch eine Taube und ihrer Beisetzung auf dem Sinai durch Engel.
Aus der Wiege sang das Kind
früh vom Vogel, der ein Ei
warf, draus Lamm und Löwe sprangen,
während von der Zeder jetzt,
05 die noch über Bergesgipfel
wuchs, der Vogel schaukelnd eine
Feder sachte sinken liess,
daß sie Lamm und Löwe necke,
die schon kosten um die Wiege,
10 draus das Neugeborene sang.
Wenn du das Feuer
hinhältst der Dame, die
leicht zurückweicht, weil aus dem Wagen,
der plötzlich anhielt, der Fahrer
05 öffnet auf euch zu die Tür,
achtlos: trittst du,
Kaiser, ins Kloster
und findest enttäuscht
die Rosen alle gekappt,
10 bis dir nach wenigen
Schritten im Teehaus der Abt
zeigt, schweigend, die aufging am Morgen,
allein in der Vase die Rose:
wenn du der Dame, die leicht
15 zurückweicht, die Zigarette anzündest.
Wie als sie ans Ufer
schon geworfen die Taue
und einer gar schwamm hinüber,
wächst aus dem Mund des einen Matrosen
05 in der andern Gejohl, welche die Straße vom Hafen
ziehn zum kleinen Bahnhof mit den Kartuschen und der
Göttin aus schmutzigem Stuck, die emporhebt,
bedeutend, ein geflügeltes Rad,
überm Eingang zur Seilbahn – während
10 der Saison im Herbst und im Frühling
klimmt sie alle Halbstunden zur Höhe des Burgbergs
mit dem Kastell, das heute Museum – :
wächst aus Harmonika und Mund des einen Matrosen
mitten in der andern Gejohl, die,
15 eingehängt girrenden Mädchen zur Rechten und Linken,
in Achterreihen die breite Straße hinaufziehn,
wo vom Gehsteig werfen die Kinder, die Mütter // 215
Blumen: unter die Schulterstücke stecken sie schnell
die einen, die andern, zu viel sind’s,
20 zertreten sie; die Männer aber, gedrückt
an den Rand in den Autos, drehn nieder
die Scheiben und schwenken Hände und Hüte:
wächst aus Harmonika und Mund des einen Matrosen
der Liedbaum jetzt über das Stampfen, das lautere Johlen
25 – : der Straßenbahnzug hält an der
Querstraße keifend, gebremst vom
Gedräng der Blumen und Kinder,
der Mütter und Hände und Hüte und Autos – :
wächst aus Harmonika und Mund des einen Matrosen
30 auf einmal jetzt der Liedbaum, verschränkt
sich dicht in die Krone oben des Lieds im
Schiff vor der Insel, wo sie die Taue
schon ans Ufer geworfen und einer
gar schwamm hinüber,
35 in die Krone des Lieds, das vom Hauptmast
so mächtig hinaufwuchs, daß
sank unterm Schatten der Liedbusch,
der, duftend von Blüten, sie hinzog zur Insel.
Desselben Liedbaums,
40 der die Göttin aus schmutzigem Stuck, die klimmende Bahn
mit dem Burgberg,
einen Augenblick gar der Fremden Geschwätzkraut im Kastell,
das heute Museum,
gedoppelt jetzt überschattet
(Variation über ein Thema von Leibniz)
«Das inwendige Licht, das Gott selbst in uns anzündet,
kann durch die sinnliche Erfahrung der Welt geweckt werden»,
geweckt durch den Lampenladen an der Ladenstraße der Vorstadt,
der mir schon von weitem entgegenbleckt auf den Weg durch
die Gärten:
05 diese grellste Goldfüllung in der Reihe der vielen,
die ins Gebiß aus altmodischen Villen unten eingesetzt sind,
vermag das summende Bienenkorblicht der alten Gaslampe zu wecken.
Das hindert mich nicht, die Verkäuferin anzubrummen,
weil sie mir für meine Wandlampe keine hohen roten Schirme
verkaufen kann,
10 sondern nur niedrige aus gelbem Ölpapier mit grünen Zierstreifen
und Goldrand,
wie sie nachgerade auch Hinz und Kunz haben.
Ihre Entschuldigung erstickt unter der Donnerlawine der Hochbahn,
die mich, wäre es nicht schon sechs Uhr, ins Zentrum brächte,
wo man alle Arten von Schirmen findet,
15 sogar solche, aus denen das inwendige Licht durch wohlverteilte
Sternlöcher leuchtet.
Dafür zertrümmert mein Löffel,
wenn ich resigniert im Bahnhofbuffet die Milch umrühre,
zugleich mit der Haut aus Versehen das Glasdach des Bahnsteigs,
wo eben Tamino die Katzen und Hunde mit ihren blinden Greisen
20 von den Treppen und aus den Pissoirs anlockt
und mit den Funken der Flöte allen ihr inwendig dösendes Licht weckt.
(Ein hölzernes Dekorationspferd, das auf der Orgel steht, spricht)
Aus der Mitte überm Orgelbrunnen,
wo die Töne in das Becken fallen,
staun ich an die Pferde, die am Rande laufen,
staun ich an die Brüder Pferde, die so eilig laufen,
05 eilig laufen fort und doch sind immer hier.
Immer laufen meine Brüder Pferde,
aber weiter fort ist schon die Brücke,
drauf der Mann mit den Ballonen geht.
Und auch der gelbe Vogel, den mit Schwirren
10 an der Schnur er um den Stab her schwingt,
damit ein Kind ihn noch vor Abend kaufe,
auch er kommt langsam, langsam weiter fort.
Doch ihr, ihr Brüder Pferde, schnaubt und lauft nur schneller,
ihr bleibt doch immer unterm Sturz
15 der Musik von meiner Orgelsäule,
die mit Schäumen füllt des runden Beckens
und mit Überschäumen füllt des Gartens Ohr.
Und die Zapfen von den Pinien fallen
ab von Zeit zu Zeit und würzen
20 die Wirbel meiner Wasser, und sie
würzen euren blinden Wirbel, Brüder Pferde,
um den runden, runden Brunnen Karussell.
Gefühlswälder sind süß zu durchwandern,
weil sie die Tageszeit nie genau erkennen lassen,
sondern die Ränder mit dem Dämmerlappen immer sorgsam
verwischen,
und weil nachts in den Mondlichtungen uns immer das gleiche Reh
05 aus großen nassen Augen ansieht und rührt. // 762
Erst draußen am Abfall der Klippen,
wo nicht einmal mehr geducktes Gebüsch den Salzwind mildert
und wo die Nacht nackt ist im scharfen Wintergespräch mit dem von
der Woge aufs Höchste gereizten,
über den Golf laut Schnee redenden Berg Fudschijama:
10 da erst begreifen wir, warum wir so lange gegangen.
Der Flügelfrühling und die zerstreuten
Federblätter liegen unter dem schwarzen
Ameisenschnee ihres Winters,
der auch dies flache Bild auf dem Boden
05 – vom Herbstrad des Autos schnell
aus dem Stoff und der Farbe des Vorbilds gebildet –
noch schmölze: Wenn nicht das vom Rand
der Straße aufgeworfene Blicknetz des Knaben
es zöge hinein in den Teich
10 der Augen, die jetzt noch blinzeln über
dem Schmatzen, dem Apfelkauen des Mundes:
weit noch vom Traum und vom gewittrigen
Sommer, der das Bild vom Grund, wo es lange
bleibt, wenn es hin und her auf der Fläche
15 geschaukelt und endlich hinab
gesunken, künftig einmal von neuem
deutlich und schwarz überwimmelt heraufspült.
Wenn sie sähn, wie die spanische Fahne als letzte die Dockwand
entlang schwebt,
äßen die Damen dann noch Kuchen zum Tee
und läse, den steifen Hut neben sich auf dem Sims, der Bucklige
die Illustrierte?
Als ob nicht die Schiffe die Stadt ins Meer zu tragen begonnen hätten:
05 Und nur solang man aus den Werften das Schwatzen und Rascheln
laut überhämmert,
um auch das letzte Schiff fertig zu machen,
ist für Kuchen und Tee und fürs Blättern in Illustrierten noch Zeit. // 763
Doch wenn sie die spanische Fahne als letzte die Dockwand entlang
schweben sähen,
rüsteten sie sich schnell zur Abfahrt wie deine Augen, die mich
schon ließen
10 und der schwarzen Dockwand entlang schwimmen im mittleren Feld
der spanischen Fahne.
Zu lange setzte sich die Wespe auf dem Tassenrand der Versuchung
des Dufts aus,
als daß sie nicht schließlich hätte darin umkommen,
hinabstürzen und mit Beinen und Flügeln die Kaffeenacht umrühren
müssen.
Auf dem Mund der Coca-Cola-Flasche – die ich eben bestellte,
05 weil ich die zuckende Agonie nicht einmal ansehen kann,
ohne auch schon den Zweifel, ob ich nicht retten müßte, zu trinken –
zittert die andre Wespe zwischen Lockung und Warnung.
So auch hockt dem Motorschiff, das ganz allein draußen im
gläsernen Sturm blasiert lustfährt,
hinten das Flugzeug gelb auf und weiß noch nicht,
10 ob es sich in die Sonnenmilch stürzen soll:
sie tropft in die Meerenge herab und füllt sich mit Schaum,
so daß das Wasser die Klippen hinaufflieht, Odysseus,
und dann schnell mit zerschundenen Knien zurücksinkt;
nur die Bojendame harrt aus und zeigt dem Schiff,
15 obwohl es sie nicht zu brauchen vorgibt, den Weg durch die Riffe.
Doch im Gliederzucken der einen,
im zitternden Zwiespalt der andern Wespe schaut Platon
– denn ich sitze direkt am Sklavenmarkt, wo man ihn feilhält –
im weißen Schiffwindspiel des attischen Reeders,
20 das seine Wespe durch den Sturmschaum davonträgt,
schaut Platon immer die reine Idee an;
und mitten im Feilschen, wenn ein Bauer ihm fern außen die
Leibwand befühlt,
kostet er nochmals die Tafelgespräche in Syrakus
und die Nachtspaziergänge mit Dion, unverfaulte Orangen. // 111
25 So daß, wenn Amnikeris kommt und ihn freikauft,
er traumtaumelnd in den neuen Rolls-Royce steigt
und sein «Wunderbar» nur gibt, weil jener es ihm mit allen
Mienen entreißt.
Aber schon fast in der Stadt brennt ihn plötzlich das Bild wach,
das ihm bei der Abfahrt ins Auge hereinglitt und jetzt in der
Hirnhalle ankommt:
30 Wie die Wespe reglos im Kaffee liegt,
indes die Schwester, zum langen Leben entschlossen,
vom Mund der Flasche in die Sonnenmilch wegschwimmt.
Den Tag in der Steppe kühlt mehr als der Quell unter Eichen
das Lachen des Mädchens dem Burschen entgegen, der,
gelehnt an die Tür, schaut, kauend Kerne des Mohns, durch
geschlossene Lider.
Die Nacht, wo sieden die Flöten und kochen die Tamburine
05 empor ums finstere Stampfen der Mädchen und Burschen, kühlt tiefer
der überquellende Schein der einzigen Lampe
im Schiff der Kammer abseits, das schwimmt auf dem Brodeln.
Über Vestalen,
fischvergoldet
aus grüblerischem Gewässer
widerblinkende, aufwärts
05 reißt den Blickvogel, der
vergeblich an Torsen sich klammert,
das wendige Flugzeug, das
vom Turm von Santa Francesca
zu den Wipfeln des Palatin
10 – sodaß, wenn das E es beginnt,
P schon anfing zu schmelzen –
mit Schlagrahm ‹Persil› schreibt.
Der Blickvogel fällt auf das Buch,
darin er geglitten sonst vom Stern zu zwei Sternen,
15 stumpf zurück und läßt es dem Wärter,
der nach sechs Uhr es aufliest,
fängt sich und taumelt noch eben zur Bar
dort und erschreckt die andere Schrift,
die übers Sonnendach kriecht, ‹Coca-Cola›.
Wer den finstern Gang betritt am Tempel,
Wo die alten Bilder stehn: der Adler
Mit der Wölfin und dem Stier, im Holze faulend:
Ihn bestürzen die, die vor verwandelt,
05 In den Nischen hausen unterm Tropfgestein.
Und sie lecken ihm Gesicht und Hand, bis daß er,
Selbst ein junges Tier, die Zitzen saugt der Wölfin.
Wenn sie sähn, wie die spanische Fahne als letzte
die Dockwand entlang schwebt,
Äßen die Damen dann noch Kuchen zum Tee
Und läse, den steifen Hut neben sich auf dem Sims,
der Bucklige die Illustrierte?
Als ob nicht die Schiffe die Stadt ins Meer zu
tragen begonnen hätten:
05 Und nur solang man aus den Werften das
Schwatzen und Rascheln laut überhämmert,
Um auch das letzte Schiff fertig zu machen,
Ist für Kuchen und Tee und fürs Blättern in
Illustrierten noch Zeit.
Doch wenn sie die spanische Fahne als letzte die
Dockwand entlang schweben sähen,
rüsteten sie sich schnell zur Abfahrt wie deine
Augen, die mich schon ließen,
10 Die der schwarzen Dockwand entlang schwimmen
im mittleren Feld der spanischen Fahne.
01 Sachte setzte der Pfau einen Fuß vor den andern und zog den Schweif knisternd hinter sich her auf dem Geländer, bis er an die Stelle kam, wo das Gebüsch wuchernd in den schwarzen Garten hereinbrach, mit dem Gezweig voller Düfte sich den Eintritt erzwang: Bis er dorthin kam, Kopf und Krone hob, zögerte erst und dann anhielt, so daß sein Schweif, einen Augenblick blinkend, vom Geländer hinabfiel und dann sich barg in den Zweigen.
02 Erschreckt nun hob sich ein Wind aus dem Busch, stob ein purpurner Faltersturm in den Glanz, der aus der Zweige Überhang aufging: Der Pfau schlug das Rad in die Nacht.
Ehe das Moos den vom Efeu schon überwachsenen Schrei schließt,
tritt hinein in den offenen Steinmund.
Unter der Lampe, die baumelt vom Gaumen,
kaufe der Händlerin eine Karte mit dem Vulkan ab,
05 dessen Rauch den Horizont überrötet,
und mit dem steinernen Mund, wie er war,
ehe erstmals das Moos den vom Efeu schon überwachsenen
Schrei schloß:
eine Gartengrotte, wohin der Kavalier seine Dame
zog, weil unter den bunten Laternen die Geigen
10 peitschten das Blut, das schrie,
bis er mit ihr den steilen
Ohrweg hinanklomm zum Lid, wo Platz war zum Liegen …
Ehe Moosschweigen den Schrei schließt
und der Vulkan vergeblich den Tiefschläfer anruft,
15 ehe die Asche die Wange pudert,
die doch nicht zum Fest will:
Tritt hinein in den offenen Mund und kaufe die Karte.
Der Flüsse Läufe sind aufs Meer,
doch ist der Wirbelschnee
auf vieler Flüsse Läufe hin gerichtet.
Die leeren Bäume atmen auf, zu sehn
05 den Wirbelschnee ermüden;
doch vieler Flüsse Läufe bleiben
dennoch aufs Meer gerichtet unbeirrbar.
Und gibt es da und dort noch einen,
der achtlos läuft und träumt und läuft dann über,
10 und tut es gleich im Spiel dem Meer,
so ruft der Flüssemeister ihn zur Ordnung,
weil er sonst bald, wer weiß, zurück und bergwärts liefe
und würfe an gekränkte Stirnen plötzlich Gischt.
Kaprizen sind für die unverläßlichen,
15 den Wirbelschnee, die Bäume,
die bald im Blütenbausch posieren, bald,
weil sie meinen, dass ein Passant gekichert habe,
sich wieder in betonte Leere einziehn.
Ball, du fällst aus dem Spiel in den Schacht
und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, bald,
verwirrst ihn, erhellst ihn,
indes er dich hinwiegt ein wenig
05 und herwiegt zum Wandnaß.
Aber ehe du triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, erwäge:
tief ist der Schacht,
und drin weiß man nicht mehr,
wo unten, wo oben;
10 des Grundes Schwarzschlamm ist unten, ist oben.
So bleib denn still, Ball, in der Mitte:
schon – merkst du's? – dreht sich
langsam um seine Achse der Schacht.
Warte mit Fallen.
15 Gewinnst du nicht den Lachdank der Augen
dort, so verlierst du auch nicht den Lachdank der Augen
hier und stehst im gespannten
Zug der Augen im Schwarzschlamm
gleiche Verwirrung, Erhellung nach unten, nach oben.
Auf dem leeren Kiesplatz
pißt der Torhund.
Die mürrischen Mönche
saßen den ganzen Tag auf dem
05 sorgfältig gekräuselten Kiesplatz
und sahn auf den Feldstein als auf die Welt,
die mitten im All schwimmt:
Doch jetzt pißt hier der Torhund.
Als es am Abend zu schneien begann,
10 drehte einer den Kopf und
rieb am Kragen den Hals,
so dass der Meister ihn mit dem Rohr schlug
auf den geschorenen Schädel:
Doch jetzt pißt hier der Torhund.
15 Inzwischen wards dunkel, und alle
schlurften über den Kiesplatz
mit steifem Genick und
rheumaschmerzenden Gliedern
zurück in die Zellen:
20 Und jetzt pißt hier der Torhund.
Am Feldstein auf dem
endlich von den mürrischen Mönchen geräumten
Kiesplatz verrichtet, würdig gesammelt,
sein großes Geschäft und pißt jetzt der Torhund.
Durch die Höhle, die Tapeten umwelken, wühlt er sich,
bis er, um in der plötzlichen Hitze unterm Daunengebirge
nicht zu verdursten,
die Früchte ißt, die er aus dem Laub der Kleider geraubt hat:
Die Blätter, ringsum auf dem Boden verstreut,
05 sähen eifersüchtig auf den Arm,
der den Ast an ihrer Stelle umfängt,
auf die Brust, die den Stamm an ihrer Stelle bedeckt,
wenn nicht der Vorhang Arm und Brust vor der Straßenlampe,
die mit der Windleiter immer anrennt, beschützte.
10 Doch das Treppenhaus rächt sie,
indem es durchs Schlüsselloch sein rostiges Licht in das
vergessene Auge hereinsticht.
Es genügt, daß ein Wagen dem andern
beim Parken die Stoßstange verbeult,
um die Frau und zwei Männer,
mit Halbglatze den einen,
05 von ihrem Eis auf der Terrasse
aufschießen zu lassen;
um das kleine Mädchen im Schottenrock
auf den Stuhl steigen
und alle vier ihre Blicke auf den Parkplatz richten zu lassen:
10 Neugier genügt.
Es genügt, daß die Sonne
sich einen Augenblick hinter Wolken zurückzieht,
damit sie alle
sich wieder setzen und wieder ganz auf ihr Eis konzentrieren:
15 Ein Tadel genügt.
Es genügt, daß die Fliegen
hin und her durch die Luft
schwärmen, damit wieder offen
der Teich liegt mit dem immer
20 unmerklich erneuerten Wasser,
damit die Fische,
die dem Helios heilig sind, schwimmen:
Mehr als alles,
Erinnerung, die genügt.
Schön, dass du da bist mit Wimpern,
Durch die dieser vorsichtig blaue
Zehnuhr-Himmel dringt,
Und zu mir die Augen aufschlägst
05 Und sagst: ich liebe.
Schön das Begehren der Luft,
Wenn du in ihr langsam
Auf mich zukommst
Und zwischen uns nichts mehr
10 Gesprochen zu werden braucht,
Während die einfache Landschaft dir im Rücken
Sich mit dem Fluss nach Süden
Einschifft.
Deine Hände haben sich eine Nacht lang
15 Im Dunkel bewegt und waren schön,
Als du sie im Nacken
Verschränktest.
Es gibt dich also mit deinem
Unruhigen Haar und den leicht geöffneten
20 Lippen, die jetzt beinahe
Der in der Wärme geplatzten Kirsche gleichen,
Die gerade ins Gras fiel …
Wer es vermöchte,
dich hinauszuführen zum Schilfplatz,
wo der schlammbärtige Greis einen Moment
innehielte im Ausgießen des Flußkrugs,
05 um, wenn auch umsonst, zu entdecken,
warum du hier stöhnend am Baum stehst:
Wer dies vermöchte,
dem bliebe erspart,
in der Lapislazulihöhle der Kirche
10 aufzuzucken unter dem Schwirren
eines jeden einzelnen Pfeils,
der aus dem Hinterhalt der Gebete
deinen Leib trifft.
Dort draußen schwängen die Engel
15 sich von den Zweigen, zu trocknen
mit Linnen dein Blut,
so daß noch stummer stünde das Staunen des Greises.
Wenn er dich auch vielleicht, mit Mühe, endlich erkännte,
so erkännten dich kaum je die verdrängten
20 Luftgeister, Flußfrauen, Dryaden:
Wer es vermöchte …
Als ich die Augen auftat in der Kammer,
bekam ich Angst und begann
mich durch das Grabmal langsam aufwärts zu tasten.
Oben richtete ich mir Gemächer,
05 wo ich in schwerem Brokat ging und,
voll Lust zur Uebertreibung, eine dreifache Krone trug:
Die Reste von Bescheidenheit,
die ich im Leben von den Alten noch hatte,
ließ ich jetzt ganz weg,
10 da mir die Biegung der Seele so wichtig geworden war seither.
Und nur gelegentlich, zur Entspannung,
befleißigte ich mich der Sprache und Gestik
verzückter Fische,
die einfach, ohne Reflexion,
15 still schimmernd schwimmen.
Bis ich mich schließlich,
nach all den vielen Versuchen,
mein Imperium so darzustellen,
daß keiner, den es ergriff,
20 sich ihm jemals wieder entziehen könnte:
entschied für eines der Bilder,
die lange wirken, auch wenn sie
den Verdacht der bloßen Maskerade auf sich ziehn,
und trat auf die Zinne:
25 Die Flügel noch gebreitet vom Herabflug,
das Schwert der Seuche in die Scheide steckend;
kurz, in der schönen Pose
des nach langem Groll versöhnten,
durch Bitten, Bußasche, Kerzen und Prozessionen
endlich beschwichtigten
30 und so auf dieser hohen Stelle fromm erinnert
festgehaltnen
die Stadt beruhigenden Engels.
Wer es vermöchte
dich hinauszuführen zum Schilfplatz,
wo der schlammbärtige Greis einen Moment
innehielte im Ausgießen des Flußkrugs,
05 um, wenn auch umsonst, zu entdecken,
warum du hier stöhnend am Baum stehst:
Wer dies vermöchte,
dem bliebe erspart,
in der Lapislazulihöhle der Kirche
10 aufzuzucken unter dem Schwirren
eines jeden einzelnen Pfeils,
der aus dem Hinterhalt der Gebete
deinen Leib trifft.
Dort draußen schwängen die Engel
15 sich von den Zweigen, zu trocknen
mit Linnen dein Blut,
so daß noch stummer stünde das Staunen des Greises.
Wenn er dich auch vielleicht, mit Mühe, endlich erkennte,
so erkennten dich kaum je die verdrängten
20 Luftgeister, Flußfrauen, Dryaden:
wer es vermöchte …
Dass du nicht mit den anderen Schiffern
einstiegst in Birnau
in die rosig erlöschende Muschel,
sondern es vorzogst,
05 die Zustellung des ohnehin
unvermeidlichen Befehls
an der Autobahn zu erzwingen …
Nicht erlaubt ist dies Auge,
das nur schaut und nicht ansieht.
10 Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen:
die Gefahr für die andern
Verkehrsteilnehmer
bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes –
Aber «Was wollen Sie hier an der Straße?»
15 «Nichts, nichts, was sollte ich wollen?»
«Wissen Sie nicht …?»
Du hast leider vergessen,
dich rechtzeitig mit andern,
zwecks Wahrnehmung deiner Interessen,
20 zusammenzuschließen.
Du weißt von keinen Interessen,
es sei denn von diesem Bedürfnis,
das manchmal unüberwindlich da ist:
einen dürren Zweig mit dem Fuß
25 von der Straße weg in die Gräser zu schieben.
Nur in den ersten
Nächten des Frühlings erregt
der Gesang der Sibylle:
»Wie unter Tiburs Bäumen,
05 wenn da der Dichter saß
und unter Götterträumen
der Jahre Flucht vergaß …«
die Gebirge zum Grünen.
Treibt den einen in die Hotelbar, die
10 von Lippenrot heißen
Schnäpse zu trinken.
Den andern erregt er,
die rauhe Uralte
selber im Tempel zu suchen: Sie hat sich
15 in der Cella verborgen.
Und voll
strahlt jetzt erst der Mond. Die Hänge
dampfen; die Droge
wäre jetzt wohl am stärksten.
20 Doch ihn erschrecken
Ruinen schon wieder, und Blüten
fand er so üppig sonst nur auf Gräbern.
Sogar die Kaskaden, sie fallen
stumm vor der Stimme,
25 die aus der Cella
»Wo ihn die Ulme kühlte
und wo sie stolz und froh
um Silberblüten spielte,
die Flut des Anio«
30 im Wachtraum heiser herabschreit.
Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Straße: das Wasser
kommt nicht auf gegen den heißen
Asphalt und ist, kaum
05 er es nur begriff, schon verdunstet.
Der Fisch aber war
gerade so weit,
als man ihn fing heute früh:
»Seit ich einmal ins Licht
10 und in die Wärme hinaufstieß,
von wo vor langem der Hochfisch, der seither,
Seesterne im Ohr, auf der Brust
Polypen, im Grund liegt,
herabgestürzt war:
15 Seit ich einmal hinaufstieß,
fürchte ich mich: Das Kühle
war nicht mehr da. Mir erstarrten
die Kiemen. Die Flossen
fanden nicht Widerstand mehr,
20 sich voran zu bewegen …
Gehn wir alle dorthin und verlieren
wie der Hochfisch Kiemen und Flossen?:
Nach wievielen Toden?
Der Hochfisch war Übertreibung. Unten
25 muß man bleiben und die
verdächtigen Höhen vermeiden.
Wohnen will ich von morgen
an in seinem noch freien
Ohr, wo die Erinnerung
30 Ansporn und Warnung zugleich ist … «
Gerade so weit war der Fisch,
als man ihn fing heute früh.
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgießt,
kommt gegen den heißen
35 Asphalt der Straße nicht auf
und ist, kaum er es nur
begriff, schon verdunstet.
Ich habe den Berg mit dem weißen
Parthenon vergessen.
Und das Haus des Erechtheus mit den Karyatiden
hab ich vergessen.
05 Hör ich das Wort Erechtheion,
seh ich deinen gestreiften Pullover
zwischen den Karyatiden,
quasi morto.
Jetzt, im Sand des saronischen Golfs ist unser Irren
10 zwischen Phaleron und Piräus nur noch ein Stummfilm,
unser erster Gang zum Lykabettos (oder wars zum Hymettos?)
ein Sandspiel der Kinder.
Quasi morto,
im Sand des saronischen Golfs
15 schmeckt mein Mund dein Ohr
salzig und schmeckt mein Mund
Salz und Öl deiner Schulter.
Quasi morto,
voll ist dein Ohr am saronischen Golf von den Bienen,
20 voll vom Gesumm des Hymettos.
Ich habe die Namen vergessen:
Athen, Lykabettos, Hymettos,
Phaleron und Piräus,
Salz und Öl deiner Schulter im Mund
25 und das Summen im Ohr, in deinem, in meinem,
der Bienen des fernen Hymettos.
O, quasi morto.
Werfen die persischen Reiter dort drüben
die Wolke am Horizont auf?
Wenn sie heranstöben, wären
sie freilich enttäuscht;
05 denn sie fänden hier nicht den Kaiser
im Purpurzelt, sie fänden
den unrasierten Reisenden nur, von dem sich
kein Genius, sein Gesicht verhüllend, mehr wendet.
Genien verhüllen und wenden
10 sich nur in purpurnen Zelten.
Aber die Luft
entwich längst aus den Reifen.
Und schösse auch eine Lanze
heraus aus der Wolke,
15 sie durchschlüge einen rostigen Kühler.
Und löste sich trotzdem die Ordnung
des Heers auf, so doch nur,
damit es sich um den Wagen versammle: die Marke,
das Baujahr, die Zahl
20 der Pferdekräfte zu sehen.
Doch wahrscheinlich wirft niemand mehr Lanzen,
wahrscheinlich haben alle neuere Wagen
gesehen und fahren in Panzern vorüber …:
Sind die persischen Reiter,
25 der Genius und das purpurne Zelt,
sind sie Julians,
sind sie sein eigener Tod, den die Wolke
vom Horizont dort drüben heranträgt?
Du hebst das Horn
und vergiftest die Winde,
hebst es auf vor dem Wald,
den versteckten
05 Blüten, den Teichen mit Rosen,
den Grotten voll von Lianen.
Du senkst das Horn
und dringst hinein in den Wald;
da sind die Blüten verfault
10 und verkohlt die riesigen Bäume.
Der Teich ist ein Moor ohne Rosen,
Moder die Grotten.
Du mußt aber weiter, du mußt
durch die Gänge, die gleich deinem Horn
15 gewunden sind, doch nicht purpurn.
Weh deinem Vlies:
da drinnen liegt nicht Minotauros.
Unter zerbrochnen
GIasdächern uralter Fabriken
20 bei rostroten Maschinen,
die keiner mehr zu bedienen versteht,
liegen die Mumien da,
Könige aus Leder
und Krokodile mit blätternden Schuppen
25 (Blätter, duftende Blüten),
Augen, offen und schimmlig
(im Teich die offenen Rosen). –
Hebe wieder dein Horn
dann ist nur noch Staub, und du watest.
30 Staub ist nur noch statt Moder. // 232
Statt Labyrinthen,
statt Mumien ist nur noch Staub.
Und du watest bis zu den Knöcheln
tief im flimmernden Staub,
35 watest im Kreis und siehst
überall eine Jungfrau.
Das Mädchen weint am Morgen und trinkt seine Milch
und vergißt den nächtlichen Löwen.
Aber in der nächsten Nacht kommt aus der Ecke
hinter dem Schrank ein anderer Löwe hervor
und erfüllt das Zimmer mit der Schnauze
und mit der Mähne.
05 Und das Mädchen küßt ihn, wenn es auch zittert.
Und zum Lohn verwandelt sich der Löwe zum Prinzen.
Aber Prinzen vertragen Küsse nicht besser als Löwen:
er erstarrt und liegt, ein Steinblock, in der Ecke
des Zimmers.
Das Mädchen weint am Morgen und trinkt seine Milch
und vergißt den nächtlichen Löwen.
10 Aber in der nächsten Nacht wird es den neuen Löwen
doch wieder küssen.
Bald liegen die Findlinge in allen Ecken des Zimmers,
zurückgelassen von den nächtlichen Gletschern.
Die Besucher tun, als ob sie nichts sähen;
sie wissen ja nichts von der Sekunde des Prinzen.
15 Das Mädchen weint am Morgen und trinkt seine Milch
und vergißt den nächtlichen Löwen.
Der Wind vom Gebirge ist kalt,
sie weichen vom Sandstrand aus
und küssen sich in der Grotte.
Der Wind vom Gebirge ist kalt,
05 aber nur er weckt die toten
Rosen: sie blühen nur in der Drehung,
sausende Rosen des Winds, aus dem Grund
Wasser aufsaugende Rosen.
Sie riechen den Duft nicht, bevor
10 die Pampelmuse, rot geworden, vom Tisch fällt.
Jetzt frieren sie vor der Grotte; die Rosen
erloschen auch für sie, die allein
sahen rot sausen das Beet bis zum Gebirge.
Der Wind vom Gebirge war kalt.
15 Sie wichen vom Sandstrand aus
und küßten sich in der Grotte.
Sie kommen schon aus der Grotte.
Die kalte Stunde des Winds
vom Gebirge allein ist die Stunde der Rosen.
Der Mond blieb in den Wolken hängen,
sie flackern über den Arkadenhof.
Die Gloriole der Madonna in der Ecke
verzichtet zu erhellen den Arkadenhof.
05 Die zwei Soutanen verbieten's,
sie fahren aus dem Tor, verdunkeln
mit großem Flattern den Arkadenhof.
Der Mond fiel in die zwei Soutanen.
Sie flattern von seinem Flackern und befehlen
10 der Gloriole: «Bleib geduckt!»,
«Bleib finster!» dem Arkadenhof.
Die Wolken fahren leer,
und die Soutanen flattern,
gefangen ist der Mond und treibt mit Flackern
15 die zwei Soutanen über den Arkadenhof.
Die Woge der Nymphen floh mit dem Wind vorm Meerbeben landeinwärts.
Das Rotlicht hielt auf an der Straße und staute die Woge der Nymphen.
Denn die Wagen rasten nach dem Wasserwochenende zurück in die Stadt,
und es gab kein Schild «Nymphenwechsel».
05 Die Woge der Nymphen stand. Aber ihr Fragen
«Warum nicht weiter?» dreht sich, Windmühlen, im Wind immer weiter.
Der Sturz der Giganten brach mit dem Sturm jenseits vom Berghang,
die Bräute zu holen.
Das Rotlicht hielt sie auf an der Straße und staute den Sturz der Giganten.
Denn die Wagen rasten nach dem Wasserwochenende zurück in die Stadt,
10 und es gab kein Schild «Gigantenwechsel».
Der Sturz der Giganten stand. Aber ihr Zürnen
«Warum nicht weiter?» blieb, Felsblöcke, liegen.
Die Wagen rasen noch heute
nach den Wasserwochenenden zurück in die Stadt.
15 Sie meinen, die Windmühlen, die Felsen
bleiben, bloß weil Rotlicht ist, gegenüber einander
stehn an der Straße für immer, für immer.
Das Grab haben sie heut
in Alexandrien geöffnet. Der Wind
treibt den Geruch
über die Pharen aufs Meer.
05 Ein Beet weht nach Cypern und weckt
den Hirten am Berggrab auf Kreta. Das Grab
haben sie heut in Alexandrien geöffnet. Sie stehlen,
sie tragen den Leichnam zum Meer.
Der Geruch verrät ihn den Inseln und schwillt
10 auf und bildet
und wölbt in der Adriabeuge Venedig.
Heilung eines Kranken und Rettung eines Schiffes in derselben Nacht
Nachtwandrer, wohin
willst du vorüber? –
Am Saum des Moors Schlaf
flieh’ ich vorüber aufs festere
05 Wasser: dort strandet
eben am Riff ein Schiff und ruft mich. –
So gib mir, Nachtwandrer, schnell
die Hand in das Moor Schlaf
heraus, gib mir deine Hand! –
10 Nur mit dem Finger rührt er mich an und geht
schon schnell übers Meer. Doch ich sitze
geheilt im Morgen, der schnell
fährt. Und herein
fährt das Schiff, das der Wandrer im Fliehn
15 wegzog mit dem Finger vom Riff und, ein Spielzeug, herein
stieß in das Geschrei der
entgegenlaufenden Kinder.
Der verlorene Leichnam
Die Lagune stinkt.
Jeder Wellenschlag schwemmt
Kot an die Stufen von Santa Maria della Salute.
Die alte Frau im Motorboot hält sich
05 die Nase zu. Aber sie freut sich, daß die Paläste
einzustürzen beginnen.
So wird man den Leib des heiligen Markus
vielleicht wieder finden.
Die Kanoniker, die ihn bewahrten,
10 sind alle gestorben. Man hatte
kein Geld für neue, denen
sie ihr Geheimnis hätten weitergegeben.
Die Arbeitslosen auf den zerbröckelnden Brücken
wagen einander nicht anzusehen und angeln
15 Konservenbüchsen. Viele
gibt es von damals, als noch die Fremden
herkamen. Inzwischen freilich
ging der Leib des heiligen Markus verloren. Und jeder
fürchtet den Tod in der Jauche, die schon
20 allmählich erstarrt. Die Lagune
stinkt.
Die Tauben
steigen vom Platz
auf und gurren und wundern
sich mit wirrem Flügeln, warum
05 einer, der nicht einmal Flügel
hat, nicht bleibt auf dem Platz und sie füttert.
Warum er steigt auf Gerüste und baut
Türme.
Sie bedenken nicht, daß für Maurer
10 Türme zu bauen sich lohnt, fehl
zu treten, zu stürzen. Am Schopf
faßt sie die Hand des Luftgängers, // 589
des heiligen Markus und legt
sie sacht hin auf den Balken.
Ein Stein trifft den Spiegel. Du siehst dich,
geflügelter Löwe, im Spiegel.
Er bricht, und der Henker
bohrt dir das Holz in die Augen.
05 Es splittert. Er will
dir die Flügel abhacken. Das Eisen
schmilzt. Du brauchst nicht
zurück nach Venedig. Du bist
der geflügelte Löwe geblieben.
Das rostige Dampfboot rührt um
den Kanal und stößt vor sich her
die Melone und stößt sie
die Treppenstufen hinauf.
Du hingst am Balken. Der Regen
hatte dein Bild
gelegt in den Lehm.
Du fielst in dein Bild.
Auffindung des Leichnams
Der Motor liegt still.
Schaukeln und Rufe
vom Steg: man hat ihn gefunden!
Schaukeln und Rufe, Gestank der Fische, des gelben
05 Leichnams. Die Kapelle
ist hell und voll Rauch.
Keiner zieht den, der im Boot sitzt,
eben vorm Sinken heraus,
es sei denn der heilige Markus.
Wessen Flehn ihn aus dem Gewölk
05 aus Gewittern und mächtiger Täuschung
herzog, der griff auch die Lichthand
und stieg hinüber und ließ
sein Votivbild am Pfeiler.
Das Boot
10 versteht es nicht mehr und wühlt
die Wellen und schlägt, bis er fällt, an den Pfeiler.
Verdorrt liegt dahinter der Leichnam.
Die Hand
hält keinen mehr, alle ertrinken.
Zweifelst du, Leser von Büchern, nur darum
nicht am Dasein dieses Menschen,
der neben der Frau im Garten sein Bier trinkt
und neben dem sommersprossigen Söhnchen,
05 das, den Mund von Erdbeereis ganz überschmiert,
aus Biertellern ein Haus baut:
nur darum nicht,
weil manchmal eine Bewegung
seiner Schulter ihn als den Sohn der Sonne verrät,
10 der auf Emesas Mauer den Purpur sich umwirft;
nur darum nicht,
weil manchmal ein Glanz im Winkel des Augs
und ein Zucken im Winkel des Munds
ihn als den gleichen Cäsar verrät, der am Fenster
15 des Palasts in Lutetia erstmals den Ruf
hört: Augustus –?
Zweifelst du nur darum nicht, Leser von Büchern,
weil der Jubel des Kindes über das Haus
aus Biertellern sich verrät als der Jubel
20 der Legionen für Spenden,
das Lächeln der Frau als das Lächeln der neu erhöhten Augusta,
die Schaumkrone des Biers als der Lorbeer?
Zweifelst du, Leser von Büchern,
nur darum nicht am Dasein dieses Menschen?
25 „Nein, es ist die uralte Münze,
und diese Lösung hat sie für einmal gereinigt: Kann sein,
daß eine schärfere Lösung ein genaueres Bild gibt.“
Der Schnee begann gestern abend zu schmelzen. Ich sitze
da in der Gosse, die Wagen
spritzen mich an. Die Leute
fahren vom Theater nachhaus. Und mir
05 fliegt vom Baum die Zikade,
die kein anderer sah,
herab in die offene Hand und
singt, solang ich es will.
Das Theater ist lange geschlossen. Ich sitze
10 in der Gosse und halte
ausgestreckt meine Hand, sie wird nicht
müde: es singt
meine Zikade.
Die Fallschirmspringer
schlingern in den Drehwindwirbeln und sind
erst unten am Boden
nüchtern. Die Boote
05 sind leck, und die Inselbewohner
vermissen das Wissen,
Boote zu bauen, nicht mehr.
Die Fallschirmspringer
bringen die weißen
10 Zelte. Aufgerichtet
riechen sie nach den Gewürzen, welche die Priester
gemischt für das Fest
der gefallenen Engel. Die sind,
unten am Boden,
15 schon nicht mehr nüchtern: Geruch
der Gewürze, Trommeln, Trommeln, Gestampf.
Die Flaschen stehn in der Einfahrt.
Du stolperst. Die blinde
Büste riecht nicht das Blut,
das sich mit dem Katzen-
05 urin mischt. Der Ginster
stürzt hinter dem Brunnen hervor in die Lache
und stürzt in die Scherben und wird
nicht naß und schneidet sich nicht.
Du bleibst in der Einfahrt
10 liegen. Betäubung.
Oben im Saal preßt Dionysos sein Ohr an den Mund der ehernen
Sibylle.
Die Gefangenen unten im Kerker werfen mit Kieseln.
Das Ei, das von der Decke hängt, ist voll Gift,
05 und wenn es zerbricht,
röcheln die Gefangenen verkrümmt an den Wänden.
Er nimmt wohl besser das Ei weg.
Nichts nützt ihm der Tod der Gefangenen,
wenn er nicht weiß,
10 was sie gegen ihn mit den Kieseln bereden.
Dionysos preßt vergeblich sein Ohr an den ehernen Mund der Sibylle.
Nicht wird der Vogel
sich hereinverirren und sich am Feuer
Gardine entzünden. Er schlägt
mit den Flügeln die Lampen, so daß sie
05 wackeln. Federn fallen
zwischen die Häuser.
Unter den Dächern
gibt es Verstecke. Sein Blut
tropft auf einen weißen
10 Kühler. Er schwirrt
hin und her zwischen den Mauern und sieht
auf dem Pflaster die Marmel
glänzen. Er schießt
nieder. Die Kinder
15 werden ihn finden.
Einsamer, einsamer ist der Felsen,
seit man ihm Agaven gesellte,
seit man ihm gesellte dies leere
brettervernagelte Haus.
05 Seit der Vulkan
aus dem Meergischt aufstieg und langsam
heranzuschwimmen, einziges Auge,
heranzuschwimmen begann
an den einsamen, einsamen Felsen,
10 sitzt
auf der Antenne der Vogel.
Du kannst
mit deinem Spiegel den beiden
Panthern, welche die Treppe
um die Wette herunter
05 laufen, das Fell
nicht versengen. Sie laufen
zu schnell. Die Kinder
ziehn sie in den Tanzkreis
und singen. Die Panther
10 springen in großen
Sätzen hinaus und hinüber und fressen
die schweigenden Fische.
Du zeigst
von der Terrasse hinaus auf die Flügel,
die du hergezogen. Sie kommen,
gefesselt, nicht von der Stelle.
05 Bis der Vorhang, den Sklaven zu schwer,
herabstürzt und zuschließt und verfinstert,
bis der Dreizack die Flügel
aufstört und davonscheucht.
Um deine Hand hängt
10 klatschnaß die Manschette.
Die Welle
zieht den Kies ins Weite und erschreckt
den Vogel, der
die Schäume fürchtet; denn sie
05 lecken unersättlich, salzig. Und der Vogel
zieht die Klauen an und dreht
hinaus ins Weite, dehnt
die Flügel mit
den Wellenkämmen.
10 Die Fische springen. Selten
fällt der Vogel auf sie nieder. Meistens
schwebt er, taumelt
traumlos und erinnert sich
nicht an eine dieser Küsten, die, bereit zu folgen
15 dem Wink und Ziehen,
klirrend kichern.
Das Inselfloß zu verschieben,
gelingt den Stürmen nicht. Die Vögel
frieren über den Tieren,
welche von jenseits der Wüste
05 aus den Wäldern gekommen
sind und entgeistert
am Horizont gehen Der Wind
drängt sie zu Rudeln zusammen.
Bis im Dezember
10 stürzen die Vögel ins Meer.
Zu Silvester schwemmt es
sie herein in die Gruben,
die unsere Füße im Sommer
gescharrt.
15 Verirrte werden
am Neujahrsmorgen die erfrorenen finden
und als Geschenke nehmen und stecken
in die zerschlissenen
Mäntel aus undefinierbarem Pelzwerk.
Schlage die Türe nicht zu,
wenn draußen allmählich
die Milch über den Himmel herabrinnt.
Hast du je gehört, daß der Milchschaum schon einmal
05 in den Kanal lief, daß er
überquoll und das Haus
überschwemmte? Ihm voraus wird ein Windstoß
fahren, die Tür
aufreißen und an die Wand
10 schmettern, so daß der Kalk
in Brocken herabfällt, er wird die weißen
Blätter von deinem
Tisch wischen. Bis dahin
ists noch eine Weile.
15 Schlage die Türe nicht zu!
Nur die größten Vögel erreichen
mit dem Sand, den der Sturm
aufrührte, das Dach und bleiben
sitzen, bis die Räuber die Ziegel
05 stehlen.
Dann flüchten sie auf die zerzausten
Palmen und warten
auf einen anderen Sturm. Als ob es
Häuser mit goldenen Dächern
10 ohne Zahl und überall gäbe.
Bis es dunkel wird, lauern
an unserer Tür die gesprenkelten Vögel.
Dann flattern sie auf und kreischen
uns um die Füße,
05 eh sie aus unseren Mündern
picken die Stunden.
Die Vögel kreischen im Leeren,
und wenn sie im Sturz
unten anlangen, dann sind sie
schon zur Hälfte verwest.
05 Wir hätten
sie eher gepflückt, wenn das Meer, seine Messer
hin und her wendend,
uns nicht geblendet.
Und dann das Kreischen im Leeren …
Hätten die Fledermäuse im Keller den Winter
überstanden, wir säßen
jetzt nicht im Staub der Kadaver,
die in der Hitze zerfielen. Wir
05 rissen uns nicht die Hemden in Fetzen, die Luft,
die nur das Hupen
der Piratenschiffe durchdringt,
zu bewegen.
Hätten die Fledermäuse im Keller den Winter
10 überstanden, das Flattern
ihrer kralligen Flügel schreckte uns nicht, wie
die Piratenschiffe uns schrecken,
die droben hupend vorbeiziehn.
Wenn das Wasser zurückebbt, siehst du im Haff
nicht nur Geschling,
nicht nur zerquetschte Kanister,
sondern du siehst
05 bei genauerem Hinschaun auch die eine und andre
Quader der halb vollendet
liegengelassenen Mole.
Der Schnee schmölze und tropfte,
ließe schiffbare Teiche
zurück, wenn du die Zweige
ansähst. Und bei genauerem Hinschaun
05 wüchsen Blumen,
Zwitscherbüsche umschlössen,
wenn du die Augen dann senktest,
die schiffbaren Teiche.