Notizbuch 1950-51

Inhalt: Prosanotate, Briefe, 88 Entwürfe zu 75 Gedichten (15 Endfassungen)
Datierung: 12.11.1950 – 14.12.1951
Textträger: Rotes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/04 (Schachtel 79)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1948-50, Kutter
Kommentar: 29 Texte rhythmische Prosa, 20 gereimte Gedichte, 14 reine Prosanotate und Briefentwürfe
Deckblatt oben: Kuno Räber, Mitte: Begonnen am 12.11.50
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften
Sie zu finden, die Rose,
die Rose im Garten, innerste Rose am Wasser,
unmöglich ist es: denn am Weg lauert der Geist, Erdgeist, der sich nach dem Besitz verzehrt der ihm gänzlich entblühten, der Rose, die aufwuchs und in ihrem Duft wandelte die Kraft seines Reichs in ein Neues und Fremdes: in einen Himmel aus Düften und aus Purpur, der den Gefilden entstammt seliger Geister, die er hasst, der Geister der oberen Sphäre, die nahe wohnen // 004 dem einen Licht; und sie spiegelt das Licht, die Rose spiegelt das Licht und bildet es ab.
02 So reckt sich der Geist der Erde, hier am Eingang zum Hain und sucht mich zu hindern, mich Sehnsüchtigen nach der Blume des Himmels: reckt sich auf, Schlange, züngelnd empor an meiner ängstlichen Wendung; und wie mich ermanne und dringe vor, da brüllt er mir als Löwe ins bebende Antlitz, dem Wiederaufgerafften stürzt er als Adler ins Auge. Auch dies Trugbild schwand // 005 vor dem neuen Mut (er stammt nicht von mir, er ist Mut des tieferen Herzens, des Herzens in mir zutiefst und so ausser mir, des Herzens, das mich mit dem Ursprung des Daseins vereint):
03 und ich kam und sah und roch die ewige Blume, die stets blühende vor jenen, die mehr sind als sie selbst, die kennen die Zelte des Königs, die hören den Ruf zum Heerbann; in seinem Thronzelt hat er die Rose, über die Krone geehrt, ihr Anblick ist // 006 Leben; wer sie pflückt aber, stirbt; denn er ist nicht mehr ausser dem König: in der gefundenen Rose
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Besonderes: Anfang schwebend zwischen Vers und rhythmischer Prosa
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 003, 004, 005, 006 (oben)
Zum Roman:
es müsste ein Symbol gegeben werden, das aber auch als Ganzes Symbol wäre, nicht in einzelne schöne Episoden auseinanderfiele. Und dies Ganze müsste zwingend sein, da sein, nicht nur gewollt sein, sozusagen durch geistige Organisation zusammengefügt, dass ihm // 007 von oben ein Sinn gegeben würde, der am Schluss oder an einzelnen wichtigen Punkten bloss zum Vorschein käme: sondern er müsste sich aus der ganzen Geschichte von selbst ergeben, sie müsste ihn von ihrem Zentrum her darstellen.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosanotat
- Datierung: fehlt
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 006 (unten), 007 (oben)
Mondscheinzwielicht, milchiger Dämmerung wachsende Klarheit gen Mitternacht ist am hellsten im Forst, wo es nur einmal einfällt auf den Teich, an dessen Rand die Rose blüht, um diese Stunde nur // 008 blüht, wunderbare Nachtblume, täglicher als alle andern. Sie allein macht Tag mitten im nächtlichen Forst. Wenn der Mond aufgeht, milchig im Forst, niederrinnt so geistig fern, blüht sie auf, silberne Rose am Wasser im Forst, heller als der Mond, heller als die Nacht, Tag in der Nacht.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 007 (unten), 008
Reinen Herzens Erfahrung
wo denn anders ist solcher Strauch
mit silbernen Blättern
glänzend denn in den herbstlichen Gärten,
05 Gärten der vollsten Gegenwart,
über denen die Kuppel steigt,
Kuppel des Pavillons galanter Spiele?:
wo sind sie anders als hier
am Ende des Jahrs, in der Fülle,
10 die süss schmeckt,
zu süss schon, in der
Süsse den Abschied?
Hier ist reinen Herzens Strauch
mit den silbernen Blättern,
15 Strauch der kindlichen Erfahrung, // 010
die da nicht weint im Abschied,
die weiss um den Abschied,
schon wusste, als die Taube,
die weisse Gefährtin dem
20 Kind aus der Hand entschwebte,
hoch wegflog, still glänzend, über
die Kronen der Bäume,
die roten und gelben Kronen am Abend.
So auch lächelt sie jetzt und geht hinein in
den Pavillon mit der Kuppel,
schliesst die Türe, entglänzend,
25 wie die Sonne sank eben und
die Kühle weht aus den Bäumen.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 009, 010
Hier geht wie ein Vogel die Wolke und enteilt der reinen verfolgenden Bläue. Da drängt sich das Rote dazwischen des Abends, Glanz, der die Schwärze der Wolke verhüllt. Wenn der Prinz mit dem Pferd aus Ebenholz sich aufhebt und kommt und vor dem Roten noch reitet, dann ist das Blaue verzaubert und vergisst die Verfolgung, trachtet nur noch den Reiter zu halten, den Reiter zu ziehn in die reine Wollust der Klarheit, der immer grösseren am Abend, // 012 der ganz grossen, wenn alles schwand und grün ist und am Rand aus düsterem Gold der Himmel, aus ausgewalztem Gold: darin schwebt das Pferd, wiegt in der Glut und jauchzt der Reiter, weiter hinein in das Bett des sinkend gekühlten Taggestirns hinter dem goldenen Vorhang.
02 Wie einsam bleibt zurück mit seinen spärlichen Lichtern der Palast und auf den Zinnen die verlassene Braut, nimmer getröstet von den Nachtsternen, die heraufkommen nun einer nach dem andern. Sie // 013 geleiten den Mond, stillen silbernen Jüngling, der herüberkommt, auch er verlassen entflohn dem jenseitigen Reich. Und er kommt und nimmt die Verschmähte, fährt sie weg von der Insel, zum Kuss, zur Hochzeit auf den Wogen des Ozeans, im Boot, das Keiner findet, in die Grotte unsagbaren Glücks.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 011, 012, 013 (oben)
Gegründet ist die Stadt am Berge und ihre Bürger gesammelt, doch ist sie öde und nicht Stadt noch, solange sie bleibt ohne das Haus für // 014 den rettenden Gott, dem alle brennen, dem ihre Seelen gehören seit dem Augenblick, der hellen Stunde, die sie auf einmal erleuchtet. Und als der Wüstensiedler, heiliger Schauer des Ewigen vorbeigeht an ihren Gemarken, fassen sie ihn, der sich weigert, und führen ihn auf den Platz am Fusse des Bergs: hier am Hang über den Häusern der Bürger[n] sei uns das Haus, der Tempel des Gottes. Sei uns Hirte, segne den Bau.
02 Der heilige Mann hebt die Arme und sieht gen Himmel, wo ihm Licht bricht herab, und alle hören das Dröhnen // 015 der Erde: der Berg ist nicht mehr da, ist in die Ferne entrückt und begrenzt den Horizont jenseits der Ebne: hier baut eure Kirche spricht er und mich lasset frei. Spricht und wendet sich, durchschreitet die Menge, eilt fort in die Wüste.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 013 (unten), 014, 015 (oben)
Rinnsal vorbei an den goldenen Pforten der Geheimnisstadt mündet ins Meer unerfahren[,] der klaren Bäche, zuströmender aus der goldenen Pforte. Immer mit Fracht, mit dem Geröll aus der // 016 Stadt: Diamanten, nie von der Strömung verzehrten, nimmer gleichen im Glanz, in der lichtspendenden Reinheit: Bäche aus heiligem Wein, von der Tafel des Königs geflossen, vom Tisch der versammelten Grossen, denen er naht, ein Diener und wäscht die Füsse.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 015 (unten), 016 (oben)
Erkenntnisflamme strahlend ohne Wärme, den Gesteinen zu im Kern der Erde, den klaren gleichfalls kalten Mineralen. Entrückung hinein in diese tiefe Mitte. Die andre Flamme, höherer Erkenntnis, // 017 sie fällt herab dem Opfernden auf den Altar und schlägt empor dem grossen Lichte zu, der heissen Rose über allen Kreisen entflammend All und sich dem All verströmend.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 016 (unten) , 017 (oben)
Erkenntnisflamme strahlt ohne Wärme den Gesteinen zu im Kern der Erde, den klaren gleichfalls kalten Mineralen. Entrückung spendend nach der tiefen Mitte. Da doch die andre Flamme höherer Erkenntnis dem Opfernden herab fällt auf den Altar und schlägt zurück empor dem grossen Lichte zu, der // 018 heissen Rose über den Kreisen, All entflammend und sich dem All verströmend.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 017 (unten), 018 (oben)
Grünes Licht strömt herauf dem Gänger auf den Gründen, über den Schluchten und den schmalen Gräten, lichter Dampf süsser wallend in die gebannten Sinne. Bis es den alten Mann dort trifft auf dem Gipfel, der den gezeugten Sohn auf dem Altare opfert: da jene andre Leuchte, die von oben des nachts ihm schien, ihn stärker lockte und jene Stimme, die ihm raubte, // 019 was sein Fleisch am meisten liebte. Er gab es hin und erhielt den Sohn geweiht zurück, als Feuer hell und heiss ihm fiel vom Himmel.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950-51
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/04
- Seite / Blatt: 018 (unten), 019 (oben)