Notizbuch 1950

Inhalt: Notizen, Prosa, 71 Entwürfe zu 54 Gedichten (8 Endfassungen)
Datierung: 7.12.1949 – 10.11.1950
Textträger: Blaues Notizbuch, liniert; Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (7 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/03 (Schachtel 79)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1945-50, 1948-50, Kutter
Kommentar: 9 Texte rhythmische Prosa, 21 reine Prosanotate, 1 Briefentwurf
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (3 private Prosanotate nicht erschlossen)
O fürchterliche Glorie
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- Konvolut: Notizbuch 1950
- Besonderes: Einzeîliges Notat
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: fehlt
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 140 (Mitte)
Heliopolis (Forts.)
gibt nur Hierarchie.
03 Eher zopfig wirkt es, wenn manchmal allzu deutlich Gesellschafts- und Lebensformen des deutschen 19. Jhdts, des Kaiserreichs der Hohenzollern insbesondere durchschimmern: so in dieser Jagdgesellschaft Orion oder in dem Herrendasein der Offiziere mit ihren Burschen und Dienern. Solche Dinge können das Buch nicht entwerten. Sie zeigen nur, wie selbst ein so hoher Geist wie Jünger an die Bedingungen seiner Herkunft gebunden bleibt, selbst wenn er sich in eine symbolische Höhe begibt, wo ihn das Alltägliche // 004 kaum mehr zu berühren scheint. Gerade dieser reine Raum, den er errichtet, birgt ihm¿ anscheinend die Gefahr, dass er zuweilen die Massstäbe für das Angemessene, für den ganz einfachen guten Geschmack verliert: so ist die Szene mit dem Greis auf der Freitreppe zwar sehr sprechend für das, was gezeigt werden soll, sie ist aber geschmacklos, geradezu kitschig, sie kann im realen Zusammenhang des Geschehens nicht begründet werden.
04 Gerade solche Dinge freilich lassen die Einzigartigkeit dieses Kunstwerks deutlich werden: sie zeigen, an welch äusserstem // 005 Punkte es errichtet ist. Die grossen Stücke bisher scheinen mir vor allem: im Symposion bei Halder das Gespräch über den Wein und die Malerei, das Gespräch zwischen Serner und Ortner über den Menschen, die Vorträge über das Glück, der Vortrag Ortners über die Dichtung und den Roman. Dann die Tagebuchaufzeichnung des Lucius aus dem hydrobiologischen Institut, sein Abend mit Melitta auf der Insel.
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- Konvolut: Notizbuch 1950
- Besonderes: Prosanotat; direkte Fortsetzung von Notizbuch 1949. Gleicher Text wieder im Tagebuch 7.12.1949
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 003, 004, 005 (oben)
Walter G. sprach mir gestern von meinen Gedichten. Insbesondere über jene Aufstiegszene, die endet // 006 mit den Worten: „… und unverletzte Gärten auf den Inseln“. Es schienen ihm gerade diese letzten Worte bezeichnend für meine Versuche, von denen er meint, sie seien bedeutend. Sei dem wie immer mit Walter G., meine Stellung zu ihm ist mir doch noch sehr unklar, auch weiss ich noch nicht, was ich von seinem Geistigen zu halten habe. Seine Ausbildung scheint, wie die vieler begabter Mediziner, sehr hinter seiner Sensibilität zurückzustehen. Doch dies scheint er, das glaubte ich immer, zu haben: Gespür für das Eigentliche. Insofern ist mir seine Sympathie für meine Verse doch sehr wertvoll, sehr erfreulich, Ausweitung // 007 des Raumes, darin man lebt und gehört wird.
02 Er sprach mir auch über die Labilität des Selbstbewusstseins, die stete Gefährdung des Glaubens an die eigene Produktivität als eine der wichtigsten Bedingungen dieser Produktivität. Eine Problemstellung, die bei ihm zu finden mich sehr erstaunte, freudig erstaunte. Da sie mir bestätigte, dass er zu meinen entscheidenden Anliegen einen Zugang hat. Das ist ja unter Menschen sehr selten auf den ersten Anhieb. Er war imstande, auch dies aus den Versen zu lesen. Und dazu, scheint mir, braucht es doch einen überdurchschnittlichen // 008 Grad der Einfühlungsgabe.
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- Konvolut: Notizbuch 1950
- Besonderes: Gleicher Text wieder im Tagebuch, 8.12.1949
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 005 (unten), 006, 007, 008 (oben)
Du stehst, so hoch,
du reine Göttin des Gelingens:
ob Du zu mir die Schwinge jemals senkst?
Du lang Vertriebene aus den Hallen des angestammten Reichs, des von Dir gross¿genährten, dem Du der Siege Kränze botest lang? Wirst Du den späten Erben, dessen, was es war, wirst Du den späten Erben dulden wie Du die starken Ahnen liebtest? Er trägt das ihre siehst Du es, mit andern Waffen, er trägt das ihre, zitternd auch, Gestalt!
02 Lang gingen sie an Deinem // 009 Bild vorbei und suchten in den Höhlen der wilden Väter einen eignen Geist. Doch fanden sie nur stets der eignen Seele Wirren und gaben Dunkleres den schon zu dunkeln Brüdern.
03 Du bliebst allein im hallenden Palaste. Und warest ohne Ungeduld allein: nicht bedurftest Du der Menge. Sie, vielmehr bedurften Deiner. Lange gings bis sie es endlich wussten. Sie suchten den Weg zu Dir. Es fanden ihn nur die hellsten. Die Deines alten Volkes Art am reinsten wahrten.
04 Die unsern irrten weiter in den Forsten und irren noch, ob wohl auch dieser schon und jener durchs Tor fand und // 010 die Stufen hinauf zu Deinem Altar: die reinsten Kinder Deiner Grösse sind von den unsern. Doch sie sind gar selten.
05 So komm denn ich, ein schwacher Spätling mit meiner kleinen Gabe und hoffe, dass, Ewige Du, mich gnädig krönst.
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- Konvolut: Notizbuch 1950
- Besonderes: Beginn in Versen, in Prosaform übergehend
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 008, 009, 010 (oben)
Du stehst so hoch, o reine Göttin des Gelingens, ob mich deine Schwinge jemals streift? Du Vertriebne aus dem angestammten Reich, dem du die Siegeskränze botest ein Jahrtausend lang: wirst du den späten Erben derer dulden, des starke Ahnen du so ohne Mass geliebt? Er trägt das ihre, siehst du, wenn auch ohne Waffen, er trägt das Ihre, // 011 zitternd, die Gestalt.
02 Die meisten gingen seit an deinem Bild vorbei und suchten in den Höhlen der wilden Väter einen eignen Geist. Doch fanden sie dort nur verdorbnen, wilden Honig und gaben Saures den schon zu sauren Brüdern. Du bliebst allein in leerer Halle, doch ohne Ungeduld. Du bedurftest ihrer nicht, wie deiner sie bedurften (ob sies auch wussten nicht). Nur wenige fanden zurück den Weg zu dir, die hellsten, die wahrten deines alten Volkes Art.
03 So komm auch ich, ich wag es, zager Spätling, mit kleiner Gabe und bitte, dass du mich einmal nur mit deiner Schwinge streifst, so hoch du stehn auch magst, o reine Göttin // 012 des Gelingens.
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- Konvolut: Notizbuch 1950
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosagedicht
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 010 (unten), 011, 012 (oben)
Sonst dämmert alles noch erblindet hin,
bis auf die lichten Züge grosser Vögel,
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln // 013
hernieder auf die Kuppel, wach erhöhte,
05 über die Stadt, die blind im Dämmer liegt.
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- Konvolut: Notizbuch 1950
- Details: V. 03 Emendation (Gedankenstriche): die – schon die Sonne aus den Schwingen – träufeln→ die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln
- Letzter Druck: GESICHT IM MITTAG 1950
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 012, 013 (oben)
Sonst dämmert alles augenlos dahin
bis auf die lichten Züge grosser Vögel
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln
hernieder auf die Kuppel, wach erhöhte,
05 über die Stadt, die blind im Dämmer liegt.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950
- Letzter Druck: GESICHT IM MITTAG 1950
- Textart: Verse
- Datierung: fehlt
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 013 (Mitte)
Sonst dämmert immer augenlos die Stadt,
bis auf die lichten Züge grosser Vögel
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln,
hernieder auf die Kuppel, wissend hohe
05 über der Stadt im Dämmer ohne Augen.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950
- Letzter Druck: GESICHT IM MITTAG 1950
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 013 (unten)
Die reine Konzentration als Mischung aus Anregung von aussen und Ruhen in der eigenen Mitte. Eindrücke, die bewegen und bestimmen, aber nicht erschüttern. Das Zentrum, das aufnimmt, aber nicht wankt. Dieser Status darf wohl nie erreicht sein. Aber stets erstrebt. Die Gefahr der Erschütterung muss stets gespürt sein, drohend empfunden. Die fruchtbare Situation ist die eines bestimmten [des] Ausgleichs der innern und äusseren Kräfte, die stets wieder entschwindet und stets wiederkehrt. Das Ende wäre die monumentale Erstarrung, die Erreichung des Zieles. Das wäre der Tod. Vielleicht gibt es das einmal. Dann müsste man alles // 015 von der Erschütterung, vom Zusammenbruch hoffen.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950
- Besonderes: Prosanotat. Gleicher Text wieder im Tagebuch, 11.12.1949
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 014, 015 (oben)
Der Gang im Traum ist wachsende Erhellung,
Erhellung, die uns in der Gruft umfängt
Die Augen öffnen sich und sehn die reinen Schätze
gehäuft dem glücklich hier Gefangnen.
05 Entrückung aus dem Trug der obern Länder
ist höchste Gnade, dem der Gnade will
und dieser Sonne sich getrost entwendet:
dort unten leuchtet jede Wand von innen:
es leuchtet Wein aus stets gefülltem Krug.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950
- Besonderes: Vgl. dazu Der Gang im Traum ist stets ein Gang zu Dir (17.12.1949)
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 015 (unten)