An Hans Noll.
01 Es kann sich beim im Gespräch
doch nicht nur um ein Aufstapeln
von Paradoxen handeln, es sei denn
man mache den Widerspruch der Er-
scheinungen so deutlich, dass sie,
zwangsweise, den Blick, dasie Rich-
tung des inneren Auges auf
eine Gestalt hinweisen, die jen-
seits alles vereinigt, die den
Widerspruch vollkommen auf-
hebt im unsäglich Klaren, im
geläuterten Reinen. Aber jenseits:
das will sagen: die Gestalt (man
könnte es auch anders nennen,
das Reine, vielleicht auch, wenn ich
ver¿ recht verstanden habe, das Hei-
tere Heideggers, oder, das ist schon
kühn: Gott, insofern er uns be-
gegnet), die Gestalt kann nie //
theoretisch definiert, philosophisch
oder theologisch irgend zureichend
umrissen, sie kann nur ge-
schaut werden. Schau aber lässt
sich nur im Bilde annähernd
ausdrücken, mitteilen. Hier ist
doch wohl die Beziehung der
Kunst zur Mystik, zu jenem
Ort darin, den man Ekstase heisst.
Denn es handelt sich darin wohl
um eine Art Ekstase, wenn auch,
in der höchst reflektierten Dich-
tung der Gegenwart z. B. oder
auch der hohen Antike, des Ho-
raz, des Vergil, um eine weithin
bewusste Technik des Schauens,
eine Methode der Annäherung an
die Gestalt – dies mag immerhin
zweifelhaft sein, es ist mir noch
nicht klar – um eine Methode //
auf jeden Fall, eine immer ge-
nauer ausgebildete Technik der
Wiedergabe geschauter Gestalt, der
Wiederholung der Gestalt im Aus-
druck.
02 Wenn mir dies annähernd gelingt:
das M¿ Nachbild der Gestalt im Stoffe
(des Wortes z. B.) dann ist wohl ein
ebenso Wichtiges erreicht wie j ei-
ne theoretische Erklärung, eine Theo-
logie irgend einer Art jemals errei-
chen könnte. Das Paradox muss
gesehen werden, bis zum letzten,
bis in den Zynismus des Bekennt-
nisses scheinbarer Sinnlosigkeit von
allem: erst dann wird der Glanz der
höchsten Wölbung, die der Klang der
siebten Sphäre offenbar!
24.1.50