Samstag, 17 März 1951

Zum 60. Geburtstag meiner lieben Mutter

Schnell rollen die Gestirne über die Wipfel dahin,
schaukeln die Winde über der Flur,
wenn die Seherin sitzt nach langer Irrung am
Eingang der Grotte, 
wo sich der Berg senkt zum Ufer des Flusses, 
05 und überschaut ruhigeren Herzens die glänzende Tiefe, 
die aus der Ebene fern ragenden Klippen, 
leuchtend wie Segel der Schiffe tröstender Zukunft. 
Tröstender Zukunft Verheissung kommt durch die Lücke der Wolke // 060 
auf grün samtenem Grunde, 
10 die weisse Sichel in farbigen Dünsten, 
und in den Sternen die flüchtig in den wogenden Wolken 
spielen, Dienerinnen, die prangende Herrin. 
Noch einmal, nochmals bebt das innere Zelt, 
das verschlossene Heiligtum des Herzens der Frau
am Eingang der Grotte, 
15 nochmals, aber leise wie die Saite sich regt, 
wenn der schlafende Spieler sie zufällig mit dem Ärmel berührt. // 061 
Ihr Auge blickt gross, blickt freudig, das einst so viele
Tränen geweint, 
blickt freudig hinaus zum Strom, zu den Klippen wie Segel, 
zur Sichel empor in farbigen Dünsten, 
20 zu den tanzenden Sternen, 
blickt freudig auf all die Weite, die sie lange durchfahren, 
ruft dann den Vogel vom Wipfel, dass er sich nähre aus ihrer Hand, 
dass er sie nachher begleite, sitzend auf ihrer Schulter, 
     an ihre Wange das Köpfchen geschmiegt, 
hinein in die bläuliche Grotte, bevor die Ränder sich röten.


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Zum 60. Geburtstag meiner
lieben Mutter

Wie Schnell rollen die Gestirne über die 

Wipfel dahin, 

schaukeln die Winde durch über der 

Flur, 

wenn die Seherin
wenn die Weise  sitzt nach langer 

Irrung am 

Eingang der Grotte, 

wo sich der Berg senkt hinab zum Ufer 

des Flusses, 

05 und überschaut xx ruhigeren Her-

zens den Glanz 

die glänzende Tiefe, 

die aus der Ebene fern ragenden 

Klippen, 

leuchtend wie Segel der Schiffe 

tröstender Zukunft. 

Tröstender Zukunft Verheissung 

kommt durch 

die Lücke der Wolke // 

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auf dem grünen Samt samtenem 

Grunde, 

10 derie Mond weisse Sichel in farbi-

gen Dünsten, 

wo die  und in den Sternen, die 

flüchtig in den wogenden Wol-

ken 

spielen, Ehren Dienerinnen, die 

prangende Herrin. 

Noch einmal, nochmals bebt 

das Herz der innere

Zelt,

das verschlossene Heiligtum des Her-

zens der Frau 

am Eingang der Grotte, 

15 nochmals, aber wie leise wie von 

die Saite sich regt, 

wenn der schlafende Spieler die 

sie zufällig mit dem Ärmel 

berührt. // 

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Ihr Auge blickt gross, blickt freudig, 

das einst so viele Tränen 

geweint, 

blickt freudig hinaus zum Strom, 

zu den Klippen wie Segel, 

zumr der Sichel empor in far-

bigen Dünsten, 

20 zu den tanzenden Sternen, 

blickt freudig nochmals auf all 

die Weite, die sie lange 

durchfahren, 

ruft dann den Vogel vom Wipfel, 

dass er sich nähre aus ihrer 

Hand, 

dass er sie begleite nachher begleite, 

     sitzend auf ihrer Schulter,  

     an ihre Wange das Köpfchen 

geschmiegt, 

hinein in die bläuliche Grotte, bevor 

die Ränder sich röten. 

17.3.51

 

  • Details:

    V. 13 Emendation: der innere → das innere

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Fassung: Erste Fassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: C-2-b/04
  • Seite / Blatt: 059, 060, 061

Inhalt: Prosanotate, Briefe, 88 Entwürfe zu 75 Gedichten (15 Endfassungen)
Datierung: 12.11.1950 – 14.12.1951
Textträger: Rotes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/04 (Schachtel 79)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1948-50, Kutter
Kommentar: 29 Texte rhythmische Prosa, 20 gereimte Gedichte, 14 reine Prosanotate und Briefentwürfe
Deckblatt oben: Kuno Räber, Mitte: Begonnen am 12.11.50
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

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