Luzern
Schweizerische Satire
Die Erhaltung der Unabhängigkeit des Vater-
landes ist das höchste
Ziel und die höchste Pflicht der schweizeri-
schen Behörden:
sie zu verteidigen vor allem gegen alle
Gefahren, die
von aussen ihr drohen: Früher war dies
noch einfach,
05 als es Heere zu bekämpfen gab, die
Österreicher zum Beispiel, gepanzerte
Ritter.
Heute aber ist die Drohung viel grösser, weil
sie
auf allen Gebieten des Lebens sich zeigt,
weil der Feind durch tausend Ritzen
10 eindringt in unser verwahrtes, geschlossnes,
wohl gereinigtes Haus.
Der Feind ist das Ausland!
Er hat seine Waffen seit jenen heroischen
Zeiten //
wohl geschärft und kunstvoll verfeinert.
Und drang er vor Jahrzehnten ein mit
seinen Büchern,
15 warf er seine schlüf¿ schlüpfrigen, seine
undemokratischen,
vom Gedankengut des Totalitarismus
und der Diktatur
durchtränkten Zeitschriften in die
Seelen
unserer un alpenunschuldigen
Jugend,
so sch¿ errichteten wir eine Schanze,
geschickt,
20 mit unsern eigenen Schriften, mit
unsern
eignenenen Büchern. Das verderbliche Reden,
das staatsgefährliche, von der germanischen
Rasse
ertrank so, gottlob, bald inm der laut
gesungenen Lob des
gesungenen Lob vom keltischen Rund-
schädels,
25 in urhaften Tönen der Keltisch-ale-
mannischen //
Idiome. So wurde die Fahne auf der Zinne
der Alpen bewahrt gerettet, das Hirtenhemd
rein bewahrt von den Schmutzspritzern
des Feindes.
Denn der Feind ist das Ausland!
30 Nicht ruhig lässt er uns schlafen nur eine
Nacht:
Wir haben an die Stelle seines Papiers das
unsre gesetzt
in den Kiosken, wir haben seine Rund-
funkprogramme
übertönt durch unsre eignen. Und seine
Waren
haben wir¿ werden, dank der Schweizer-
wache, von unsern aufrechten
Bürgern
35 nicht mehr gekauft. Und schon sinnt
er auf neue
heckt er aus eine neue Gewalttat:
er überstrahlt mit seinen Fernsehsendern
unsre wehrlosen Städte. Mit seinen Revuen,
seinen Songs, seinen Sketschs dringt er ein //
in unsere Häuser, weh in unsere die
lauteren Schweizerherzen der
Kinder.
40 Mit seinen fremden Visagen will er berücken
verdrängen der Jahrhundete
reine Essenz: das schweizerische Antlitz,
mit seiner künstlichen, herrschsüchtigen
Sprache schon wieder, schon
wieder
(haben wir sie noch nicht endgültig vertrieben
(haben wir sie noch nicht endgültig verdrängt?)
den b traulichen
den blanken den Urlaut der Alpen.
28.12.54
45 Unser Nationaldrama zwar schrieb d uns der
Schwabe Schiller,
und auch Gottfried Keller und Meyer, die uns
die Schweizer Dichter par excellence
bedienten sich seiner Sprache: man wusste
es damals nicht
besser.
Und dDer Helvetismus war damals, wie immer,
schon da in den Seelen und im Blut
der Schweizer.
Aber zur bewussten Weltanschauung, zur Ideo-
logie, //
50 die dem helvetischen Menschen allein und ein-
zig entspricht,
vollendete er sich erst in unserer Epoche.
So wollen wir denn jetzt gründen eine Kom-
mission aus Männern,
die das Vaterland lieben, dass sie einen Plan
aufstellen, würdig der Helden
von Morgarten und Sempach:
dass¿ wie jene Steine Felsblöcke hinab-
wälzten auf die Köpfe der Fein-
de
55 (und der Feind ist das Ausland!)
so sollen sie Sender aufstellen an den geeig-
neten Punkten,
um denie Programmene des Feindes, seinene
Revuen und Songs und Sketschs
↓mit
unsereren Revuen und Songs und Sketschs
zu zermalmen.
Um die Speere seiner Lieder und Reklamen,
alles was treffen könnte,
60 ihm auszuziehen, und, umgedreht,
alpen alpen gereinigt und helvetischer //
xxx alpen gereinigt unddl↑mit
Lautung gewandet ihm zurückzusenden
wie die Speere kürzlich in Sempach.
Lasst uns eine Mauer bauen, nein, Stachel-
drahtrollen,
elektrisch geladne, haushoch legen um un-
ser Land,
mit einigen Lücken freilich für den Frem-
denverkehr,
65 lasst uns mit Radarstrahlen fremdeen
Gedanken, Rundfunk,
Bildfunk, fremde Gedanken überhaupt
abwehren von der
Ewigen Schweiz. Wir haben gekämpft
bei Morgarten, Sempach, bei Dornach
und Marignano.,
das ist genug. Wir haben genug von der
Geschichte
70 und wollen uns jetzt endlich erholen,
unsre Geschichte – man denke an Tell –
war anstrengend genug. Lasst uns
austreten
und¿ aus der Geschichte, aus der Welt
überhaupt. //
Wir schicken ihr Liebesgaben und in den
Kriegen –
75 die sind eben unvermeidlich – Rotkreuz-
kommissionen.
Das ist genug, übergenug. Sonst aber,
stehn wir den Felsen gleich, nie vor
Gefahren bleich.
Heil Dir, Helvetia, stehn wir den F hast
noch der Söhne ja,
stehn wir den Felsen gleich, nie vor
„da wo der Alpenkreis dich nicht zu schüt-
zen weiss,
stehn wir den Felsen gleich, nier vor Gefahren
bleich,
Schmerz uns ein Spott. Heil Dir, Hel-
80 vetia, hast noch der Söhne ja, wie sie
St. Jakob sah,
Schmerz uns ein Spott.“
28.12.54