Mittwoch, 15 Dezember 1954

Der Kohlenschlepper dringt …*

Der Kohlenschlepper dringt
in den engen Kanal, der, ungewohnt,
flieht in grossen Wellen hinauf
an die Mauern der Häuser, 
05 an die Mauern des Palastes,
wo noch immer, wenn von
der Vorüberfahrt nur noch
Sirenentöne in den Treppenhäusern
hängen und Ölflecke, 
10 dirnenhaft schillernd
die badenden Knaben be-
schmutzen,
schüttelt der Engel in den Zimmern,
angstfiebrig irrend // 057
15 das kahle Gezweig der
dicht verwachsnen, vergilbten,
Palmbüsche, die trostlos
seit Jahrzehnten
wuchern und, toter
20 Urwald, die Gänge undurchdringlich verwirren
und seine Spitzenwäsche,
das feine Hemd ihm zerreissen,
was kaum er bemerkt,
weil eine Spinne sich aus den
25 Zweigen herablässt und kriecht
über sein rosiges Bein.
Er steht im Glashaus des Grauens,
rührt nicht Finger und Fittich,
damit ers nicht erschlüge.
30 Am Morgen kommen die Kinder und
rufen: warum denn steht // 058
dieser Engel unter Glas. Und die
Mutter lacht und erklärt:
Warum wohl? So wird er nicht staubig.


Seite 056 (A-5-c_07_056.jpg)

 

Der Kohlenschlepper dringt

in den engen Kanal, der, ungewohnt,

flieht in grossen Wellen hinauf

an die Mauern der Häuser,

05 an die Mauern des Palastes,

wo noch immer, wenn da¿ vomn

der Vorüberfahrt nur noch

Sirenentöne und¿ in den Treppenhäusern

hängen und ölig Ölflecke,

10 dirnenhaft schillernd

die Knaben badenden Knaben be-

schmutzen,

zittert das Gezweig in Angst, fallen¿

Steine¿ auf den Hügel

und die kahle Krone

des undurchdringlichen dichten

kahlen Gebüschs in der Brust¿

schüttelt der Engel
schüttelt der Geist in den Zimmern,

fiebrig angstfiebrig irrend //

Seite 057  (A-5-c_07_057.jpg)

15 das kahle Gezweig der

dicht verwachsenennen, vergilbten,

Palmbüsche, die trostlos stehn

und rascheln seit Jahrzehnten stehn und

im Wind ihre¿ wuchern und stets¿, toter

welkender? Urwald, Zweige Gänge
20 rascheln¿ Urwald, die Gänge¿ undurch-

dringlich verwirren .

15.12.54

und die den¿ seine Wäsche zerreissen,
und wurde? seine  Spitzenwäsche zerreissen,

das feine Hemd ihm zerreissen,

Da lässt eine Spinne sich

aus¿ den¿ Doch¿ was¿ er¿ kaum bemerkt

Doch was kaum er bemerkt, plötzlich

gestellt ins Glashaus des Grauens:

weil dieseeine die Spinne ↔ lässt¿ ↑sich↑ aus den

Zweigen heral ↓lässt
25 Zweigen herab  und gelassen kriecht

über sein rosiges Bein.

Er steht im Glashaus des Grauens,

bewegt sich nicht rührt nicht Finger und

Fittich,

damit ers nicht erschlüge.

30 Am Morgen kommen die Kinder und

rufen: warum denn steht //

Seite 058  (A-5-c_07_058.jpg)

dieser Engel im Schrank¿.

hinter¿unter Glas. Und die

Mutter lacht und erklärt:

Warum wohl? So wird er nicht staubig.

15.12.54

 

  • Besonderes:

    Umschrift mit teilweise problematischen Entzifferungen

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Fassung: Erste Fassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/07
  • Seite / Blatt: 056, 057, 058

Inhalt: 57 Entwürfe zu 42 Gedichten, Notate zu szenischen Texten, Motiv-Notizen
Datierung: 14.1.1954 – 3.10.1955
Textträger: Hellbraunes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 130 beschriebene Seiten (S. 94-114 fetter schwarzer Bleistift)
Publikation: Die verwandelten Schiffe (19 Gedichte), GEDICHTE (1 Gedicht), Verstreutes (4 Gedichte)
Signatur: A-5-c/07 (Schachtel 29)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1954, 1955, Typoskripte 1954, 1955
Kommentar: S. 120-122 Motive zu Gedichten
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (keine Umschriften bei Prosanotaten)

Weitere Fassungen

Notizbuch 1954-55 (alph.)
(Total: 59 )
Notizbuch 1954-55 (Folge)
(Total: 59 )
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