Samstag, 14 August 1954

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können …*

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können,
ich hätte – endlich – ein sicheres Einkommen gehabt
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Formen,
wie man sie häufig bei bürgerlichen
Söhnen der Republiken findet,
05 wäre völlig auf ihre Rechnung gekommen.
Auch hätte mich ganz einfach die Macht
über so viele gelockt, 
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen.
Ich hätte Kaiser von Japan werden können,
warum nicht? 
aber die Reise bis dorthin war mir zu weit,
10 und der Wechsel all meiner Lebensumstände, // 043
der Gedanke, auf einmal in Bilderschrift
schreiben zu müssen 
(die, wenn ich recht verstehe, nur den
Gedanken und das Bild festhält, nicht
den Sprachlaut, so abstrakt ist sie)
dies widerstrebte meiner Trägheit und auch
meiner Angst vor allem
Unberechenbaren, ganz Fremden.
Und dazu die Pflichten der Repräsentation,
15 die mir ein spontanes Leben verboten hätten,
verboten hätten, wie jetzt,
hinüberzusehn in den Spiegel, worin
die rote Wand der Garage von jenseits der Garage
nicht vermag den Regentag der Strasse
20 zu erhellen und die Sonnenstore, die
man offenbar vergessen hatte, 
nun dunkel und düster über die Scheiben herabhängt 
und trieft, eine schwere tiefe Wiederholung der Wolken // 044
des Himmels. 
Dies alles könnte ich nicht mehr, und so 
zog ich, trotz allem, es vor, nicht Kaiser 
von Japan zu werden.


Seite 042 (A-5-c_07_042.jpg)

Basel

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden

können,

aber die Reise bis dorthin war mir zu

lang,

ich hätte – endlich – ein sicheres Einkom-

men gehabt

und meine Liebe zum Prunk, zu aristo-

kratischen Formen,

wie man sie häufig bei bürgerlichen

Söhnen der Republiken

findet,

wärevöllig
05 wäre  auf ihre Rechnung gekommen.

Auch hätte mich ganz einfach die Macht

über so viele gelockt,

die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen

Entschlüssen.

Ich hätte Kaiser von Japan werden

können,

warum nicht?

aber die Reise bis dorthin war mir zu

weit,

10 und auch der Wechsel all meiner Lebens- //

Seite 043 (A-5-c_07_043.jpg)

umstände,

umstände der Gedanke, auf einmal in Bilder-

schrift schreiben zu müssen

(die, wenn ich recht verstehe, nur aus¿ den

Gedanken und das Bild festhält, nicht

dieen Sprachlaut, so abstrakt ist sie)

dies widerstrebte meiner Trägheit und auch

meiner Angst vor allem Un-

berechenbaren, ganz Fremden.

Und dazu die Pflichten der Repräsentation,

15 die mir ein spontanes Leben verboten hätten,

verboten hätten, wie jetzt, unter all den Men-

schen

hinüberzusehn auf¿ in den Spiegel, worin

die rote Wand der Garage von jenseits der Ga-

rage

nicht vermag dieen regnerische Regentag der

Strasse

20 zu bel erhellen und die Sonnenstore, die

man offenbar vergessen hatte,

nun dunkel und düster über die Scheiben herab-

hängt

und trieft, eine schwere tiefe Wiederholung

der Wolken //

Seite 044 (A-5-c_07_044.jpg)

des Himmels.

Dies alles könnte ich nicht mehr, und so

zog ich, trotz allem, es vor, nicht Kaiser

von Japan zu werden.

14.8.54

  • Besonderes:

    Ortsangabe: Basel

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Fassung: Erste Fassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/07
  • Seite / Blatt: 042, 043, 044 (oben)

Inhalt: 57 Entwürfe zu 42 Gedichten, Notate zu szenischen Texten, Motiv-Notizen
Datierung: 14.1.1954 – 3.10.1955
Textträger: Hellbraunes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 130 beschriebene Seiten (S. 94-114 fetter schwarzer Bleistift)
Publikation: Die verwandelten Schiffe (19 Gedichte), GEDICHTE (1 Gedicht), Verstreutes (4 Gedichte)
Signatur: A-5-c/07 (Schachtel 29)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1954, 1955, Typoskripte 1954, 1955
Kommentar: S. 120-122 Motive zu Gedichten
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (keine Umschriften bei Prosanotaten)

Weitere Fassungen

Notizbuch 1954-55 (alph.)
(Total: 59 )
Notizbuch 1954-55 (Folge)
(Total: 59 )
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