Dienstag, 12 Oktober 1954

Raupe und Schmetterling (J)

Den glänzenden Falter 
innen trägt die unscheinbare
Nonnenraupe; wenn, als in der Vorhalle lang sie 
gewartet und, nun auf dem Platz es zu dämmern begonnen, 
05 endlich an den Gendarmen vorbei, die in Gruppen zu vier
die Drängenden ordnen, 
eingedrungen ins Herz, dessen Riesengewölb hinter Simsen 
verborgene Lampen erleuchten: 

wenn, in der reglosen Hitze nur vom dunkel 
stockenden Blutstrom der Frommen aufrecht gehalten, 
10 jetzt endlich sie fängt im über 
den Kopf emporgehaltenen kleinen 
Spiegel – darin [sie] nie oder nur mit 
schlechtem Gewissen sich selbst sie erblickte – 
auf den weissen Greis weit vorn auf dem Thron 
15 (man hat alle Fenster geschlossen, damit er sich nicht erkälte),
der französisch anspricht die Menge: 

jubelt sie „wie schön er doch ist“ und 
trägt, Raupe den Falter, ihn dann hinaus auf die Strasse, 
blind für den hoch über den Reihen 
20 der Klosterschülerinnen, die mit Kerzen 
durch die Schwärme der Autoglühwürmer 
zur im Wechsel hellen, im Wechsel erloschnen Monstranz ziehn, // 18
für den Neonring über jetzt lichten Laternen 
um die Silhouette des Mailänder Doms, der wieder, 
25 gelb werbend, umkränzt die rote Hostie "Motta" – : 

trägt ihn, bis dass sie, die Raupe, 
selbst, eines sicheren Tags, ein glänzender Falter.


Blatt 17 (A-5-c_08_260.jpg)

J  II

Raupe und Schmetterling

Den glänzenden Falter

↔ trägt ↑innen↑ die unscheinbare Raupe, Nonnenraupe

Nonnenraupe die No wenn, als nac als
 die  Nonne; die N wenn, sie nachdem in der Vorhalle lang sie

gewartet und,  nun
gewartet und, als auf dem Platz es zu dämmern begonnen,

05 endlich an den Gendarmen vorbei, die in Gruppen zu vier

die Drängenden ordnen,

eingedrungen ins Herz, dessen Riesengewölb hinter Simsen

verborgene Lampen erleuchten: 

wenn, in der reglosen Hitze nur vom dunkel

stockenden Blutstrom der Frommen aufrecht gehalten,

jetzt
10 nun endlich sie fängt im über

den Kopf emporgehaltenen kleinen

Spiegel – darin sie nie oder nur mit

schlechtem Gewissen sich selbst sie erblickte –

auf den weissen Greis weit vorn auf dem Thron

15 (man hat alle Fenster geschlossen, damit er sich nicht erkälte

der französisch anspricht die Menge: 

jubelt sie "wie schön er doch ist" und

trägt, Raupe den Falter, ihn dann hinaus auf die Strasse,

blind für den hoch über den|Reihen

20 der Klosterschülerinnen, die mit Kerzen

durch die Schwärme der|Autoglühwürmer

zur im Wechsel hellen, im Wechsel erloschnen Monstranz ziehn, //

Blatt 18 (A-5-c_08_261.jpg)

J Raupe und Schmetterling 2

für den Neonring über jetzt lichten Laternen

um die Silhouette des Mailänder Doms, der wieder,

25 gelb werbend, umkränzt die rote Hostie "Motta" – :

trägt ihn, bis dass sie, die Raupe,

selbst, eines sicheren Tags, ein glänzender Falter.

12.10.54

 

  • Details:

    V. 15 Emendation: Ergänzung der abschliessenden, den Blattrand sprengenden Klammer + Komma

  • Besonderes:

    Typoskript mit Direkt- und Bleistiftkorrekturen

  • Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: A-5-c/08_035
  • Seite / Blatt: 17, 18

Inhalt: 205 Manuskripte und 25 Typoskripte zu 33 Gedichten (3 Endfassungen)
Datierung: 1.1.1954 – 27.12.1954
Textträger: 271 Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 36 Dossiers, 270 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (15 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: A-5-c/08 (Schachtel 35)
Herkunft: Mappe EG 54 I, EG 54 II

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

Manuskripte 1954 (alph.)
(Total: 230 )
Manuskripte 1954 (Folge)
(Total: 230 )