Donnerstag, 29 Juli 1954

29.7.54

Mit der Kraft des Dichters wächst seine Fähigkeit, die ganze Welt, alles ihm überhaupt Erfahrbare seinem Gedicht einzuverleiben. Die preziöse Scheu vor dem Unpassenden, dem Banalen verringert sich, indem es für ihn immer weniger Unpassendes, Banales gibt. Es wird ihm immer deutlicher, dass alles geistiger Durchdringung fähig ist, alles auf diese Durchdringung wartet. Sein Glück besteht dann darin, sie zu leisten: alles in seinem Wesen zu erhellen, die Grundlinien jeder Erscheinung sichtbar zu machen. Und hier // ist Erscheinung nun in einem weitesten Sinn verstanden. Es ist damit sowohl das Anschaubare, sinnlich unmittelbar Wahrnehmbare gemeint, als auch alles Gefühlte, Gedachte. Der Raum der Poesie erweitert sich so um das Vielfache, eigentlich unendlich, damit auch die Gefahren (vom Zentrum abzugleiten). Aber es lohnt sich, sie zu riskieren, um des Gewinnes willen an Freiheit, an Reichtum, an bildender, enthüllender, das Wesen der Welt bestimmender Macht.

  • Textart: Prosanotat
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: C-2-a/08
  • Werke / Chronos: Bd.6, 197, 198

Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)

Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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