Manuskripte 1959-1960

Inhalt: 71 Manuskripte und 64 Typoskripte zu 52 Gedichten (keine Endfassungen)
Datierung: 6.3.1959 – 11.5.1959; 1.8.1960 – 12.12.1960
Textträger: 161 Einzelblätter (A4-Format), Typoskript-Makulatur (außer Typoskripte); Bleistift
Umfang: 53 Dossiers, 166 beschriebene Seiiten
Publikation: GEDICHTE (27 Gedichte), Flussufer (7 Gedichte)
Signatur: A-5-e/01 (Schachtel 38)
Herkunft: Grüne Mappe GE 1959-60

Kommentar: Die Niederschriften für Flussufer begannen am 1.8.1960
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften; Reihenfolge bei Zyklen angepasst

Freitag, 06 März 1959       )

Die Pyramide (A/B)

Der Leopard schläft unten am Fuss,
die Tänzerin dreht
auf der purpurnen Spitze der Pyramide.
Die Falter, müde vom Flug
05 über den Gräsern, besuchen
die Tänzerin oben und lassen
sich fangen im Netz
auf der purpurnen Spitze der Pyramide.

Der Leopard wacht auf, wenn das Gras
10 neben ihm raschelt,
wenn aus dem Netz der gestürzten
Tänzerin wehn, eine gelbe
Wolke, die Falter,  // 01v
besuchen die nun violette 
15 Spitze der Pyramide.

Das Motorrad erschreckt
mit seinem Lichtschein den Leoparden. Er läuft
hinter die Pyramide. Und schon 
schwarz ist die Spitze. Und die Falter
20 taumeln im Lichtschein:
Dreht die Tänzerin hier? Die gelbe
Wolke schmilzt in den Lichtschein.

Der Leopard schläft hinter der Pyramide,
da stehen die Gräser, // 02
25 die Tänzerin dreht
auf der purpurnen Spitze der Pyramide.

Dienstag, 07 April 1959       )

Die Pyramide (C)

Der Leopard schläft am Fuss,
die Tänzerin dreht
auf der purpurnen Spitze der Pyramide.
Die Falter, müde vom Flug
05 über die Gräser, besuchen
die Tänzerin oben und lassen
sich fangen im Netz
auf der purpurnen Spitze der Pyramide.

10 Der Leopard wacht auf, wenn das Gras
raschelt und wenn aus dem Netz
der gestürzten Tänzerin wehn, eine gelbe
Wolke, die Falter, besuchen
die nun violette
15 Spitze der Pyramide.

Das Licht des Motorrads erschreckt
den Leoparden. Er läuft
hinter die Pyramide. Und schon
schwarz ist die Spitze. Die Falter
20 taumeln ins Licht des Motorrads
Dreht die Tänzerin hier? Die gelbe
Wolke schmilzt ins Licht des Motorrads.

Der Leopard schläft hinter der Pyramide,
Das Gras steht, und die Tänzerin dreht
25 auf der purpurnen Spitze der Pyramide.

Datiert: 1959       )

Die Pyramide (D)

Der Leopard schläft am Fuss,
die Tänzerin dreht
auf der Spitze der Pyramide.
Die Falter, müde vom Flug
05 über das Gras, besuchen
die Tänzerin oben und lassen
sich fangen im Netz
auf der Spitze der Pyramide.

Der Leopard wacht auf, wenn das Gras
10 raschelt und wenn aus dem Netz
der gestürzten Tänzerin wehn, eine gelbe
Wolke, die Falter, besuchen
die Spitze der Pyramide.

Das Licht des Motorrads erschreckt
15 den Leoparden. Er läuft
hinter die Pyramide. Die Falter
taumeln ins Licht des Motorrads. 
Dreht die Tänzerin hier? Die gelbe
Wolke schmilzt ins Licht des Motorrads.

20 Der Leopard schläft hinter der Pyramide. 
Das Gras steht und die Tänzerin dreht
auf der Spitze der Pyramide.

Samstag, 07 März 1959       )

Spiegel (A/B)

Die Wand besteht ganz aus Spiegeln.
Der Garten ist dunkel. Die Geier
streiten hoch in der Luft und lassen
Fetzen des Lamms
05 fallen auf die Blumen, die schlafen. Sie heben
schreiend die Köpfe, wenn ätzende Tropfen 
Kots sie treffen. Und innen
im Gartenhaus besteht die Wand ganz aus Spiegeln.
Draussen der Garten ist dunkel.

Dienstag, 07 April 1959       )

Spiegel (C)

Die Wand besteht ganz aus Spiegeln.
Der Garten ist dunkel. Die Geier
streiten hoch in der Luft und lassen
Fetzen des Lamms
05 fallen auf die Blumen, die schlafen. Die heben
schreiend die Köpfe, wenn Kot-
tropfen sie ätzen. Im Garten-
haus besteht die Wand ganz aus Spiegeln.
Draussen der Garten ist dunkel.

Montag, 09 März 1959       )

Miracula Sti. Marci I (A)

In Alexandrien haben sie heut
ein Grab geöffnet. Der Wind
von Süden treibt über die Dächer, die Pharen
den Duft auf das Meer.

05 Ein unsichtbares
Beet weht nach Cypern und weckt
den Hirten vor dem
Berggrab auf Kreta. Ein Grab
haben sie heut in Alexandrien geöffnet. Sie stehlen,
10 sie tragen den Leichnam zum Hafen.
Der Duft verrät ihn den Inseln.
Dann schwillt er auf über dem neuen
Grab in der Adriabeuge und bleibt
und bildet und wölbt die Kuppeln Venedigs.

Dienstag, 07 April 1959       )

Miracula Sti. Marci I (B)

Das Grab haben sie heut
in Alexandrien geöffnet. Der Wind
treibt den Geruch
über die Pharen aufs Meer.
05 Ein Beet weht nach Cpern und weckt
den Hirten vor dem Berggrab auf Kreta.
Das Grab haben sie heut in Alexandrien geöffnet. Sie stehlen,
sie tragen den Leichnam zum Meer.
Der Geruch verrät ihn den Inseln und schwillt
10 auf und bildet
und wölbt in der Adriabeuge Venedig.

Montag, 09 März 1959       )

Miracula Sti. Marci II (A)

Die Heilung eines Kranken und Rettung eines Schiffes in der selben Nacht

Nachtpilger, wohin
willst du vorüber? —

Am Saum des Moors Schlaf
05 flieh ich vorüber aufs Wasser, die festere Insel:
dort strandet eben am Riff
ein Schiff und ruft mich.

So gib mir schnell, Nachtpilger, die Hand
heraus in das Vage, ins Moor Schlaf,
10 gib mir deine Hand. — // 02

Nur mit dem Finger hat er
mich angerührt und geht
schon schnell übers Meer. Aber ich sitze
geheilt im Morgen, der schnell
15 fährt. Und herein
fährt das Schiff, das der Pilger im Fliehn
wegzog mit seinem Finger vom Riff
und heimstiess, ein liebes
Spielzeug in das Geschrei der
20 entgegenlaufenden Kinder.

Dienstag, 07 April 1959       )

Miracula Sti. Marci II (B)

Heilung eines Kranken und Rettung eines Schiffes in derselben Nacht.

Nachtwandrer, wohin
willst du vorüber? –

Am Saum des Moors Schlaf
flieh ich vorüber aufs festere
05 Wasser: dort strandet
eben am Riff ein Schiff und ruft mich. –

So gib mir, Nachtwandrer, schnell
die Hand in das Moor Schlaf
heraus, gib mir deine Hand. –

10 Nur mit dem Finger rührt er mich an und geht
schon schnell übers Meer. Doch ich sitze
geheilt im Morgen, der schnell
fährt. Und herein
fährt das Schiff, das der Wandrer im Fliehn
15 wegzog mit dem Finger vom Riff und, ein Spielzeug, herein
stiess in das Geschrei der
entgegenlaufenden Kinder.

Dienstag, 10 März 1959       )

Miracula Sti. Marci III (A)

Sie suchen den Leichnam

Die Lagune stinkt unerträglich. 
Jeder Wellenschlag schwemmt
neuen Kot an die Stufen von Santa Maria della Salute.
Die Grossmütter im Motorboot halten
05 sich die Nasen zu. Aber sie freuen
sich, dass die Paläste
da und dort einzustürzen beginnen.
Nur so besteht eine Hoffnung, dass man den Leib
des heiligen Markus wieder
10 findet: Die Kanoniker, die ihn bewahrten,
sind alle gestorben. Man hatte
kein Geld, neue
anzustellen, denen sie ihr Geheimnis
hätten weitergegeben. // 02
15 Die Arbeitslosen auf den zerbröckelnden Brücken
fragen einander nicht nach dem Leichnam; denn jeder
fürchtet, der andre
glaube, die Frage
meine, er habe den heiligen Leichnam gestohlen. Und jeder
20 fürchtet sich vor dem Tod in der Jauche, die schon
zu erstarren beginnt. Sie sitzen und schauen
sich nicht an und angeln
Konservenbüchsen, rostige, leere. Noch viele
gibt es von damals, als hier etwa noch Fremde herkamen.
25 Inzwischen freilich
ging der Leib des heiligen Markus verloren. Und die
Lagune stinkt unerträglich.

1959 * (nicht datiert)       )

Miracula Sti. Marci III (B)

Der verlorene Leichnam

Die Lagune stinkt. 
Jeder Wellenschlag schwemmt
neuen Kot an die Stufen von Santa Maria della Salute.
Die alte Frau im Motorboot hält sich
05 die Nase zu. Aber sie freut sich, dass die Paläste
da und dort einzustürzen beginnen.
So wird man den Leib des heiligen Markus
vielleicht wieder finden.
Die Kanoniker, die ihn bewahrten,
10 sind alle gestorben. Man hatte
kein Geld, um neue
anzustellen, denen sie ihr Geheimnis
hätten weitergegeben.

Die Arbeitslosen auf den zerbröckelnden Brücken
15 sitzen und schauen
einander nicht an und angeln
Konservenbüchsen, rostige, leere. Noch viele
gibt es von damals, als hier die Fremden
herkamen. Inzwischen freilich
20 ging der Leib des heiligen Markus verloren. Doch
die Arbeitslosen fragen einander
nichts. Denn jeder füchtet
den Tod in der Jauche, die schon
zu erstarren beginnt. Die Lagune
25 stinkt.

Dienstag, 07 April 1959       )

Miracula Sti. Marci III (C)

Der verlorene Leichnam

Die Lagune stinkt. 
Jeder Wellenschlag schwemmt
Kot an die Stufen von Santa Maria della Salute.
Die alte Frau im Motorboot hält sich
05 die Nase zu. Aber sie freut sich, dass die Paläste
da und dort einzustürzen beginnen.
So wird man den Leib des heiligen Markus
vielleicht wieder finden.
Die Kanoniker, die ihn bewahrten,
10 sind alle gestorben. Man hatte
kein Geld für neue, denen
sie ihr Geheimnis hätten weitergegeben.

Die Arbeitslosen auf den zerbröckelnden Brücken
wagen einander nicht anzusehen und angeln
15 Konservenbüchsen. Viele
gibt es von damals, als noch die Fremden
herkamen. Inzwischen freilich
ging der Leib des heiligen Markus verloren. Und jeder
fürchtet den Tod in der Jauche, die schon
20 allmählich erstarrt. Die Lagune
stinkt.

Dienstag, 10 März 1959       )

Miracula Sti. Marci IV (A)

Die Tauben
steigen vom Platz
auf und gurren und wundern
sich lang und mit wirrem
05 Geflügel warum
ein Maurer, der nicht einmal Flügel
hat, nicht bleibt auf dem Platz und sie füttert.
Warum er steigt auf Gerüste und baut
Türme … –

10 Sie bedenken nicht, dass nur Maurer
die Hand des Luftgängers,
des heiligen Markus, am Schopf fasst und sacht
hinlegt auf den Balken. Sie wissen
es nicht, sie haben ja Flügel. Für Maurer
15 lohnt es sich, Türme
zu bauen, Fehltritte // 02
zu tun und zu stürzen. Am Schopf
hält sie die Hand des
Luftgängers, des heiligen Markus.

20 Der Schopf schmerzt nachher noch lang.
Und die Tauben gurren und wundern
sich mit wirrem Geflügel. Sie sehen
den Luftgänger nicht, den heiligen Markus. Der Maurer
sieht ihn auch nicht. Aber
25 er hält sich erschrocken am Balken und froh:
sein Schopf schmerzt.

Dienstag, 07 April 1959       )

Miracula Sti. Marci IV (B)

Die Tauben
steigen vom Platz
auf und gurren und wundern
sich mit wirrem Flügeln, warum
05 einer, der nicht einmal Flügel
hat, nicht bleibt auf dem Platz und sie füttert.
Warum er steigt auf Gerüste und baut
Türme.

Sie bedenken nicht, dass für Maurer
10 Türme zu bauen sich lohnt, fehl
zu treten, zu stürzen.  Am Schopf
fasst sie die Hand des Luftgängers,
des heiligen Markus und legt
sie sacht hin auf den Balken.

15 Der Schopf schmerzt nachher noch lang.
Und die Tauben
gurren und wundern
sich mit wirrem Flügeln. Sie sehen
den Luftgängerr nicht, den heiligen Markus. Der Maurer
20 sieht ihn auch nicht. Aber
er hält sich erschrocken am Balken
und froh: Sein Schopf schmerzt.

Mittwoch, 11 März 1959       )

Miracula Sti. Marci V (A)

Ein Stein trifft den Spiegel. Du siehst dich,
geflügelter Löwe, im Spiegel.
Er bricht, und ein Henker
bohrt dir das Holz in die Augen.
05 Aber es splittert. Er will
dir die Flügel abhacken.
Aber das Eisen wird Brei.
Du brauchst nicht nochmals zurück
nach Venedig zu fahren.
10 Du bist der geflügelte Löwe geblieben.

Ein Stein trifft den Spiegel.
Aber das Holz, das Eisen
haben dich trotzdem erkannt.
Venedig ist nur ein Spiegel.
15 Die Säule mit dem geflügelten Löwen ist hoch, // 02
und die Flut reicht nicht an die Pranken, 
reicht nicht an das Buch, reicht nicht an die Flügel.
Erschrick nicht und sieh dich an, geflügelter Löwe, im Spiegel.
Ein Stein trifft den Spiegel.

Dienstag, 07 April 1959       )

Miracula Sti. Marci V (B)

Ein Stein trifft den Spiegel. Du siehst dich,
geflügelter Löwe, im Spiegel.
Er bricht, und ein Henker
bohrt dir das Holz in die Augen.
05 Es splittert. Er will
dir die Flügel abhacken. Das Eisen
schmilzt. Du brauchst nicht
zurück nach Venedig. Du bist
der geflügelte Löwe geblieben.

10 Ein Stein trifft den Spiegel.
Aber das Eisen, das Holz
haben dich trotzdem erkannt.
Venedig ist nur ein Spiegel.
Deine Säule ist hoch.
15 Die Flut reicht nicht an die Augen, 
reicht nicht an die Flügel.
Erschrick nicht und sieh dich an,
geflügelter Löwe, im Spiegel.
Ein Stein trifft den Spiegel

Mittwoch, 11 März 1959       )

Miracula Sti. Marci VI (A)

Das rostige Dampfboot rührt immer
um den Kanal und stösst vor sich her
die faule Melone und rollt sie
hinauf die untersten Stufen.
05 Zwischen ihnen und den
obersten Stufen ist heute
die Lücke zu gross. Und es ist gut,
dass keine Fremden mehr kommen.
Der Gassenjunge zertritt die Melone.
10 Sie geifert, sie quietscht,
stösst unter Quietschen den Saft aus. Der Junge
springt hinüber über die Lücke.
Da klafft die Gruft, da liegen
die Mumien alter // 02
15 Dogen, da liegt vielleicht auch,
da liegt das Gebein, verloren unter Gebeinen
das Haupt des heiligen Markus.

Mittwoch, 11 März 1959       )

Miracula Sti. Marci VI (B)

Das rostige Dampfboot rührt immer
um den Kanal und stösst vor sich her
die faule Melone und rollt sie
hinauf die untersten Stufen, rollt sie
05 dem Gassenjungen
zu. Der zertritt sie, sie geifert,
sie quietscht, stösst unter Quietschen den Saft aus. Er springt
über die Lücke zwischen den Stufen. Die Lücke
zwischen den untersten
10 und den obersten Stufen ist heute
zu gross. Es ist gut,
dass keine Fremden mehr kommen.
Da fällt die faule
Melone. Da klafft
15 die Gruft, da liegen
die Mumien alter // 04
Dogen, da liegt auch vielleicht,
da liegt das Gebein, verloren unter Gebeinen,
das Haupt des heiligen Markus.

Freitag, 13 März 1959       )

Miracula Sti. Marci VI (C)

Das rostige Dampfboot rührt immer
um den Kanal und stösst vor sich her
die faule Melone und rollt sie
hinauf die untersten Stufen.

05 Zwischen ihnen und den
obersten Stufen ist heute
die Lücke zu gross. Und es ist gut,
dass keine Fremden mehr kommen.
Der Gassenjunge tritt die Melone.
10 Sie geifert, sie quietscht,
sie kollert hinein <in> die Lücke.
Da klafft die Gruft, da liegen
die Mumien alter
Dogen, da liegt auch, da liegt das Gebein,
15 da liegt an der faulen 
Melone der Schädel des heiligen Markus.

1959 * (nicht datiert)       )

Miracula Sti. Marci VI (D)

Das rostige Dampfboot rührt um
den Kanal und stösst vor sich her
die Melone und stösst sie
die Treppenstufen hinauf.

05 Der Gassenjunge tritt die Melone, sie geifert,
sie quietscht, sie kollert
hinein in die Lücke. Da klafft
die Gruft, da liegen die Knochen
der Dogen, da liegt das Gebein,
10 da liegt an der faulen 
Melone der Schädel des heiligen Markus.

Freitag, 13 März 1959       )

Miracula Sti. Marci VII (A)

Einen Augenblick kannst du dich halten am Balken
Der Regen hat eine Lache
gelegt in den Lehm.
Du spiegelst dich darin vom Balken.
05 Du fällst in dein Bild ....
Nein, der heilige Markus schickt dir ein kleines
Papierschiff über die Lache und fängt dich
auf und du kommst
eben noch ehe es sinkt,
10 vollgesogen von Wasser, heil an den Port.

Freitag, 13 März 1959       )

Miracula Sti. Marci VII (B)

Einen Augenblick hängst du am Balken.
Der Regen hatte die Lache
gelegt in den Lehm.
Du sahst dich darin vom Balken.
05 Du fielst in dein Bild ……

Nein, der heilige Markus schickte ein kleines
Papierschiff über die Lache und fing dich
auf, und du kamst, eben noch ehe,
vollgesogen von Wasser, es sank,
10 heil aus der Lache.

1959 * (nicht datiert)       )

Miracula Sti. Marci VII (C)

Du hingst am Balken. Der Regen
hatte dein Bild
gelegt in den Lehm.
Du fielst in dein Bild.

05 Doch der heilige Markus schickte ein kleines
Papierschiff über das Bild und
fing dich auf, und du kamst,
eben noch ehe,
vollgesogen, es sank,
10 heil aus dem Bild.

Samstag, 14 März 1959       )

Miracula Sti. Marci VIII (A)

Inventio corporis

Der Motor liegt still,
Berauschung des Schwankens, der Rufe
vom Steg: man hat ihn gefunden. Der Leichnam
liegt gelb auf dem Polster und riecht.
05 Berauschung des Schwankens, der Rufe, des Gestanks von
Fischen und von dem gelben
Leichnam. Und die Kapelle ist hell von den Kerzen.

Der Motor springt an, und ich fliehe
die Rufe und den Gestank
10 der Fische, des gelben
Leichnams, erbreche
Berauschung übers Geländer und schmecke
neu und nüchtern das Meer im grauen Vorhof Lagune.

1959 * (nicht datiert)       )

Miracula Sti. Marci VIII (B)

Inventio corporis

Der Motor liegt still,
Schaukeln und Rufe
vom Steg: man hat ihn gefunden.
Schaukeln und Rufe, Gestank der Fische, des gelben
05 Leichnams. Die Kapelle
ist hell und voll Rauch.

Der Motor springt an, und ich fliehe
die Rufe und den Gestank
der Fische, des gelben
10 Leichnams, erbreche
übers Geländer und schmecke
neu und nüchtern das Meer im Vorhof Lagune.

Sonntag, 15 März 1959       )

Miracula Sti. Marci IX (A)

Keiner zieht den, der im Schiff sitzt,
eben vorm Sinken heraus:
es sei denn der heilige Markus.

Wessen Flehen ihn aus dem Gewölk
05 aus Gebeten und mächtiger Täuschung
herzog, der griff auch die Lichthand
und stieg hinüber und liess
sein Votivbild am Pfeiler.

Das Motorboot versteht
10 es nicht mehr und wühlt
die Wellen und schlägt, bis er fällt, an den Pfeiler.
Verdorrt liegt dahinter der Leichnam. // 02
Verdorrt liegt die Hand.
Und keiner ergreift sie, und alle ertrinken.

15 Denn niemand zieht den, der im Schiff sinkt,
eben heraus vorm Ertrinken,
es sei denn der heilige Markus.

1959 * (nicht datiert)       )

Miracula Sti. Marci IX (B)

Inventio corporis

Keiner zieht den, der im Boot sitzt,
eben vorm Sinken heraus:
es sei denn der heilige Markus.

Wessen Flehn ihn aus dem Gewölk
05 aus Gewittern und mächtiger Täuschung
herzog, der griff auch die Lichthand
und stieg hinüber und liess
sein Votivbild am Pfeiler.

Das Boot
10 versteht es nicht mehr und wühlt
die Wellen und schlägt, bis er fällt, an den Pfeiler.
Verdorrt liegt dahinter der Leichnam.
Die Hand
hält keinen mehr, alle ertrinken.

15 Denn niemand zieht den, der im Boot sinkt,
eben heraus vorm Ertrinken,
es sei denn der heilige Markus.

Freitag, 13 März 1959       )

Lotos (A)

Nur die weisse
Dezembersonne schliesst
den Lotos auf,
der auf dem Teich den Sommer über schlief.

05 Nur sie erschrickt ihn nicht,
weil Nebel
an ihr vorbeizieht und ihr Scheinen mildert.
Und sie steht tief und denkt mit schlechtem
Gewissen an die Pracht, den Saft
10 der Wälder, den sie im Sommer reizte, Eitelkeit.

Der Lotos
geht ohne Lärm und ungesehn // 02
von der Dezembersonne auf.
Und glücklich, weil er
15 ihr die Meinung liess, sie reize keinen
zu Pracht und Saft mehr und zur Eitelkeit.

1959 * (nicht datiert)       )

Lotos (B)

Nur die weisse
Dezembersonne schliesst
den Lotos auf,
der auf dem Teich den Sommer über schlief.

05 Nur sie erschrickt ihn nicht,
weil Nebel
an ihr vorbeizieht und ihr Scheinen mildert.
Und sie steht tief und denkt mit schlechtem
Gewissen an die Pracht, den Saft
10 den sie im Sommer reizte, Eitelkeit.

Der Lotos
geht ohne Lärm und ungesehn
von der Dezembersonne auf.
Und glücklich, weil er
15 ihr die Meinung liess, sie reize keinen
zu Pracht und Saft mehr und zur Eitelkeit.

Samstag, 14 März 1959       )

Das Motorrad (A)

Das Motorrad ist rostig. Sein Lärmen,
näher tönt es dem Lärm
bizarrer Vögel des Urwalds.
Er ist verwest, und eine Minute vor dem Gewitter
05 dringt aus dem Pflaster der Dunst.

Das Motorrad ist rostig, und wer
wird es erkennen, sobald es
an einem riesigen Farn lehnt? Dann lärmen
einzig die Vögel, der Urwald
10 nährt die nächste Verwesung.

O, wie es fährt.

1959 * (nicht datiert)       )

Das Motorrad (B)

Das Motorrad ist rostig. Sein Lärmen,
näher tönt es dem Lärm
bizarrer Vögel des Urwalds.
Er ist verwest, und eine Minute vor dem Gewitter
05 dringt aus dem Pflaster der Dunst.

Das Motorrad ist rostig, und wer
wird es erkennen, sobald es
an einem riesigen Farn lehnt? Dann lärmen
einzig die Vögel, der Urwald
10 nährt die nächste Verwesung.

O, wie es fährt!

Montag, 16 März 1959       )

Am Strand (A)

Von der einen
Hand rinnt mir der Sand heiss in die andre,
ich warte auf Särge.

Der eine kam mit der Woge
05 heran, die Gebeine
schienen. Und seither
flieht der Vulkan und zieht mit sich fort
aus der Bucht seine Flamme.

Von der einen
10 Hand rinnt mir der Sand heiss in die andre,
ich warte auf Särge.

Mich blendet
der Schein der Gebeine. Wenn der Vulkan // 02
ganz wegflieht aus der Bucht und
15 mit sich nimmt seine Flamme?

Von der einen
Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich fürchte die Särge.

Montag, 16 März 1959       )

Am Strand (B)

Von der einen
Hand rinnt mir der Sand heiss in die andre,
ich warte auf Särge.

Der eine kam auf der Woge
05 heran, die Gebeine
schienen. Und seither
flieht der Vulkan und zieht mit sich fort
aus der Bucht seine Flamme.

Von der einen
10 Hand rinnt mir der Sand heiss in die andre,
ich warte auf Särge.

Mich blendet
der Schein der Gebeine. Wenn der Vulkan // 04
ganz wegflieht aus der Bucht und
15 mit sich nimmt seine Flamme?

Von der einen
Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich fürchte die Särge.

1959 * (nicht datiert)       )

Am Strand (C)

Aus der einen
Hand rinnt mir der Sand heiss in die andre,
ich warte auf Särge.

Der eine kam mit der Woge
05 heran, die Gebeine
schienen, und seither
flieht der Vulkan und zieht mit sich fort
aus der Bucht seine Flamme.

Aus der einen
10 Hand rinnt mir der Sand heiss in die andre,
ich warte auf Särge.

Mich blendet der Schein der Gebeine. Flieht der Vulkan
ganz weg aus der Bucht und
nimmt mit sich seine Flamme?

15 Aus der einen
Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich fürchte die Särge.

1959 * (nicht datiert)       )

Am Strand (D)

Aus der einen
Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich warte auf Särge.

Der eine kam mit der Woge
05 heran, die Gebeine
schienen. Und seither
flieht der Vulkan und zieht mit sich fort
aus der Bucht seine Flamme.

Aus der einen
10 Hand rinnt mir der Sand in die andre,
ich warte auf Särge.

Mich blendet
der Schein der Gebeine. Flieht der Vulkan
ganz fort aus der Bucht und
15 zieht mit sich seine Flamme?

Aus der einen
Hand rinnt mir der Sand kalt in die andre,
ich fürchte die Särge.

Montag, 16 März 1959       )

Begegnung (A)

Die Strassenbahn knirscht in den Schienen, als ob sie
wieherte, als ob sie sich bäumte.
Ihr in die Quere
kam ein weisser
05 Sarg. Und die Kinder
singen Geleit und tragen Kränze aus
Leinwandblüten, aus
gläsernen Perlen.
Ungestört singen und tragen die Kinder: Was macht schon
10 das Knirschen ihnen, die auf ein
Wiehern warten und auf ein sich Bäumen?
Ja, dann würden sie weg
laufen und fallen
lassen die Kränze
15 und stehen den weissen
Sarg auf den Schienen!
Machtlos knirscht die Strassenbahn in den Schienen.

1959 * (nicht datiert)       )

Begegnung (B)

Als ob sie wieherte, als ob sie sich bäumte, 
knirscht die Strassenbahn in den Schienen.
In die Quere kam ihr ein weisser
Sarg. Und die Kinder
05 singen und tragen
Kränze aus Leinwandblüten, aus
gläsernen Perlen.
Ungestört singen und tragen die Kinder: Was macht schon
das Knirschen, ihnen, die auf ein
10 Wiehern warten und auf ein Sichbäumen?
Dann liefen sie weg und
liessen fallen die Kränze
und stehen den weissen
Sarg auf den Schienen. –
15 Doch kraftlos knirscht die Strassenbahn in den Schienen.

Lang schlaf ich und finde am Morgen
im Kofferraum hinter Kanistern
den Schädel. Er lächelt, und ohne
Grausen sagt der Fahrer:
05 ‚Jemand hat ihn in der Nacht hier
versteckt.‘ – Aber ich habe
meinen Mantel auf der Fähre gelassen. // 02
Wer bringt jetzt den Schädel,
eingewickelt in seinen Mantel
10 hinein nach Konstantinopel?

Aus dem Kofferraum nimmt ihn der Fahrer.
Er hat nicht geschlafen und träumte,
als er mich vom Hafen hereinfuhr, es läge
hinter den Kanistern ein Schädel. Das war
15 gefährlich. Nun schaut er,
kaum verwundert und fast ohne Grausen.

Lang schlaf ich und finde am Morgen
im Kofferraum hinter Kanistern den Schädel.
Ohne Grausen sieht ihn der Fahrer:
‚Jemand hat ihn in der Nacht hier
05 versteckt.‘ – Aber ich habe
meinen Mantel auf der Fähre vergessen.
Wer bringt jetzt den Schädel
heimlich hinein, damit keiner 
ihn sieht, bevor man ihn auf dem Altar
10 enthüllt, drinnen in Konstantinopel?

Aus dem Kofferraum nimmt den Schädel der Fahrer
und wickelt ihn in seine Decke und legt ihn
neben sich auf den Sitz. Mich lässt er // 04
stehen und fährt schnell davon und
15 hinein nach Konstantinopel, ohne
Verwunderung und ganz ohne Grausen.

Überwach steh ich im Morgen.

Ich reib mir die Augen am Morgen. 
Aber der Fahrer 
sieht im Kofferraum hinter Kanistern 
ohne Grausen den Schädel. 
05 Wer bringt ihn jetzt heimlich hinein, damit keiner 
ihn sieht, bevor man ihn ausstellt auf dem Altar 
drinnen in Konstantinopel?

Aus dem Kofferraum nimmt
der Fahrer den Schädel und wickelt
10 ihn in seine Decke und legt ihn
neben sich auf den Sitz und fährt
ohne Grausen davon und hinein nach Konstantinopel.
Hellwach steh ich im Morgen.

Dienstag, 17 März 1959       )

Fallschirmspringer (A)

Die Fallschirmspringer
schlingern und schaukeln 
in den Drehwindwirbeln und sind
erst unten am Boden
05 nüchtern. Die Boote
sind alle leck, und die Inselbewohner
sammeln von Palmen die Früchte.
Sie vermissen das Wissen,
Boote zu bauen nicht mehr.

10 Die Fallschirmspringer
bringen die weissen
Schirme ins Dorf. Auf dem Platz // 02
stehen die Zelte und riechen
nach den Gewürzen, welche die Priester
15 gemischt und gerichtet:
In der Nacht ist die grosse
Feier der gefallenen Engel. Sie sind,
obwohl nun sicher am Boden,
schon nicht mehr nüchtern: Trommeln,
20 Trommeln, Gestampf und der Geruch der Gewürze.

1959 * (nicht datiert)       )

Fallschirmspringer (B)

Die Fallschirmspringer
schlingern in den Drehwindwirbeln und sind
erst unten am Boden
nüchtern. Die Boote
05 sind leck, und die Inselbewohner
vermissen das Wissen,
Boote zu bauen, nicht mehr.

Die Fallschirmspringer
bringen die weissen
10 Zelte. Aufgerichtet
sind sie und riechen
nach den Gewürzen, welche die Priester
gemischt für das Fest
der gefallenen Engel. Die sind,
15 unten am Boden,
schon nicht mehr nüchtern: Geruch
der Gewürze, Trommeln, Trommeln, Gestampf.

Mittwoch, 18 März 1959       )

Leerungszeit (A)

Die Boten holen überall aus den gelben
Kästen die Briefe und tragen
sie auf Fahrrädern zum Postamt.

Unvordenklich lange
05 zurück liegt der Tag, wo der Deckel
so schwer auf dem Topf lag, dass die Boten
kaum von der Stelle
kamen. Sie traten
zwar aufs Pedal. Doch es war
10 eingerostet. Die Säcke wurde nach jedem
Kasten schwerer. Laut lachte
der Mond und lud
sein Lachen dazu auf die Säcke. // 02

Heut ist er traurig und leicht von der Grippe.
15 Die Boten gleiten hurtig zum Postamt.
Der Wind hat den Deckel vom Topf
geworfen, bewegt
die Spieluhr und wirft
einen Brief in den Teich. Was keiner
20 sieht und keinen bekümmert.

1959 * (nicht datiert)       )

Leerungszeit (B)

Unvordenklich lang 
zurück liegt der Tag, wo der Deckel
so schwer auf dem Topf
lag, dass der Bote
05 kaum von der Stelle
kam. Das Pedal war
eingerostet. Der Sack wurde nach jedem
Kasten schwerer. Der Mond
lud sein Lachen dazu.

10 Heut ist er traurig und leicht von der Grippe.
Der Bote gleitet zum Postamt.
Der Wind hat den Deckel vom Topf
geworfen, bewegt
die Speichen und wirft
15 einen Brief in den Teich. Was keiner
sieht und keinen bekümmert.

Mittwoch, 18 März 1959       )

Rosse (A)

Unten im Keller des Turms
laufen die Rosse rundum.
Sie pumpen das Wasser, es rieselt
und rinnt von der wiegenden Spitze.
05 Wir sitzen im Zimmer, wir sprechen
und trinken ein Bier nach dem andern,
wir rauchen schnell Zigaretten.

Unten im Keller des Turms
schneller laufen die Rosse rundum.
10 Das Wasser stürzt, Katarakt,
von der wankenden Spitze.
Wir gehen im Zimmer, wir halten
uns an den Wänden, wir flüstern, das Bier
ist verschüttet. Wir rauchen in kurzen // 02
15 Zügen die letzte Zigarette. Der Mond
schwimmt eiliger weg, dass ihn nicht plötzlich die Spitze
aufritzt.

Unten im Keller rasen die Rosse
rundum und schwitzen.

1959 * (nicht datiert)       )

Rosse (B)

Unten im Keller des Turms
gehen die Rosse rundum.
Sie pumpen das Wasser, es rinnt
von der wiegenden Spitze. Wir sitzen
05 im Zimmer, wir sprechen
und trinken ein Bier nach dem andern,
wir rauchen schnell Zigaretten.

Unten im Keller des Turms
laufen die Rosse rundum.
10 Das Wasser stürzt, Katarakt,
von der wankenden Spitze.
Wir irren im Zimmer, wir halten
uns an den Wänden, wir flüstern, das Bier
ist verschüttet. Wir rauchen in kurzen 
15 Zügen die letzte Zigarette. Der Mond
schwimmt weg, damit ihn nicht plötzlich die Spitze
aufritzt.

Unten im Keller rasen die Rosse
rundum und schwitzen.

Donnerstag, 19 März 1959       )

Steine (A)

Da liegen geädert die Steine
aus dem geleerten
Bergwerk. Saum des Trottoirs.
Saum des geleerten Ägyptens.

05 Du fährst am Abend wie immer
mit der Kutsche zum Meer
entlang der Promenade.
Aber am Morgen weckt dich nicht mehr das Scheppern
der Eimer und das Fegen der Besen am Pflaster.

10 Die Wüste kam über die Gärten, betäubte
die Steine, Saum
des Trottoirs, Saum des geleerten Ägyptens. // 02
Echo des Hufschlags von den Mauern. Geädert
lägen darunter die Steine. Sie liegen,
15 wieder betäubt, die Gräber, für dich da
wie einst im entleerten,
im verschütteten Bergwerk Ägypten.

1959 * (nicht datiert)       )

Steine (B)

Da liegen geädert die Steine
aus dem geleerten
Bergwerk. Saum des Trottoirs.
Saum des geleerten Ägyptens.

05 Du fährst am Abend wie immer
mit der Kutsche zum Meer
entlang der Promnade.
Aber am Morgen weckt dich nicht mehr das Scheppern
der Eimer und das Fegen der Besen am Pflaster.

10 Die Wüste kam über die Gärten, betäubte
die Steine, Saum
des Trottoirs, Saum des geleerten Ägyptens,
Echo des Hufschlags von den Mauern. Geädert
lägen darunter die Steine. Sie liegen,
15 wieder betäubt, für dich da im entleerten,
im verschütteten Bergwerk Ägypten.

1959 * (nicht datiert)       )

Die Mondrakete (A)

Sie raste zwar zuerst, hielt aber
ein dann, sank beschämt, beschwichtigt,
dem weissen stillen Weiher zu, der
träumt und bezaubert, was ihm nahe kommt.

05 Die Rakete raste, pfiff und sank am Ende, Blume,
aus einem weit entfernten Garten hergeblasen,
taumelnd in den weissen,
in den runden Mond, den unbewegten Weiher.

Donnerstag, 19 März 1959       )

Die Mondrakete (B)

Sie raste zwar zuerst, hielt aber bald
ein und sank beschämt dem Weiher zu,
der beschwichtigt, was ihm nahe kommt.

Sie raste, pfiff und sank am Ende, Blume 
05 aus einem nahen Garten hergeblasen,
in den unbewegten, in den runden Weiher.

Donnerstag, 19 März 1959       )

Die Mondrakete (C)

Sie raste zwar zuerst, hielt aber
bald ein, beschämt vom unbewegten
Weiher, der ohne
zu verstehen, ansah, was ihm nahe kam.

05 Sie raste, pfiff und sank am Ende,
indem sie das Taumeln, ihn zu täuschen, einer Blume
annahm, die der Wind aus einem nahen
Garten hergeblasen,
in den runden, in den unbewegten Weiher.

1959 * (nicht datiert)       )

Die Mondrakete (D*α)

[ Sie raste zwar zuerst, hielt aber bald
ein, beschämt, und sank dem Weiher zu,
der beschwichtigt, was ihm nahe kommt.

Sie raste, pfiff und sank am Ende, Blume,
05 aus einem nahen Garten hergeblasen, lautlos
in den unbewegten, in den runden Weiher. ]

1959 * (nicht datiert)       )

Die Mondrakete (Dβ)

Sie raste zwar zuerst, hielt aber
bald ein, beschämt vom Weiher, der
stets beschwichtigt, was ihm nahe kommt.

Sie raste, pfiff und nahm am Ende
05 an das Taumeln einer Blume, die
der Wind aus einem Garten hergeblasen, sank
in den unbewegten, in den runden Weiher.

Freitag, 20 März 1959       )

Warnung (A)

Der Stier steht im Eingang
und dringt nicht ein in den Schuppen:
er fürchtet
deine Hummel
05 weniger als das Blinken der leeren
Büchse. Lenke
deine Hummel vorbei auf die Scherbe.
Sie verbeult sie nicht einmal.
Aber wenn sie das Fell des Stiers ritzt,
10 wendet er und ertränkt
dein Gehör im Gellen für immer.
Niemals hörst du dann wieder das Brüllen
des Stiers im Eingang des Schuppens.

1959 * (nicht datiert)       )

Warnung (B)

Der Stier steht im Eingang
und dringt nicht ein in den Schuppen: Er fürchtet
deine Hummel weniger als das Blinken der Scherbe. Lenke
deine Hummel vorbei auf die Scherbe.
05 Sie sticht sie nicht.
Aber wenn sie den Stier sticht,
dreht er sich um und ertränkt
dein Ohr im Brüllen. Und nie 
hörst du wieder das Brüllen des Stiers im Eingang des Schuppens.

Samstag, 21 März 1959       )

Die Geburt (A)

Die Flut schluckt die Schiene. Aber
den letzten Zug greift sie nicht mehr.
Die vergessene Schwangere kreischt 
auf der Terrasse, zerknüllt
05 das Tischtuch, gebiert auf der Holzbank.
Das Blut tropft auf das Pflaster
und ruft zusammen mit dem Geschrei des
Kinds den Hubschrauber vom Festland.
Er steht in geringer
10 Höhe und zieht die Wöchnerin mit dem Kind
über die Wirbel hinauf.
Trägt sie zur winkenden Menge am Ufer. // 02
Jetzt erst schluckt
nach der Brücke, der Schiene
15 die Flut auch die Insel mit dem Gasthaus „Zur Meersicht“,
und reinen Gewissens rülpst sie behaglich.

1959 * (nicht datiert)       )

Die Geburt (B)

Der Zug entgeht eben der Flut. 
Die vergessene Schwangre zerknüllt
das Tischtuch. Das Blut
tropft auf das Pflaster und ruft
05 den Hubschrauber vom Festland.

Er steht in geringer
Höhe und zieht die Wöchnerin mit dem Kind
aus den Wirbeln. Jetzt schluckt,
nach der Brücke, der Schiene, die Flut
10 auch die Insel mit dem Gasthaus "Zur Meersicht" und rülpst.

Samstag, 21 März 1959       )

Strasse (A)

Die Strasse barst
und das Gekröse quillt herauf und stinkt.
Man muss sie wohl verbinden.
Aber dazu wären mehr Binden nötig als der Winter hat.

05 Der Karneval weiss es, schminkt sich mit Kreide
und übersteigt mit Mühe den Graben
und hebt, als ob der ihn trüge, den Schirm
mit dem ausgestreckten Arm hoch über seine spitze Mütze.

1959 * (nicht datiert)       )

Die Strasse (B)

Die Strasse barst. Und das Gekröse
quoll herauf und stinkt. Man muss sie wohl
verbinden. Aber dazu wären
mehr Binden nötig als der Winter hat.

05 Der Karneval
schminkt sich weiss und übersteigt mit Mühe
den Graben, hebt den Schirm, als ob der ihn hinüber
trüge, hebt ihn über seine
spitze Mütze in den Wind.

Sonntag, 22 März 1959       )

Der Gang (A)

Jenseits
der Kommoden, bedeckt von vergilbten
Zeitungen, jenseits
der Spinnweben am Ende
05 des Gangs, immerhin,
liegt der Garten. Die Blumen
freilich sind verdorrt. Jenseits
des Säulengeländers
die Sandfläche ist zwar noch feucht,
10 aus den Wasserlöchern
kreischen einige Vögel. Die Ebbe
hat das Haff sonst gründlich geleert. // 02

Schreie, wenn du hinaustrittst,
dann schweigen die Vögel und fliehen
15 weg über die Nehrung. Dann bist du
mit deiner Stimme allein.

1959 * (nicht datiert)       )

Der Gang (B)

Jenseits der Kommoden, bedeckt
von vergilbten Zeitungen, jenseits
der Spinnweben am Ende
des Gangs liegt der Garten. Die Blumen
05 sind zwar verdorrt. Die
Sandfläche aber, jenseits
des Säulengeländers, ist feucht. Aus
den Wasserlöchern
kreischen einige Vögel. Die Ebbe
10 hat das Haff sonst gründlich geleert.
Schreie, wenn du hinaustrittst,
dann schweigen die Vögel und fliehen
weg über die Nehrung. Dann bist du
mit deiner Stimme allein.

Sonntag, 22 März 1959       )

Der Damm (A)

Der Damm ist wenig
über dem öligen Wasser,
worin so mancher Tanker versackte. 
Geh schnell, denn du weisst nicht,
05 wann das ölige Wasser den Damm überspült.

Den Vögeln sind die Federn verklebt.
Sie sitzen fest auf dem öligen Wasser.
Geh schnell, denn du weisst nicht,
wann das ölige Wasser den Damm überspült. 
10 Sing, denn du weisst nicht, wann deine Stimme
im Kreischen der Vögel versackt,
wann im öligen Wasser der Damm,
wann zu den Tankern der Damm, deine Stimme hinabsackt.

1959 * (nicht datiert)       )

Der Damm (B)

Der Damm ist wenig über dem öligen Wasser,
worin so mancher Tanker versackte. 
Geh schnell, denn du weisst nicht,
wann das ölige Wasser den Damm überspült.

05 Den Vögeln sind die Federn verklebt.
Sie sitzen fest auf dem öligen Wasser.
Geh schnell, denn du weisst nicht,
wann das ölige Wasser den Damm überspült. 
Sing, denn du weisst nicht, wann deine Stimme
10 im Kreischen der Vögel versackt,
wann ins ölige Wasser der Damm,
wann zu den Tankern der Damm, deine Stimme hinabsackt.

Montag, 23 März 1959       )

Die Gosse (A)

Die Zikade kommt nur dann aus dem Baum
auf meine Hand: wenn ich da in der Gosse
sitze und wenn mich die Wagen bespritzen.
Der Schnee begann gestern abend zu schmelzen.

05 Die Leute fahren nachhaus vom Theater.
Und jetzt fliegt mir vom Baum die Zikade,
die kein anderer sah, // 02
herab in die offene Hand und singt,
singt, solang ich es will.
10 Die Theater, die Lokale sind alle
schon lange geschlossen. Ich sitze
in der Gosse und halte
ausgestreckt meine Hand, sie wird nicht 
müde: es singt, es singt meine Zikade.

1959 * (nicht datiert)       )

Die Gosse (B)

Der Schnee begann gestern abend zu schmelzen. Ich sitze 
da in der Gosse, die Wagen
spritzen mich an. Die Leute
fahren vom Theater nachhaus. Und mir
05 fliegt vom Baum die Zikade,
die kein anderer sah,
herab in die offene Hand und
singt, solang ich es will.

Das Theater ist lange geschlossen. Ich sitze
10 in der Gosse und halte
ausgestreckt meine Hand, sie wird nicht
müde: es singt
meine Zikade.

Montag, 23 März 1959       )

Assoziationen I (A)

Du ziehst den weissen
Schleim über die Gedärme. Die Pferde
wechseln an jeder Ecke die Hufe.
Die Glocken rollen
05 klirrend über die Strassen. Die Wagen
stöhnen. Ein Vorhang
kracht nieder. Es bleiben
da und dort ein paar Quallen
und schnappen nach Wasser.

1959 * (nicht datiert)       )

Assoziationen I (B)

Du ziehst den weissen
Schleim über die Gedärme. Die Pferde
wechseln an jeder Ecke die Hufe.
Die Glocken rollen
05 klirrend über die Strassen. Die Wagen
stöhnen. Ein Vorhang
kracht nieder. Es bleibt
da und dort eine Qualle und
schnappt nach Wasser.

Donnerstag, 26 März 1959       )

Assoziationen II (A)

Eine noch unveränderte
Sonne tropft in den Rinnstein.
Die Schwäne spreizen die Schwingen
erschreckt und taumeln
05 auf verkümmerten Stelzen hinweg.

Naiv
blinzeln die weissen
Flaumfedern, geblendet,
und schweben und sind
10 auf dem Sand eine Decke, die schwimmt,
übriggeblieben nach einem
unabsichtlichen Opfer.

Samstag, 09 Mai 1959       )

Assoziationen II (B)

Die unveränderte
Sonne tropft in den Rinnstein.
Die Schwäne spreizen die Schwingen und taumeln
auf verkrümmten Stelzen davon.

05 Die Flaumfedern blinzeln, geblendet,
und schweben und sind
auf dem Sand eine Decke, die schwimmt,
übriggeblieben nach einem
unabsichtlichen Opfer.

Donnerstag, 26 März 1959       )

Assoziationen III (A)

Ein Blitzstrahl schmilzt
das Bild. Ein Schatten
bleibt in der Nische.
Die Vögel picken verwundert. Nur der
05 Radfahrer bleibt wie gewöhnlich
an der Ecke. Er tritt
schnell auf die Pedalen. Die Räder
drehen sich schnell und kommen
keinen Zentimeter vom Fleck.
10 Ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel
schmolz das Bild. Und ein Schatten
blieb zurück in der Nische.

Samstag, 09 Mai 1959       )

Assoziationen III (B)

Der Blitzstrahl
schmilzt das Bild. Ein Schatten
bleibt in der Nische.
Die Hühner picken verwundert. Nur der
05 Radfahrer bleibt wie gewöhnlich
an der Ecke. Er tritt
auf die Pedalen. Die Räder
drehen sich schnell und kommen
keinen Zentimeter vom Fleck.
10 Ein Blitz aus heiterem Himmel
schmolz das Bild. Und ein Schatten
blieb zurück in der Nische.

Dienstag, 24 März 1959       )

Der Teller (A)

Nimm den Teller vom Tisch,
trag ihn durch die Flucht der Kammern.
Lass dich durch den Staub, die
Spinngewebe, das Sägemehl nicht beirren.
05 Nicht durch das alte Gift,
nicht durch den Speck,
der aus den Mausefallen stinkt.

Ruh auf keinem Sessel aus, er bricht,
die Federn stechen dich ins Gesäss.
10 Geh durch die Zimmer weiter,
verschütte die Suppe nicht; und erst am Ende,
wo die Bilder des toten Zaren und der Zarin
fast unkenntlich unter verstaubten Scheiben hängen,
dort in der letzten Kammer stell den Teller nieder in die Asche: iss.

Samstag, 09 Mai 1959       )

Der Teller (B)

Nimm den Teller vom Tisch,
trag ihn durch die Kammern.
Lass dich durch den Staub, die
Spinngewebe, das Sägemehl nicht beirren.
05 Nicht durch das alte Gift,
nicht durch den Speck,
der aus den Mausefallen stinkt.

Ruh auf keinem Sessel aus, er bricht,
die Federn stechen dich ins Gesäss.
10 Geh durch die Zimmer weiter,
verschütte die Suppe nicht; und erst am Ende,
wo die Bilder des toten Zaren und der Zarin
fast unkenntlich unter verstaubten Scheiben hängen,
dort in der letzten Kammer stell den Teller nieder in die Asche: iss!

Samstag, 09 Mai 1959       )

Der Teller (C)

Nimm den Teller vom Tisch,
trag ihn durch die Kammern.
Lass dich durch den Staub, die
Spinngewebe, das Sägemehl nicht beirren.
05 Nicht durch das alte
Gift, nicht durch den Speck,
der aus den Mausefallen heraufstinkt.

Ruh auf keinem Sessel aus, er bricht,
die Federn stechen dich ins Gesäss.
10 Geh durch die Zimmer weiter, verschütte
die Suppe nicht; erst am Ende, wo die Bilder des toten
Zaren und der Zarin fast schon
unkenntlich unter verstaubten
Scheiben hängen, dort in der letzten
15 Kammer stell den Teller nieder in die Asche: iss!

Mittwoch, 25 März 1959       )

Was nicht leicht herabfällt … (A)

Was nicht leicht herabfällt,
das ist eine Taube; man glaubt,
man hat sie schon in der Hand. Dann ist es
bloss ein Federball, mit dem auf dem Balkon
05 zwei Kinder spielten.
Es ist eine Büchse mit dem stinkenden Rest
von Sardellen. Man läuft
sein Leben durch Städte und läuft
den Häusern entlang, von denen ein Ziegel
10 niederhängt mit der Warnung: Achtung,
Dachdeckerarbeiten. Trotzdem
läuft man entlang. Man hofft immer, es falle // 02
die Taube einem herab in die Hand
und sträube wohlig die Federn.
15 Doch eher ist es ein Ziegel, der einen
erschlägt, eher
ein Blumentopf, den die Putzfrau
leichtsinnig vom Sims stösst, der einen
erschlägt …..

20 Aber du lachst:
Nein, nie hab ich auf eine
Taube, nie auf das Schwirren, das Fallen
der gesträubten Federn gewartet. Ich will,
ohne zu wissen warum, laufen
25 durch Städte und laufen mit geöffneter Hand den Häusern // 03
entlang, auch wo man Dächer
neu deckt und wo der Schnee in grossen
Brocken rutscht und poltert. Ich will
durch die Pfützen mit meinen brüchigen Schuhen,
30 die man lang schon neu sohlen
müsste, laufen. Ohne zu wissen, warum.
Denn was nicht leicht herabfällt,
das ist eine Taube.

Samstag, 09 Mai 1959       )

Was nicht leicht herabfällt … (B)

Was nicht leicht herabfällt,
das ist eine Taube; man glaubt,
man hat sie schon in der Hand. Dann ist es
bloss ein Federball, mit dem zwei Kinder
05 spielten auf dem Balkon.
Es ist eine Büchse mit dem stinkenden Rest
von Sardellen. Man läuft
den Häusern entlang, von denen ein Ziegel
niederhängt mit der Warnung: Achtung,
10 Dachdeckerarbeiten. Trotzdem
hofft man immer, es falle
die Taube herab in die Hand
und sträube die Federn. Doch eher
ist es ein Blumentopf, den die Putzfrau
15 leichtsinnig vom Sims stösst, der einen
erschlägt …

Du lachst: nie hab ich auf eine
Taube, nie auf das Schwirren, das Fallen
der gesträubten Federn gewartet. Ich will,
20 ohne zu wissen warum,
mit geöffneter Hand den Häusern
entlang laufen, auch wo man Dächer
neu deckt und wo der Schnee in grossen
Brocken rutscht und poltert. Ohne
25 zu wissen warum. Denn was niemals, was nicht
leicht herabfällt, das ist eine Taube.

Donnerstag, 26 März 1959       )

Am Fluss (A)

Seit gestern
sank und versackte der Fluss,
begannen die Fische, begann
der Unrat zu stinken. Ich schlief,
05 es scheint, es bedurfte des trunknen
Radfahrers, // 02
der auf dem Heimweg vom Ball mich anstiess,
damit ich erwachte und fand
den verfärbten Kadaver im Unrat, in fauligen
10 Kleidern, unkenntlich. Braune
Lachen allein
dampfen noch hier, dampfen dort.
In der Sonne toben die Mücken. Zum Brechen
reizt der Gestank.

Samstag, 09 Mai 1959       )

Am Fluss (B)

Seit gestern
sank und versackte der Fluss,
begannen die Fische, begann
der Unrat zu stinken. Ich schlief, ich bedurfte des trunknen
05 Radfahrers, 
der auf dem Heimweg vom Ball
mich anstiess, damit ich erwachte und
den verfärbten Kadaver
fand in fauligen Kleidern. Braune
10 Lachen allein
dampfen noch hier, dampfen dort.
In der Sonne toben die Mücken. Zum Brechen
reizt der Gestank.

Freitag, 27 März 1959       )

Die Dogge (A)

Die Dogge liegt auf der Schwelle
des Kinderzimmers, und Geifer
tropft ihr vom Maul. Sie steht
nur auf, wenn die Mutter hereinwill, und zwingt sie
05 wegzuschauen mit strafenden Blicken.

Die Dogge läuft in den Hof, und sie leckt
den Sand, und die geborstne
Schelle schneidet sie in die Zunge. Die Dogge
senkt den Kopf vor dem Kind, sie will
10 nicht, dass das Blut ihm die Hand
besudelt, obwohl es sie hinstreckt. // 02
Die Dogge wedelt und geht schwerfällig
rückwärts zurück auf die Schwelle.

Sonntag, 10 Mai 1959       )

Die Dogge (B)

Die Dogge liegt auf der Schwelle
des Kinderzimmers. Geifer
tropft ihr vom Maul. Sie steht
nur auf, wenn die Mutter
05 hereinwill, und sieht sie
an, dass sie wegschaut.

Die Dogge leckt
den Sand im Hof, die geborstne
Schelle schneidet sie in die Zunge. Sie senkt
10 den Kopf vor dem Kind; sie will
nicht, dass das Blut ihm die Hand
besudelt. Die Dogge wedelt und geht
schwerfällig rückwärts zurück auf die Schwelle.

Freitag, 27 März 1959       )

Holz (A)

Holz unterm Wasser
leuchtet Phosphor, es wird
nie mehr in Feuer
ausbrechen. Die Flut
05 bleibt und hält es bedeckt. Mein Schiff
fährt schnell und ich kann
meinen Anker nicht werfen
als Angel, das Holz nicht
herauf und an mich ziehn:

10 Dann bräche es gleich
aus in Feuer, verbrännte
das Schiff. Das schwingt jetzt den grauen
Schleier über den Himmel. Ich schreie
nach Ebbe. Man hat
15 den Mond weggenommen, die Flut // 02
bleibt, unaufhörlich
tanzen die Masken betrunken
auf dem Verdeck. Mein Anker
trifft und fasst nicht als Angel
20 das Holz, das Phosphor
leuchtet unter dem Wasser.

Sonntag, 10 Mai 1959       )

Holz (B)

Holz unterm Wasser
leuchtet Phosphor, es wird
nicht in Feuer
ausbrechen. Die Flut
05 bleibt und hält es bedeckt. Das Schiff
fährt schnell und ich kann
meinen Anker nicht werfen
als Angel, das Holz nicht
herauf und an mich ziehn.

10 Dann bräche es gleich
aus in Feuer, verbrännte
das Schiff. Das schwingt jetzt den grauen
Schleier über den Himmel. Ich schreie
nach Ebbe. Man hat
15 den Mond weggenommen, die Flut 
bleibt, unaufhörlich
tanzt man im Dunkeln betrunken
auf dem Verdeck. Mein Anker
trifft nicht und fasst nicht als Angel
20 das Holz, das Phosphor
leuchtet unter dem Wasser.

Samstag, 28 März 1959       )

Das schwarze Papier (A)

Das schwarze Papier
liegt auf der Strasse, ein Wind
trägt es in den Graben am Trottoir
in den Staub, der
05 aus der Baugrube herüber
kam: Es war
darin ein Hemd oder eine elektrische
Lokomotive zum Spielen
verpackt. Wer kann es
10 da noch fassen im Graben,
im Staub, der herüber
von der Baustelle kam? Ein Wind // 02
hat es, das schmutzig ist jetzt und zerrissen,
gefasst und getragen, entzogen,
15 das schwarze Papier.

Sonntag, 10 Mai 1959       )

Das schwarze Papier (B)

Das schwarze Papier, ein Wind
trägt es in den Graben am Gehsteig,
in den Staub, der
aus der Baugrube herüber
05 kam: Es war darin eine
Lokomotive zum Spielen
verpackt. Wer kann es
noch fassen im Graben,
im Staub, der herüber
10 aus der Baugrube kam? Ein Wind 
hat es, das jetzt schmutzig ist und zerrissen
gefasst und getragen, entzogen,
das schwarze Papier.

Dienstag, 31 März 1959       )

Der Pfeil (A)

Der Pfeil schwirrt
und fährt entlang dem Boulevard
und bleibt auf der Insel im Wipfel
der hohen Platane.

05 Das Schwirren, ein Seil
liegt entlang dem Boulevard
und zieht den Autobus über die Brücke zur Insel:
ich suche den Pfeil
im Wipfel der hohen,
10 im Wipfel der roten Platane.

Die andern Bäume sind alle
noch grün. Und die Drachen
der Knaben erreichen sie langsam. // 02

Sie hängen
15 träg in den Zweigen und träumen.
Mein Pfeil in der hohen,
der roten Platane ist tot.
Der Autobus fuhr zu langsam.

Montag, 11 Mai 1959       )

Der Pfeil (B)

Der Pfeil schwirrt
und fährt entlang dem Boulevard
und bleibt auf der Insel im Wipfel
der roten Platane.

05 Das Schwirren, das Seil
zieht entlang dem Boulevard
den Autobus über die Brücke zur Insel:
Ich suche den Pfeil
im Wipfel der roten Platane.

10 Die andern Bäume sind alle
noch grün. Und die Drachen
der Knaben erreichen sie langsam
und hängen
träg in den Zweigen.

15 Mein Pfeil in der roten
Platane ist tot.
Der Autobus fuhr zu langsam.

Dienstag, 31 März 1959       )

Der Brand (A)

Das Hochparterre brennt.
Die Kinder
bleiben auf dem Teppich sitzen und spielen.
Das Feuerwehrauto
05 hält am Haus, die Spritzen
ermuntern die Flammen.

Die Kinder bleiben sitzen und spielen,
obwohl man sie ruft und die Leitern
anlegt, um sie zu holen: Die kahlen
10 Bäume stehen unverändert im Garten
und wehren, wie immer, dem Himmel.
Die Kinder bedürfen
sonst keiner Rettung.

Sonntag, 10 Mai 1959       )

Der Brand (B)

Das Hochparterre brennt.
Die Kinder 
bleiben auf dem Teppich sitzen und spielen. 
Das Feuerwehrauto 
05 hält am Haus, die Spritzen 
ermuntern die Flammen. 

Die Kinder bleiben sitzen und spielen, 
obwohl man sie ruft und die Leiter 
anlegt: Die kahlen 
10 Bäume wehren im Garten dem Himmel. 
Die Kinder bedürfen 
sonst keiner Rettung.

Dienstag, 31 März 1959       )

Strassenkreuzung (A)

Die Wagen stauen sich, die Beine
sind lahm unterm Rotlicht.
Mein Drachen steigt auf und verachtet
und fliegt, und die Wagen und die
05 mit den gelähmten
Beinen schauen ihm nach und möchten
ihn jagen und fangen. Bemerken
nicht, dass jetzt, wo es keiner
mehr denkt, wieder Grünlicht
10 ist, bleiben stehn: O, was geschieht nun?

Sonntag, 10 Mai 1959       )

Strassenkreuzung (B)

Die Wagen staun sich, die Beine
sind lahm unterm Rotlicht.
Mein Drachen steigt auf und verachtet.
Die Wagen und die gelähmten
05 Beine schauen ihm nach und möchten
ihn jagen. Bemerken
nicht, dass jetzt, wo es keiner
mehr hofft, wieder Grünlicht
ist, bleiben stehen.

Dienstag, 31 März 1959       )

Unfall (A)

Das Motorrad
wirft ihn ab in die Pfütze:
Meer, Meer. Der Rock
saugt sich voll mit hinter den Rand
05 fallender Sonne.

Die verschmierten, zerschlissnen
Gesichter finden ihn in der Pfütze, sie werfen
ihm ihr Gelächter zu: Gelächter
des Sommerabends am Strand. Der Rock
10 saugt sich voll mit hinter den Rand
fallender Sonne.

Er liegt in der Pfütze und gluckst, // 02
und einige Blasen. Das Mädchen
trat im Sommer am Strand
15 auf die Qualle, wartete, bis er herankam.
In die  Pfütze
wirft ihn ab das Motorrad.
Das Mädchen,
verschmiert und zerschlissen,
20 wirft ihm Gelächter zu, eine Kusshand. Er liegt
im braunen Wasser, er gluckst, eine Blase:
Meer, Meer, und die Sonne
fällt hinter den Rand,
taumelt, errötet.

Sonntag, 10 Mai 1959       )

Unfall (B)

Das Motorrad
wirft ihn ab in die Pfütze:
Meer, Meer. Der Rock
saugt sich voll mit hinter den Rand
05 fallender Sonne.

Die verschmierten, zerschlissnen
Gesichter finden ihn in der Pfütze; sie werfen
ihm ihr Gelächter zu: Gelächter
des Sommerabends am Strand. Der Rock
10 saugt sich voll mit hinter den Rand
fallender Sonne.

Er liegt in der Pfütze, gluckst,
und eine Blase. Das Mädchen
trat im Sommer am Strand
15 auf die Qualle, wartete, bis er da war.
In die Pfütze
wirft ihn ab das Motorrad. Das Mädchen,
verschmiert und zerschlissen,
wirft ihm Gelächter zu, eine Kusshand. Er liegt
20 im braunen Wasser, gluckst, eine Blase:
Meer, Meer, die Sonne 
taumelt hinter den Rand und errötet.

Mittwoch, 01 April 1959       )

Der Stierkämpfer (A)

Du lässt dich, Stier,
zurücktreiben zur Säule und stehst
und senkst deine Hörner?
Die Hieroglyphen
05 glänzen über die ganze
Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.

Ich knie vor dir, Stier,
ich komme mit meinem
10 Gesicht ganz nah deiner Schnauze:
‚Packe mich, Stier, du sollst
dich nicht fürchten, nicht weichen.
Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
15 Säule. Wir können // 02
sie beide nicht lesen.‘

Ich vergesse dich, Stier,
ich vergass die Leute, die schreien.
Blut rinnt mir fern übern Schenkel,
20 eine weisse Tasche fliegt mir durchs Auge.
Ich ziele, ich steche, ich treffe.

Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
Säule. Wir können
25 sie beide nicht lesen

Montag, 11 Mai 1959       )

Der Stierkämpfer (B)

Du lässt dich, Stier,
zurücktreiben zur Säule und stehst
und senkst deine Hörner?
Die Hieroglyphen
05 glänzen über die ganze
Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.

Ich knie vor dir, Stier,
ich komme mit meinem
10 Gesicht ganz nah deiner Schnauze:
Packe mich, Stier, du sollst
dich nicht fürchten, nicht weichen.
Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
15 Säule. Wir können
sie beide nicht lesen.

Ich vergesse dich, Stier,
ich vergass die Leute, die schreien.
Eine Tasche fliegt mir durchs Auge.
20 Blut rinnt mir fern übern Schenkel.
Ich ziele, ich treffe, ich steche.

Die Hieroglyphen
glänzen über die ganze
Säule. Wir können
25 sie beide nicht lesen.

Mittwoch, 01 April 1959       )

Anweisung (A)

Wirf die Fahrräder um vor der Hauptpost.
Löse die Bremsen der Strassenbahnen, sodass sie
den Hang hinunterrasseln.
Zerschneide die Reifen der Autos vor dem Bahnhof.
05 Zünde früh um sechs, eben nachdem
die Lastwagen die neue
Ware gebracht haben, das Stroh in der Ecke
der Markthalle an. Bald brennt
alles, und die Stadt ist Qualm und Gestank.

10 Dann geh in den Garten und reisse
die Rosen aus und reisse die Lilien aus, knicke
den Flieder. Zertrample, // 02
zertrample die Beete. Und dann
gehe zurück in dein Haus, schliesse
15 dich ein in dein Zimmer.

Einen einzigen Zweig lass
stehen, eingeschlossen im Zimmer.
Lang wird er blühen.

Montag, 11 Mai 1959       )

Anweisung (B)

Wirf die Fahrräder um vor der Hauptpost.
Löse die Bremsen der Strassenbahnen und lass sie
hinunterrasseln den Hang.
Zerschneide die Reifen der Autos am Bahnhof.
05 Zünde früh um sechs, eben nachdem
die Lastwagen die neue
Ware gebracht haben, das Stroh in der Ecke
der Markthalle an. Und bald ist
alles Qualm und Gestank.

10 Dann geh in den Garten und reisse
die Rosen aus und reisse die Lilien aus, knicke
den Flieder. Zertrample,
zertrample die Beete. Und dann
gehe zurück in dein Haus, schliesse
15 dich ein in dein Zimmer.

Einen einzigen Zweig lass
stehen, eingeschlossen im Zimmer.
Lang wird er blühen.

Mittwoch, 25 März 1959       )

Die Truhe (A)

Du kannst kaum noch atmen und stemmst dich
gegen den Deckel der Truhe, in die du
dich beim Spielen verstecktest. Die andern
Kinder haben den Speicher
05 verlassen. Du hörst von der Treppe
den Ruf: deinen Namen. Hart
stösst es dich ins Gesäss. Ein Hund
ist hier vor Jahren verendet. Schneller
als du. Denn du stemmst dich noch gegen
10 den Deckel der Truhe und hast wieder Luft.
Aber dein Arm ist zu schwach.

In der Nacht wirst du noch hören, wie jemand
kommt und die Maske des Gärtners
und das Kostüm des chinesischen Kulis // 02
15 heraus aus dem Schrank holt. Aber du wirst
nicht mehr rufen und dich nicht mehr gegen den Deckel der Truhe
stemmen. Du wirst das Rascheln, das Kichern
gerade noch hören. Und dann noch,
bevor du erstickst, das Knarren, das Rascheln,
20 das Kichern hören herauf von der Treppe.

Samstag, 09 Mai 1959       )

Die Truhe (B)

Du kannst kaum noch atmen. Die andern
Kinder haben den Speicher
verlassen. Du hörst von der Treppe
deinen Namen. Hart
05 stösst es dich ins Gesäss. Ein Hund
ist hier vor Jahren verendet. Schneller
als du. Du stemmst dich noch gegen
den Deckel der Truhe und hast
wieder Luft. Aber
10 dein Arm ist zu schwach.

In der Nacht wirst du noch hören, wie jemand
kommt und die Maske des Gärtners, die Maske
der Gärtnerin aus dem Schrank holt.
Aber du wirst nicht mehr
15 rufen und dich nicht mehr gegen den Deckel der Truhe
stemmen. Du wirst das Rascheln, das Kichern
eben noch hören. Und dann,
bevor du erstickst, das Knarren, das Rascheln,
das Kichern hören herauf von der Treppe.

Montag, 01 August 1960       )

Terrasse (A)

Sommers verstecken die Löwen
sich hinter den Oleander-
kübeln. Sie fürchten,
der Anblick der Wellen
05 verletze die blinzelnden Augen.
Das Weinen
des Kindes vom Strand
sprengt die gläserne Tür, und die Diener
eilen mit Besen.
10 Winters wird der
Oleander erblühen und ohne
Wellen das Meer
weiss schweigen. Die Löwen
gehn übers Eis
15 mit geschlossenen Augen zur Insel, sie können
die Düfte nicht mehr ertragen. // 01v
Die einzige Wolke 
zieht den verschneiten
Mond eilig hinweg übern Himmel.

1960 * (nicht datiert)       )

Terrasse (B)

Sommers verstecken die Löwen
sich hinter den Oleander-
kübeln. Sie fürchten,
die Wellen, das Weinen
05 des Kindes vom Strand.
Im Winter wird blühen
der Oleander, die Wellen, das Weinen 
des Kindes schweigen.
Die Löwen kommen hinter den Kübeln
10 hervor. Sie fliehen über das Treibeis
zur Insel. Entzündet
blinzeln die Augen.

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