Manuskripte 1957

Inhalt: 89 Manuskripte und 11 Typoskripte zu 24 Gedichten und 2 szenischen Texten (2 Endfassungen)
Datierung: 27.11.1956 – 31.12.1957
Textträger:114 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Gedichttyposkripten und bräunliche Blätter
Umfang: 27 Dossiers, 192 beschriebene Seiten
Publikation: GEDICHTE (10), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-d/02 (Schachtel 37)
Herkunft: Mappe EG 57

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Dienstag, 27 November 1956       )

Der Kardinal (A)

Sein Purpur rollt,
wenn er im Park lustwandelt,
fast bis ins Meer,
das ihn zur Rückkehr in die Zimmer violett mahnt.
05 Aber wie er sich schon fast gewendet,
fasziniert ihn das Sternbild, das,
wechselnd die (bunten) Lichter,
schnell aus dem Dunstraum herauffährt,
so schnell, dass er es aufzuhalten den heiligen Nikolaus bäte,
10 wenn er nicht wüsste,
dass es täglich um diese selbe
Stunde hier durchfliegt nach Rom:

Das Rosenbeet nur bleibt,
ausgebreitete Robe, purpurn am Strand,
15 wenn er im kleinen Hauskleid Zitronensaft trinkt
und die ruhigern Sternbilder beschwört,
dass sie bleiben, nur bleiben. // 01v
Denn wer bewunderte noch mit angemessener Sammlung,
wenn alle flögen nach Rom,
20 wer bewunderte noch seine Robe?

Da schon manchmal Matrosen
auf Paddelbooten kommen ganz nah
und ihn zusammen mit seinen Pfauen fotografieren
und ihm freundlich zurufen „Dann halt nicht!“
25 wenn er ihre Zigaretten würdevoll ablehnt.

Montag, 25 März 1957       )

Der Kardinal (B)

Sein Purpur rollt,
wenn er im Park spaziert,
bis fast ins Meer,
das ihn violett zurück ins Zimmer mahnt.

05 Bevor er sich aber ganz gewendet,
bezaubert ihn das Sternbild, das,
die bunten Lichter wechselnd, 
aus dem Dunstraum schnell herauffährt,
so schnell, dass er, es aufzuhalten, Sankt Niklaus bäte,
10 wenn er nicht wüsste,
dass es täglich um diese gleiche Stunde unaufhaltsam
hier durch nach Rom fliegt. // 03

Für seine Robe bleibt das Rosenbeet
am Strande ausgebreitet, 
15 wenn er im kleinen Kleid Zitronensaft
trinkt und beschwört die ruhigeren Bilder,
dass sie bleiben, bleiben.

Da doch manchmal schon Matrosen kommen,
auf Paddelbooten ganz nah heran
20 und ihn zusammen mit seinen Pfauen knipsen
und ihm freundlich „Dann halt nicht!“ zurufen,
wenn er mit Würde ihre Zigaretten ablehnt.

Sonntag, 07 April 1957       )

Der Kardinal (C)

Sein Purpur rollt,
wenn er im Park spaziert,
bis fast ins Meer,
das ihn violett zurück ins Zimmer mahnt.

05 Eh er sich aber ganz gewendet,
bezaubert ihn das Sternbild, das,
die bunten Lichter wechselnd, 
aus dem Dunstraum schnell herauffährt.
So schnell, dass er Sankt Niklaus bäte,
10 es aufzuhalten,
wenn er nicht wüsste,
dass es täglich um diese gleiche Stunde unaufhaltsam
hier durch nach Rom fliegt. // 04v

Für seine Robe bleibt das Rosenbeet
15 am Strande ausgebreitet, 
wenn er im kleinen Kleid Zitronensaft
trinkt und beschwört die ruhigeren Bilder,
dass sie bleiben, bleiben.

Da doch manchmal schon auf Paddelbooten
20 ganz nah heran Matrosen kommen,
und ihn zusammen mit den Pfauen knipsen
und ihm freundlich „Dann halt nicht!“ zurufen,
wenn er mit Würde ihre Zigaretten ablehnt.

Samstag, 27 April 1957       )

Der Kardinal (D)

Sein Purpur rollt,
wenn er im Park spaziert,
bis fast ins Meer,
das ihn violett zurück ins Zimmer mahnt.

05 Eh er sich aber ganz gewendet,
bezaubert ihn das Sternbild, das,
die bunten Lichter wechselnd, 
aus dem Dunstraum schnell herauffährt.
So schnell, dass er Sankt Nikolaus bäte,
10 es aufzuhalten,
wenn er nicht wüsste,
dass es täglich um diese gleiche Stunde unaufhaltsam
hier durch nach Rom fliegt. // 05v

Statt seiner Robe bleibt das Rosenbeet
15 am Strande ausgebreitet, 
wenn er im kleinen Kleid Zitronensaft
trinkt und beschwört die ruhigeren Bilder,
dass sie bleiben, bleiben.

Da doch manchmal schon Matrosen
20 ganz nah heran auf Paddelboten kommen
und ihn zusammen mit den Pfauen knipsen
und ihm freundlich „Dann halt nicht!“ zurufen,
wenn er ihre Zigaretten mit Würde ablehnt.

Datiert: 1957       )

Der Kardinal (E)

Seine Robe rollt,
wenn er im Park spaziert,
bis fast ins Meer,
das ihn violett zurück ins Zimmer mahnt.

05 Eh er sich aber ganz gewendet,
bezaubert ihn das Sternbild, das,
die bunten Lichter wechselnd, 
aus dem Dunstraum schnell herauffährt.
So schnell, dass er Sankt Nikolaus bäte,
10 es aufzuhalten,
wenn er nicht wüsste,
dass es täglich um diese gleiche Stunde unaufhaltsam
hier durch nach Rom fliegt.

Statt seiner Robe bleibt das Rosenbeet
15 am Strande ausgebreitet, 
wenn er im kleinen Kleid Zitronensaft
trinkt und beschwört die ruhigeren Bilder,
dass sie bleiben, bleiben.

Da doch manchmal schon Matrosen
20 ganz nah heran auf Paddelboten kommen
und ihn zusammen mit den Pfauen knipsen
und ihm freundlich "Dann halt nicht" zurufen,
wenn er mit Würde ihre Zigaretten ablehnt.

Sonntag, 17 Februar 1957       )

Die Dryade (A)

Mit ihren Ästen
greift die Dryade unter die Leine voll Linnen
reisst sie in den offnen Windhimmel auf
wie anders käme sie sonst zu den Kränzen?

05 Sie schmückt sich selber
und flattert, eitle Dryade,
mit erlisteten Linnengirlanden.

Und die Hausfrau, wenn sie
wieder auf den Balkon herauskommt,
10 verrät ihr Lachen, das die
Nachbarinnen entsetzt,
dass sie als Schwester erkannte die Baumfrau.

Mittwoch, 27 März 1957       )

Die Dryade (B)

Mit ihren Ästen
greift die Dryade unter die Leine voll Linnen,
reisst sie in den offenen Windhimmel mit
und schmückt sich selber
05 und flattert, eitle Dryade,
mit erlisteten Linnengirlanden.

Die Frau aber, wenn sie
auf den Balkon herausstürzt,
verrät ihr Lachen, mit dem sie
10 die Nachbarinnen entsetzt:
dass sie als Schwester erkannte die Baumfrau.

Montag, 15 April 1957       )

Die Dryade (C)

Mit ihren Ästen
greift die Dryade unter die Leine voll Linnen
reisst sie in des Windhimmels Öffnung 
und schmückt sich und flattert,
05 Eitle, mit erlisteten Linnengirlanden.

Die Frau aber, die
auf den Balkon herausstürzt,
verrät mit die Nachbarinnen entsetzendem Lachen:
dass sie als Schwester erkannte die Baumfrau.

Dienstag, 30 April 1957       )

Die Dryade (D)

Mit ihren Ästen
greift die Dryade unter die Leine voll Linnen,
reisst sie in des Windhimmels Öffnung 
und schmückt sich und flattert,
05 Eitle, mit erlisteten Linnengirlanden.

Die Frau aber, die
auf den Balkon herausstürzt, verrät
den Nachbarinnen hinter den Läden mit Lachen:
dass sie als Schwester erkannte die Baumfrau.

Datiert: 1957       )

Die Dryade (E)

Mit ihren Aesten
greift die Dryade unter die Leine voll Linnen,
reisst sie in des Windhimmels Oeffnung
und schmückt sich und flattert,
05 Eitle, mit erlisteten Linnengirlanden.

Die Frau aber, die
auf den Balkon herausstürzt, verrät
mit Lachen den Nachbarinnen hinter den Läden:
dass sie die Baumfrau als Schwester erkannte.

Montag, 18 Februar 1957       )

Xenion (A)

Die Koppel Hunde bleibt in Unterholzes Kläffen,
wenn dein Hali-Halo in kahlen Kronen wipfelt.
Die Koppel Hunde schnaubt und geifert Ebbe,
wenn deines Gelächters weisse Flutgischt schneit

05 Das Salzmeer weint leicht in die Uferwaldung,
das Salzmeer lacht, wenn mit der Koppel Hunde
du kommst und staunst inmitten
des Fragerings und Staunaufstands der Hunde:

denn über Abendsilberlaken trabt die Stute,
10 ihr Wiehern springt dir über Föhrenwipfel zu
und folgt der Reizung deines weissen Schreis,
der Reizung des Rufers Auge, deines, Jägermeister.

Mittwoch, 27 März 1957       )

Xenion (B)

Die Hundekoppel kläfft im Unterholz,
wenn dein Hali-Halo die Kronen zaust.
Die Hundekoppel geifert Ebbe,
wenn du Gelächters weisse Flutgischt schneist.

Das Salzmeer weint nicht in die Waldung,
das Salzmeer lacht, wenn mit der Hundekoppel
du fragst und staunst inmitten
des Fragerings und Staunaufstands der Hunde:

Denn über Silberlaken trabt die Stute,
ihr Wiehern springt dir über Wipfel zu
und folgt der Regung deines weissen Schreis,
des Rufers Auge Reizung, deines, Jägermeister.

Dienstag, 16 April 1957       )

Xenion (C)

Die Hundekoppel kläfft im Unterholz,
wenn dein Hali-Halo die Kronen zaust.
Die Hundekoppel geifert Ebbe,
wenn dein Gelächter weisse Flutgischt schneit.

05 Das Salzmeer weint nicht in die Waldung,
das Salzmeer lacht, wenn du inmitten
des Fragerings und Staunaufstands der Hunde
fragst und staunst:

Denn über Silberlaken trabt die Stute,
10 ihr Wiehern springt dir über Wipfel zu
und folgt der Reizung deines Schreis,
des Schreiers Auge Reizung, Jägermeister.

Dienstag, 19 Februar 1957       )

Orpheus im Hafen (A)

Nichts ist hier, was man unbedingt sehen müsste,
nicht wegen Denkmälern gefällt es mir hier,
sondern weil es Stunden gibt,
wo du hier tiefer bist in Venedig als selbst am Rialto:

05 Auf den Stufen des Herberghügels,
das Ohr dem Klang der Sterne geschärft,
die über dem Hafen tönen;
wenn auch zu fern noch, als dass nicht
die Lötlampen in den Schwimmdocks
10 lauter aufsprühten und ihr Ton nicht im Wasser
schnell hinschliffe und wüchse.

Klammre dich nicht an meinem Arm fest.
du sollst dich nicht fürchten,
wenn du das weisse Gesicht gross liegen siehst zwischen den Schiffen
15 mit wehoffenem Mund,
verstummt und fast schlafend. // 01v
Du sollst dich nicht fürchten,
wenn eine geheime
Strömung es sogar in diesen entlegenen Hafen herschwemmte.
20 Städte und Häfen magst immer du suchen,
ich glaube, immer fändest dus wieder.

Drum sieh drüber weg und steige ganz auf den Hügel:
da siehst du alle Lichter im schwarzen
Ölwasser scherzen. Und jenes
25 Gesicht, wenn dus nur willst,
ist einfach der Mond, der sich bescheiden
zwischen leeren, ruhenden Schiffen
spiegelt im Becken. Du sollst dich nicht fürchten.

Freitag, 29 März 1957       )

Orpheus im Hafen (B)

Nichts ist hier, was man unbedingt sehen müsste;
nicht wegen Denkmälern gefällt es mir hier,
sondern weil es Stunden gibt,
wo du hier tiefer bist in Venedig als selbst am Rialto:

05 Auf den Stufen des Herberghügels,
das Ohr dem Klang der Sterne geschärft,
die über dem Hafen tönen;
wenn auch zu fern noch, als dass nicht
die Lötlampen in den Schwimmdocks
10 greller aufsprühten, ihr Schrei 
übers Wasser kälter hinschliffe und wüchse.

Klammere dich nicht an meinem Arm fest,
du sollst dich nicht fürchten,
wenn du das grosse Gesicht weiss liegen siehst zwischen den Schiffen, // 03
15 mit offenem Mund,
verstummt und wie schlafend.
Du sollst dich nicht fürchten, weil eine geheime
Strömung es sogar in diesen entlegenen Hafen herschwemmte:
Städte und Häfen magst immer du fliehen,
20 ich glaube, immer fändest dus wieder.

Drum sieh drüber weg und steige ganz auf den Hügel:
von da ist das weisse Gesicht
einfach der Mond, der sich mit Sternen bescheiden
zwischen ruhenden Schiffen spiegelt im Becken: wenn dus nur willst. –
25 Du sollst dich nicht fürchten.

Mittwoch, 17 April 1957       )

Orpheus im Hafen (C)

Nichts ist hier,
was man unbedingt gesehen haben müsste;
nicht wegen Denkmälern gefällt es mir hier,
sondern weil es Stunden gibt,
05 wo du hier tiefer in Venedig bist als selbst am Rialto:

Am  Herberghügel,
das Ohr dem Klang der Sterne geschärft,
die über dem Hafen tönen;
wenn auch zu fern, als dass nicht die Schreie
10 der Lötlampen kälter aus den Docks übers Wasser
hinschliffen und wüchsen. // 04v

Klammere dich nicht an meinen Arm,
du sollst dich nicht fürchten,
wenn du das grosse Gesicht weiss liegen siehst zwischen den Schiffen,
15 mit offenem Mund,
verstummt und wie schlafend.
Du sollst dich nicht fürchten, weil eine geheime
Strömung es sogar in diesen entlegenen Hafen herschwemmte 
Städte und Häfen magst immer du fliehen,
20 ich glaube, immer fände dichs wieder.

Drum sieh drüber weg und steige ganz auf den Hügel;
von da ists einfach der Mond,
der bescheiden mit Sternen, wenn dus nur willst,
liegt zwischen den Schiffen im Becken:
25 Du sollst dich nicht fürchten.

Datiert: 1957       )

Orpheus im Hafen (D)

Hier ist nichts,
was man unbedingt gesehen haben müsste;
nicht wegen Denkmälern gefällt es mir hier,
sondern weil es Stunden gibt,
05 wo du hier tiefer in Venedig bist als selbst am Rialto:

Am  Herbergshügel,
das Ohr dem Klang der Sterne geschärft,
die über den Hafen tönen –
wenn auch zu fern, als dass nicht die Schreie
10 der Lötlampen kälter aus den Docks übers Wasser
hinschliffen und wüchsen.

Klammere dich nicht an meinen Arm; 
du sollst dich nicht fürchten,
wenn du das grosse Gesicht weiss liegen siehst zwischen den Schiffen,
15 mit offenem Mund,
verstummt und wie schlafend.
Du sollst dich nicht fürchten, weil eine geheime
Strömung es sogar in diesen entlegenen Hafen herschwemmte:
Städte und Häfen magst immer du fliehen,
20 ich glaube, immer fände dichs wieder.

Drum sieh drüber weg, und steige ganz auf den Hügel;
von da ists einfach der Mond,
der bescheiden mit Sternen, wenn dus nur willst, // 05v
liegt zwischen den Schiffen im Becken:
25 Du sollst dich nicht fürchten.

Mittwoch, 20 Februar 1957       )

Flieder (A)

Der Flieder deiner Stimme tönt und duftet
durch Türen und durch hohle Fenster ein.

Der Fliederstrauch, der lilafarbne,
hat sich in einer Wolke Lied gelöst und schwebt
05 und duftet, stiebt in Tönen durch der Ohren Nüstern
in diesen winterlichen Garten ein.

Der Fliederstrauch, gelöst in Staub und Düfte, 
tönt her in Wogen, lauter, leiser tröstend,
auf dies mein träumeloses Lager ein.

Samstag, 30 März 1957       )

Flieder (B)

Der Flieder dringt mit weisser Stimme
durch die vom Rost ertaubten Gitter ein.

Der Fliederstrauch, der lilafarbne, hat
sich längst gelöst ins Lied und stiebt
05 in das erstarrte Labyrinth herein.

Der Fliederstrauch, gelöst in Staub und Stimme,
betäubt und tötet, wogt
auf diese dämmelose Insel ein.

Sonntag, 31 März 1957       )

Flieder (C)

Der Flieder dringt mit weisser Stimme
durch das vom Rost ertaubte Gitter ein.

Der Fliederstrauch, der trauerfarbne, hat
sich aufgelöst ins Lied und stiebt
05 in der zertretnen Schnecke starres Labyrinth herein.

Der Fliederstrauch, gelöst in Staub und Stimme,
schwillt auf und droht und wogt
auf diese dämmelose Insel ein.

Freitag, 19 April 1957       )

Flieder (D)

Der Flieder dringt mit weisser Stimme
durch das vom Rost ertaubte Gitter ein.

Der Fliederstrauch, der trauerfarbne, hat
sich aufgelöst ins Lied und stiebt
05 in das zertretne Schneckenlabyrinth herein.

Der Fliederstrauch, gelöst in Staub und Stimme,
schwillt auf und droht und wogt
auf diese Insel ohne Dämme ein.

Freitag, 19 April 1957       )

Flieder (E)

Der Flieder dringt mit weisser Stimme
durch das vom Rost ertaubte Gitter ein.

Der Fliederstrauch,
der trauerfarbne, hat
05 sich aufgelöst ins Lied und stiebt
in das zerbrochne Schneckenlabyrinth herein.

Der Fliederstrauch,
gelöst in Staub und Stimme,
schwillt auf und droht und wogt
10 auf diese Insel ohne Dämme ein.

Datiert: 1957       )

Flieder (F)

Der Flieder dringt mit weisser Stimme
durch das vom Rost ertaubte Gitter ein.

Der Fliederstrauch,
des Duftens müde, hat
05 sich aufgelöst ins Lied und stiebt
in das zerbrochne Labyrinth herein.

Der Fliederstrauch,
gelöst in Staub und Stimme,
schwillt auf und droht und wogt
10 auf diese dämmelose Insel ein.

Donnerstag, 21 Februar 1957       )

P. P. Rubens: Der heilige Sebastian (A)

Wer es vermöchte
dich hinauszuführen zum Schilfufer,
wo der bärtige Gott innehielte einen Moment
im Ausgiessen des Flusskrugs,
05 um, wenn auch umsonst, zu entdecken,
warum du hier stöhnend am Baum stehst:

Wer dies vermöchte,
dem bliebe erspart, in dem grossen
gehöhlten Lapislazuli der Kirche
10 aufzuzucken unter dem Schwirren
eines jeden einzelnen Pfeils,
der aus dem Hinterhalt der Beter
deinen Leib trifft.

Dort draussen schwängen die Engel
15 sich von den Zweigen, zu trocknen // 01v
mit Linnen dein Blut,
sodass grösser und stummer noch stünde das Staunen des Greises:
wenn er dich auch endlich erkännte, mit Mühe,
so doch kaum je die Mitleidsirenen,
20 Luftgeister, Flügeldryaden.

Sonntag, 31 März 1957       )

Peter Paul Rubens: Der heilige Sebastian (B)

Wer es vermöchte
dich hinauszuführen zum Schilfplatz,
wo der bärtige Greis innehielte einen Moment
im Ausgiessen des Flusskrugs,
05 um, wenn auch umsonst, zu entdecken,
warum du hier stöhnend am Baum stehst:

Wer dies vermöchte,
dem bliebe erspart, in dem grossen
gehöhlten Lapislazuli der Kirche
10 aufzuzucken unter dem Schwirren
eines jeden einzelnen Pfeils,
der aus dem Hinterhalt der Gebete
deinen Leib trifft. // 02v

Dort draussen schwängen die Engel
15 sich von den Zweigen, zu trocknen
mit Linnen dein Blut,
sodass stummer noch stünde das Staunen des Greises:
wenn er dich auch endlich, mit Mühe, erkännte,
so erkännten dich kaum je die erschreckten
20 Luftgeister, Flussfrauen, Dryaden.

Freitag, 19 April 1957       )

Peter Paul Rubens: Der heilige Sebastian (C)

Wer es vermöchte, 
dich hinauszuführen zum Schilfplatz,
wo der schlammbärtige Greis einen Moment
innehielte im Ausgiessen des Flusskrugs,
05 um, wenn auch umsonst, zu entdecken,
warum du hier stöhnend am Baum stehst:

Wer dies vermöchte,
dem bliebe erspart, in der Lapislazulihöhle der Kirche
aufzuzucken unter dem Schwirren
10 eines jeden einzelnen Pfeils
der aus dem Hinterhalt der Gebete
deinen Leib trifft. // 03v

Dort draussen schwängen die Engel
sich von den Zweigen, zu trocknen
15 mit Linnen dein Blut,
sodass stummer noch stünde das Staunen des Greises:
wenn er dich auch vielleicht, mit Mühe, endlich erkännte,
so erkännten dich kaum je die verdrängten
Luftgeister, Flussfrauen, Dryaden:
20 wer es vermöchte ….

Freitag, 22 Februar 1957       )

Wolken (A)

Ballen,
auf den blauen Bahnen geschoben, 
grösser geballt und gestossen zu drohenden Haufen: 
lasten so, 
05 dass schon der Vorschatten des Sturzes 
biegt nieder die Bäume:

doch nun wendet das Linnen den Spiegel, 
der seines Augenblicks harrte grau an der Leine, 
mit dem geschickt gefangenen Licht ihnen zu 
10 und zündet die Ballen an überall 
an ihren zweifelnden Rändern.

Montag, 01 April 1957       )

Wolken (B)

Ballen,
auf den blauen Bahnen geschoben, 
gestossen und geballt zu drohenden Haufen: 
lasten so, 
05 dass schon der Vorschatten des Sturzes 
biegt nieder die Bäume. 

Doch nun wendet das Linnen den Spiegel, 
der seines Augenblicks harrte grau an der Leine, 
mit dem heimlich gesammelten Licht ihnen zu 
10 und zündet die Ballen an überall 
an ihren zaudernden Rändern.

Samstag, 20 April 1957       )

Wolken (C)

Ballen, auf blauen
Bahnen geschoben zu Haufen: 
lasten so, 
dass schon der Vorschatten des Sturzes 
05 biegt nieder die Bäume. 

Nun wendet das Linnen den Spiegel 
der an der Leine blind wartet, 
mit dem heimlich gesammelten Licht ihnen zu 
und zündet die Ballen 
10 an an ihren zaudernden Rändern.

Sonntag, 24 Februar 1957       )

Die Engelsburg (Der Kaiser spricht) (A)

Als ich die Augen in der Finsternis auftat,
begann ich mich langsam in dem Grabmal
durch die Jahrhunderte aufwärts zu tasten.

Schliesslich baute ich mir die oberen Zimmer aus 
05 und drapierte mich mit schweren Brokaten: 
Wie wandlungsfähig ist doch der Geschmack! 
Meine Krone trug ich, voll Lust zur Übertreibung, dreifach. 
Die Einfachheit, die mir von den Alten früher noch geblieben, 
liess ich jetzt ganz weg, 
10 da mir die Biegung der Seele so wichtig geworden war seither; 
die Anspannung der Kräfte, die man früher schön auswog, 
zum ungehemmten Wettstreit, 
war mir nun Zeitvertreib. // 01v
Und wenn es mich dann allzu sehr bemühte, 
15 befleissigte ich mich nächtlich der Sprache 
und Gestik verzückter Fische, 
die nur einfach stillschimmernd schwammen, 
ohne lange zu reflektieren. 

Bis ich mich schliesslich nach allem Wechsel, 
20 nach all den vielen Versuchen, // 02r
mein Imperium so verbindlich darzustellen, 
dass keiner, den es je ergriff, 
es wieder vergessen und sich ihm jemals wieder entziehen könnte: 
entschied ich mich für eines der am längsten wirksamen Bilder, 
25 das am wenigsten den Verdacht der blossen Maskerade auf sich
zieht, 
wenn ich auch wusste, 
dass er selbst in diesem Fall mir nicht erspart bliebe, und trat, 
nicht ohne Bedenken wegen des nicht zu vermeidenden 
Pathos solchen Auftritts – aber das schien mir das kleinere Übel – 
30 auf die Zinne: 

Das Schwert der Seuche in die Scheide steckend, 
die Flügel vom weiten Herabflug noch gebreitet, 
kurz, in der schönen Pose, der gemeinverständlichen, 
des nach langem Groll versöhnten, 
35 durch Bitten, Bussasche, Kerzen und Prozessionen endlich 
beschwichtigten // 02v
und so auf dieser hohen Stelle fromm erinnert festgehaltenen, 
die ganze Stadt beruhigenden Engels.

Montag, 01 April 1957       )

Die Engelsburg: Kaiser Hadrian spricht (B)

Als ich die Augen in der Finsternis auftat,
begann ich langsam mich in dem Grabmal durch die Jahrhunderte 
aufwärts zu tasten. 

Dann baute ich mir die oberen Zimmer aus 
und drapierte mich mit schweren Brokaten: 
05 Wie wandlungsfähig ist doch der Geschmack! 
Meine Krone trug ich, voll Lust zur Übertreibung, jetzt dreifach.

Die Bescheidenheit, die ich früher von den Alten noch hatte, 
liess ich jetzt ganz weg, 
da mir die Biegung der Seele so wichtig geworden war seither; 
10 die Anspannung der Kräfte, die man früher schön auswog, // 03v
zum ungehemmten Wettstreit, 
wurde mir zur unentbehrlichen Droge. 

Und hatte ich davon genug, 
befleissigte ich mich nachts der Sprache und Gestik 
15 verzückter Fische, 
die nur einfach, ohne Reflexion, 
stillschimmernd schwammen. 

Bis ich mich schliesslich nach all den vielen Versuchen, 
mein Imperium so verbindlich darzustellen, 
20 dass keiner, den es je ergriff, 
es wieder vergessen und sich ihm jemals wieder entziehen könnte: 
entschied für eines der am längsten wirksamen Bilder, 
das am wenigsten den Verdacht der blossen Maskerade auf
sich zieht // 04
und trat, nicht ohne Bedenken trotzdem 
25 wegen des nicht zu vermeidenden Pathos solchen Auftritts 
– aber das schien mir das kleinere Übel –, 
auf die Zinne: 

Das Schwert der Seuche in die Scheide steckend, 
die Flügel vom Herabflug noch gebreitet, 
30 kurz, in der schönen Pose, der gemein verständlichen, 
des nach langem Groll versöhnten, 
durch Bitten, Bussasche, Kerzen und Prozessionen endlich
beschwichtigten 
und so auf dieser hohen Stelle fromm erinnert festgehaltenen, 
die ganze Stadt beruhigenden Engels.

Sonntag, 21 April 1957       )

Die Engelsburg: Kaiser Hadrian spricht (C)

Als ich die Augen auftat in der finsteren Kammer, 
bekam ich Angst und begann 
mich langsam in dem Grabmal aufwärts zu tasten. 

Ich baute mir die oberen Zimmer aus 
05 und drapierte mich mit schweren Brokaten: 
Meine Krone trug ich, voll Lust zur Übertreibung, jetzt dreifach.
Die Reste von Bescheidenheit, 
die ich im Leben noch hatte, von den Alten her, 
liess ich jetzt ganz weg, 
10 da mir die Biegung der Seele so wichtig geworden war seither. // 05v

Und nachts 
befleissigte ich mich der Sprache und Gestik 
verzückter Fische, 
die nur einfach, ohne Reflexion 
15 still schimmernd schwimmen. 

Bis ich mich schliesslich, 
nach all den vielen Versuchen, 
mein Imperium so verbindlich darzustellen, 
dass keiner, den es je ergriff, 
20 es vergessen und sich ihm jemals wieder entziehen könnte: 
entschied für eines der am längsten wirksamen Bilder, 
das am wenigsten den Verdacht der blossen Maskerade auf sich zieht 

und trat, 
nicht ohne Bedenken wegen des doch verbleibenden,
unvermeidlichen // 06
25 Restes von Pathos (solchen Auftritts) 
– aber das schien mir das kleinere Übel – 
auf die Zinne: 

Die Flügel vom Herabflug noch gebreitet, 
das Schwert der Seuche in die Scheide steckend, 
30 kurz, in der schönen Pose, der gemein verständlichen, 
des nach langem Groll versöhnten, 
durch Bitten, Bussasche, Kerzen und Prozessionen endlich
beschwichtigten 
und so auf dieser hohen Stelle fromm erinnert festgehaltnen, 
(die Stadt) beruhigenden Engels.

Donnerstag, 02 Mai 1957       )

Die Engelsburg: Kaiser Hadrian spricht (D)

Als ich die Augen auftat in der finsteren Kammer, 
bekam ich Angst und begann 
mich langsam aufwärts zu tasten durch das Grabmal. 

Oben richtete ich mir Gemächer, 
05 wo ich in schwerem Brokat ging und, 
voll Lust zur Übertreibung, eine dreifache Krone trug: 
Die Reste von Bescheidenheit, 
die ich im Leben von den Alten noch hatte, 
liess ich jetzt ganz weg, 
10 da mir die Biegung der Seele so wichtig geworden war seither. 

Und nur gelegentlich, zur Entspannung, 
befleissigte ich mich der Sprache und Gestik 
verzückter Fische, 
die einfach, ohne Reflexion, 
15 still schimmernd schwimmen. // 07v

Bis ich mich schliesslich, 
nach all den vielen Versuchen, 
mein Imperium so verbindlich darzustellen, 
dass keiner, den es je ergriff, 
20 es vergessen und sich ihm jemals wieder entziehen könnte: 
entschied für eines der am längsten wirksamen Bilder, 
das am wenigsten den Verdacht der blossen Maskerade auf sich 
zieht 

und trat, 
nicht ohne Bedenken wegen des solchem Auftritt 
25 unvermeidlich verbleibenden Anflugs von Pathos 
– aber das schien mir das kleinere Übel – 
auf die Zinne: // 08

Die Flügel noch vom Herabflug gebreitet<,>
das Schwert der Seuche in die Scheide steckend, 
30 kurz, in der schönen Pose, der gemeinverständlichen, 
des nach langem Groll versöhnten, 
durch Bitten, Bussasche, Kerzen und Prozessionen endlich
beschwichtigten 
und so auf dieser hohen Stelle fromm erinnert festgehaltnen 
die Stadt und alle Welt beruhigenden Engels.

Als ich die Augen auftat in der Kammer, 
bekam ich Angst und begann 
mich durch das Grabmal langsam aufwärts zu tasten. 

Oben richtete ich mir Gemächer, 
05 wo ich in schwerem Brokat ging und, 
voll Lust zur Uebertreibung, eine dreifache Krone trug: 
Die Reste von Bescheidenheit, die
ich im Leben von den Alten noch hatte, 
liess ich jetzt ganz weg, 
10 da mir die Biegung der Seele so wichtig geworden war seither. 

Und nur gelegentlich, zur Entspannung, 
befleissigte ich mich der Sprache und Gestik 
verzückter Fische, 
die einfach, ohne Reflexion, 
15 still schimmernd schwimmen. 

Bis ich mich schliesslich, 
nach all den vielen Versuchen, 
mein Imperium so darzustellen, 
dass keiner, den es ergriff, 
20 sich ihm jemals wieder entziehen könnte: 
entschied für eines der Bilder, 
die lange wirken, auch wenn sie 
den Verdacht der blossen Maskerade auf sich ziehn, 
und trat auf die Zinne: // 09v

25 Die Flügel noch gebreitet vom Herabflug, 
das Schwert der Seuche in die Scheide steckend, 
kurz, in der schönen Pose 
des nach langem Groll versöhnten, 
durch Bitten, Bussasche, Kerzen und Prozessionen endlich
beschwichtigten 
30 und so auf dieser hohen Stelle fromm erinnert festgehaltnen
die Stadt beruhigenden Engels.

Montag, 25 Februar 1957       )

Garten und Strand (A)

Der Lampion treibt leicht auf dem Lachgischt
und auf dem Gesprächsschaum der Gäste, 
bis morgens vier Uhr der Sturm 
ihn hinwegträgt, 
05 und er zerschellt an der Zacke des Blitzes, 
und seine Reste, 
bald liegen sie unter der schwarzen Wandung des Donners, 
unkenntlich verbeult. 

Da steht in der Meerwiese ganz anders 
10 still das Nachmittagsstrandfloss; 
das Auge packt zu und fasst 
ein paar flatternde Stunden am Mast, 
und achtet nur wenig auf den stiebenden
Wettlauf der braunen Minuten.

Dienstag, 02 April 1957       )

Garten und Strand (B)

Der Lampion treibt im Gelächter 
hin auf den Gesprächen der Gäste, 
bis morgens vier Uhr der Sturm ihn davonträgt 
und er zerschellt an der blitzenden Zacke (des Blitzes)
05 und seine Reste 
unter der Wandung des Donners 
liegen, unkenntlich verbeult. 

Da steht in der Meerwiese ganz anders 
still das Nachmittagsstrandfloss: 
10 das Auge packt zu 
und greift eine flatternde Stunde am Mast 
und lacht nur hinüber 
zum stiebenden Wettlauf der braunen Minuten.

Montag, 22 April 1957       )

Garten und Strand (C)

Der Lampion treibt im Gelächter 
auf den Gesprächen der Gäste dahin, 
bis morgens vier Uhr der Sturm ihn davonträgt 
und er an der Zacke zerschellt 
05 und seine Reste, 
unkenntlich verbeult 
liegen unter der Wandung des Donners. 

Da steht in der Meerwiese ganz anders 
still das Nachmittagsstrandfloss: 
10 das Auge packt zu 
und greift eine flatternde Stunde vom Mast 
und lacht bloss hinüber 
zum stiebenden Wettlauf der braunen Minuten. 

Datiert: 1957       )

Garten und Strand (D)

Der Lampion treibt im Gelächter 
auf den Gesprächen der Gäste dahin, 
bis morgens vier Uhr der Sturm ihn davonträgt 
und er an der Zacke zerschellt 
05 und seine Reste, 
unkenntlich verbeult, 
liegen unter der Wandung des Donners. 

Da steht in der Meerwiese ganz anders 
still das Nachmittagsstrandfloss: 
10 das Auge packt zu 
und greift sich eine flatternde Stunde vom Mast 
und lacht bloss hinüber 
zum stiebenden Wettlauf der braunen Minuten.

Montag, 04 März 1957       )

Requiem für Raimund Schmid (A)

Dass du mir nicht in Birnau 
mit den anderen Schiffern einstiegst in die bizarre 
rosige Muschel, 
sondern es vorzogst, mit jähem 
05 Willen die Zustellung des ohnehin unvermeidlichen 
Befehls an der Autobahn zu erzwingen. 

Nicht erlaubt ist dies Auge, 
das nur schaut und nichts ansieht. 
Das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
10 die Gefahr für die andern 
Verkehrsteilnehmer 
bei so plötzlichem Wechsel des Ganges. – 

Überhaupt „was tun Sie hier an der Strasse?“
„Nichts, nichts, was sollte ich wollen? 
15 Wissen Sie nicht? …“
Du hast leider vergessen, // 02
dich vorzeitig mit andern 
zwecks Wahrnehmung deiner Interessen 
zusammenzuschliessen. 
20 Aber du weisst von keinen Interessen, 
es sei denn von diesem Bedürfnis, 
das auf einmal unüberwindlich da ist, 
mit dem Fuss einen dürren 
Zweig vom Strassenrand weg 
25 in die ängstlichen Gräser zu schieben.

Dass du mir nicht mit den anderen Schiffern 
einstiegst in Birnau 
in die rosig erlöschende  Muschel, 
sondern es vorzogst, 
05 an der Autobahn die Zustellung 
des ohnhehin unvermeidlichen Befehls zu erzwingen! …: 

Nicht erlaubt ist dies Auge, 
das nur schaut und nicht ansieht. 
Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
10 die Gefahr für die andern // 03v
Verkehrsteilnehmer 
bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. – 

Aber „was tun Sie hier an der Strasse?“
„Nichts nichts, was sollte ich wollen?“ 
15 „Wissen Sie nicht? …“
Du hast leider vergessen, 
dich rechtzeitig mit andern, 
zwecks Wahrnehmung deiner Interessen 
zusammenzuschliessen. 

20 Du weisst von keinen Interessen, 
es sei denn von diesem Bedürfnis, 
das manchmal unüberwindlich da ist, 
mit dem Fuss einen dürren 
Zweig vom Strassenrand weg 
25 in die Gräser zu schieben.

Dass du mir nicht mit den anderen Schiffern 
einstiegst in Birnau 
in die rosig erlöschende Muschel, 
sondern es vorzogst, 
05 die Zustellung des ohnehin 
unvermeidlichen Befehls 
an der Autobahn zu erzwingen! … 

Nicht erlaubt ist dies Auge, 
das nur schaut und nicht ansieht. 
10 Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
die Gefahr für die andern 
Verkehrsteilnehmer 
bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. – // 04v

Aber „was tun Sie hier an der Strasse?“
15 „Nichts, nichts, was sollte ich wollen?“
„Wissen Sie nicht …?“ 
Du hast leider vergessen, 
dich rechtzeitig mit andern, 
zwecks Wahrnehmung deiner Interessen, 
20 zusammenzuschliessen. 

Du weisst von keinen Interessen, 
es sei denn von diesem Bedürfnis, 
das manchmal unüberwindlich da ist, 
einen dürren Zweig von der Strasse weg 
25 mit dem Fuss in die Gräser zu schieben.

Dass du nicht mit den anderen Schiffern
einstiegst in Birnau 
in die rosig erlöschende Muschel, 
sondern es vorzogst, 
05 die Zustellung des ohnehin 
unvermeidlichen Befehls 
an der Autobahn zu erzwingen.... 

Nicht erlaubt ist dies Auge, 
das nur schaut und nicht ansieht. 
10 Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
die Gefahr für die andern 
Verkehrsteilnehmer 
bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. – 

Aber "was wollen Sie hier an der Strasse?"
15 "Nichts, nichts, was sollte ich wollen?"
"Wissen Sie nicht …?"
Du hast leider vergessen, 
dich rechtzeitig mit andern, 
zwecks Wahrnehmung deiner Interessen, 
20 zusammenzuschliessen.

Du weisst von keinen Interessen, 
es sei denn von diesem Bedürfnis, // 05v
das manchmal unüberwindlich da ist, 
einen dürren Zweig mit dem Fuss 
25 von der Strasse weg in die Gräser zu schieben.

Dienstag, 12 März 1957       )

Der Schmetterling (A)

Du folgst mir, Schmetterling, 
durch alle Gassen von Lucca, 
Herbstblatt, aus dem aperspektivischen 
Hain des Doms mir gekommen. 

05 Verfolgst mich und fliehst nicht 
vor dem unduldsam entfalteten 
riesigen Vogel Michael, 
der auf seines Gegenwalds Gipfel 
den Drachen durchbohrt. 

10 Du folgst mir herein in das dunkle 
Dickicht und wehst von der einen 
Blüte korinthischem Duften zur andern 
und ziehst mich zum Sarkophag, 
den du mit Flügeln erleuchtest, // 01v
15 verwischend vergossenes Blut, 
der Toten Gebeine leicht überfächelnd.

Donnerstag, 04 April 1957       )

Der Schmetterling (B)

Du folgst mir, Schmetterling,
durch alle Gassen von Lucca, 
Herbstblatt, aus dem aperspektivischen 
Vorhain des Doms mir gekommen. 

05 Du verfolgst mich und fliehst nicht 
vor dem unduldsam entfalteten riesigen 
Vogel Michael, 
der den Drachen durchbohrt 
auf seines Gegenhains Gipfel. 

10 Gegenhains, der verbirgt den 
Wald, wohin du mir folgst 
und wehst von der einen // 02v
korinthischen Blüte zur andern, 
mir vorwehst schliesslich, mich ziehst 
15 zum Sarkophag, den du flügelnd mit dem süssen 
korinthischen Staub überstreust, 
verwischend vergossenes Blut, 
überfächelnd Gebeine.

Mittwoch, 24 April 1957       )

Der Schmetterling (C)

Du folgst mir, Schmetterling, 
durch alle Gassen von Lucca, 
Herbstblatt aus des Doms 
aperspektivischem Vorhain. 

05 Verfolgst mich und fliehst nicht 
vor dem unduldsam entfalteten Vogel 
Michael, der den Drachen durchbohrt 

auf seines Gegenhains Gipfel 
und den Wald verbirgt, wohin du 
10 wehst, wo du wehst von der einen 
korinthischen Blüte zur andern, // 03v
mir vorwehst, mich zum Sarkophag ziehst, 
den du mit dem süssen 
Staub überstreust,
15 bedeckend geronnenes Blut, 
Gebein überfächelnd.

Mittwoch, 13 März 1957       )

Ara illuminata (A)

Über das von Glühlampen umkränzte Madonnenbild, das am 8. Dezember
vor den versammelten Schülern im Chorgewölbe der Luzerner Jesuitenkirche schwebt.

Sie fährt in ihrem Kranz aus elektrischen Lämpchen 
durch die Gespensterbahn des Gehirnlabyrinthes: 
und stösst jäh auf den Zahnarzt, 
der aufsteht und den Bohrer neu in den schreienden Schmerz gräbt. 

05 Sie leuchtet in ihrem Winkel die graue 
Hand des Lehrer an, die eben die Lateinarbeit (blutrünstig) rötet. 
Und feucht wischt ihr übers Gesicht 
die Angst um die Versetzung im Frühjahr. 

Es braucht jetzt nur noch das Tier dort sich zu recken, 
10 purpurn zu stöhnen: 
und sie kehrt zurück in den Altarraum. // 01v

Aber leider beruhigt sie sich nicht unter den Phrasen des Mönchs: 
„O unbefleckt Empfangene du …“ 
Zwei Glorienstrahlen sind schon erloschen. 
15 Für den Rest ist höchstens noch Hoffnung 
wenn der Küster die Sicherung wechselt. 
Aber man fürchtet schon, es liegt an den Lampen.

Freitag, 05 April 1957       )

Ara illuminata (B)

Über das von Glühlampen umkränzte Madonnenbild, das
jährlich am 8. Dezember vor den versammelten Gymnasiasten
im Chorgewölbe der Luzerner Jesuitenkirche schwebt.

Sie fährt in ihrer Angst aus elektrischen Lämpchen 
durch die Gespensterbahn des Gehirnlabyrinths 
und läuft schon den Zahnarzt an, 
der aufsteht und den Bohrer in den neu schreienden Nerv gräbt. 

05 Sie leuchtet in ihrem Winkel an die graue 
Hand des Lehrers, die eben die Lateinarbeit schlachtet. 
Und die Angst um die Versetzung im Frühjahr 
wischt ihr feucht übers Gesicht. // 02v

Es braucht jetzt nur noch das Tier dort 
10 sich purpurn zu recken, zu stöhnen: 
und sie schwankt zurück in den Altarraum. 

Aber leider genügen die Phrasen des Mönchs: 
„O unbefleckt Empfangene du …“ 
nicht mehr, sie zu beruhigen. 
15 Zwei Glorienstrahlen sind schon erloschen; 
für den Rest ist höchstens noch Hoffnung, 
wenn der Küster die Sicherung wechselt. 
Aber man fürchtet bereits, es liegt an den Lampen.

Donnerstag, 25 April 1957       )

Ara illuminata (C)

Wachtraum eines Schülers vor dem von Glühlampen umkränzten Madonnenbild, das jährlich
am 8. Dezember vor den versammelten Gymnasiasten der „Grossen
marianischen Kongregation“ im Chorgewölbe der Luzerner Jesuitenkirche schwebt.

Sie fährt in ihrer Angst aus elektrischen Lämpchen
durch das Gespensterlabyrinth des Gehirns 
und fährt gleich auf den Zahnarzt und macht 
ihn aufstehn und neu sausen den Bohrer im Nerv. 

05 Sie leuchtet im Winkel die graue 
Hand des Lehrers an, die eben 
die Lateinarbeit schlachtet. 
Und die feuchte Sorge um die Versetzung im Frühjahr 
wischt ihr übers Gesicht. // 03v

10 Es braucht jetzt nur noch das Tier dort 
sich stöhnend zu recken, 
und sie schwankt 
zurück in den Altarraum. 

Aber leider genügen die Phrasen des Mönchs: 
15 „O unbefleckt Empfangene du …“
nicht mehr, sie zu beruhigen. 
Zwei Glorienstrahlen sind schon erloschen; 
für den Rest ist höchstens noch Hoffnung, 
wenn der Küster die Sicherung wechselt. 
20 Und man fürchtet bereits, es liegt an den Lampen.

Datiert: 1957       )

Ara illuminata (D)

(Wachtraum eines Schülers vor dem von Glühlampen umkränzten
Madonnenbild, das jährlich am 8. Dezember vor den versammelten
Gymnasiasten der „Grossen marianischen Kongregation“ im Chor-
gewölbe der Luzerner Jesuitenkirche schwebt)

Sie fährt in ihrer Angst aus elektrischen Lampen 
durch das Gespensterlabyrinth des Gehirns 
und fährt gleich auf den Zahnarzt und macht 
ihn aufstehn und neu sausen den Bohrer im Nerv. 

05 Sie leuchtet im Winkel die graue 
Hand des Lehrers an, die eben 
die Lateinarbeit schlachtet. 
Und die Sorge um die Versetzung im Frühjahr 
wischt ihr feucht übers Gesicht. 

10 Es braucht jetzt nur noch das Tier dort 
sich stöhnend zu recken, 
und sie schwankt zurück in den Altarraum.

Aber leider genügen die Phrasen des Mönchs: 
„O unbefleckt Empfangene du…“ 
15 nicht mehr, sie zu beruhigen. 
Zwei Glorienstrahlen sind schon erloschen; 
für den Rest ist höchstens noch Hoffnung, 
wenn der Küster die Sicherung wechselt. 
Und man fürchtet bereits, es liegt an den Lampen.

Dienstag, 09 April 1957       )

Antonius und der Satyr / Dialog (A)

Satyr, bricht aus dem Gehölz: Wo hast du die silberne Schüssel, die ich dir auf den Weg gelegt habe? 

Antonius: Ah, von dir stammt diese Schüssel, ich habe sie wohl gesehen. Aber ich bin der Versuchung nicht erlegen, ich habe mich gleich abgewandt. 

Satyr, sehr niedergeschlagen: Und ich habe den ganzen Tag hier gewartet, dass du vorbeikämest, und wollte mich hier aus dem Verborgenen ganz unbemerkt an deiner Freude über das Geschenk weiden. 

Antonius, streng: Und nun bist du doch herausgekommen, mich zu erschrecken? 

05 Satyr, sich entschuldigend: O nein, daran, dass ich dich erschrecken könnte, dachte ich nicht. – Ich bin das nicht gewöhnt, die Zeiten // 01v haben sich geändert. 

Antonius, überlegen: Freilich, das haben sie. – Weisst du, was mit der Schüssel war? Als ich mich abwandte und den Namen Christi aussprach, da löste sie sich in Rauch auf. 

Satyr, mit weit aufgerissenen Augen: Was sagst du da? Das gibt es doch nicht, das ist ja unheimlich. 

Antonius: Du Heuchler, meinst du, ich erkenne dich nicht? Gib nur zu, wer du bist. 

Satyr, verwirrt: Ich, nein, mich erkennst du doch, ich bin doch Satyr, der Waldgott, gehöre hierher. 

10 Antonius, immer aggressiver: Damit sind wir der Wahrheit schon näher: gib zu, gib nur zu, wer du bist! Weich mir nicht aus! 

Satyr, flehentlich: Satyr bin ich, der Waldgott, sicher, glaub mir … // 02

Antonius fixiert ihn unbeirrt. 

Satyr, kleinlaut: nach dem Irrglauben der Heiden. 

Antonius, befriedigt: Siehst du, du kommst mir nicht aus. – Sag es doch nur genau: der Teufel bist du, gekommen mir aufzulauern, mich zu verderben. 

15 Satyr, wirft sich vor ihm nieder: Der Waldgott bin ich, Satyr, glaub mir. Ein Geschenk wollte ich dir machen. 

Antonius schweigt eisig. 

Satyr krümmt sich verzweifelt zusammen: Schau mich nicht so an; ich weiss, ich bin der Teufel, der Böse, gekommen, dich zu verderben. Aber schau mich nicht so an. 

Antonius: Im Namen des allein wahren Gottes, weiche Satan. 

Der Satyr liegt verröchelnd, Antonius schreitet, triumphierend, weiter.

Freitag, 28 Juni 1957       )

Antonius und der Satyr / Dialog (B)

Satyr, bricht aus dem Gehölz: Wo hast du die silberne Schüssel, die ich dir auf den Weg gelegt hatte? 

Antonius: Ah, von dir stammt diese Schüssel. Ich sah sie wohl. Aber ich habe mich schnell abgewandt. 

Satyr, niedergeschlagen: Und ich habe den ganzen Tag hier gewartet, dass du vorbeikämest, um mich in meinem Versteck an deiner Freude über das Geschenk zu weiden. 

Antonius, streng: Und nun bist du doch herausgekommen, mich zu erschrecken? 

05 Satyr, sich entschuldigend: O nein, daran, dass ich dich erschrecken könnte, dachte ich nicht.
verlegen: – Ich bin das nicht gewöhnt, die Zeiten haben sich geändert. 

Antonius: Freilich, das haben sie. – Weisst du, was mit der Schüssel war? Als ich den Namen Christi aussprach, da löste sie sich // 03v <in> Rauch auf. 

Satyr, mit weit aufgerissenen Augen: Was sagst du da? Das ist ja unheimlich. 

Antonius: Du Heuchler, meinst du, ich erkenne dich nicht? Gib nur zu, wer du bist. 

Satyr, ängstlich: Ich, nein, mich erkennst du doch, ich bin Satyr, der Waldgott, gehöre hieher. 

10 Antonius, immer schärfer: Damit sind wir der Wahrheit schon näher; gib zu, gib nur zu, wer du bist! Weich mir nicht aus! 

Satyr, flehentlich: Satyr bin ich, glaub mir, der Waldgott … 

Antonius fixiert ihn unerbittlich 

Satyr, kleinlaut: … nach dem Irrglauben der Heiden. 

Antonius, befriedigt: Siehst du, du kommst mir nicht aus. – Sag es doch nur genau: der Teufel bist du, gekommen, // 04  mir aufzulauern, mich zu verderben. 

15 Satyr, wirft sich vor ihm nieder: Der Waldgott bin ich, Satyr, glaub mir. Ein Geschenk wollte ich dir machen. 

Antonius schweigt eisig. 

Satyr, krümmt sich verzweifelt: Schau mich nicht so an; ich weiss, ich bin der Teufel, der Böse, gekommen, dich zu verderben. Aber schau mich nicht so an. 

Antonius: Im Namen des allein wahren Gottes, weiche Satan! 

Der Satyr liegt verröchelnd. Antonius geht, triumphierend, weiter.

Datiert: 1957       )

Antonius und der Satyr / Dialog (C)

Satyr, bricht aus dem Gehölz: Wo hast du die silberne Schüssel, die ich dir auf den Weg gelegt hatte? 

Antonius: Ah, von dir stammte diese Schüssel. Ich sah sie wohl, aber ich habe mich schnell abgewandt. 

Satyr, niedergeschlagen: Und ich habe den ganzen Tag hier gewartet, dass du vorbeikämst, um mich an deiner Freude über das Geschenk zu weiden. 

Antonius, streng: Und nun bist du doch herausgekommen, mich zu erschrecken? 

05 Satyr: O nein, daran, dass ich dich erschrecken könnte, dachte ich nicht. –

verlegen:

Das bin ich nicht gewöhnt, die Zeiten haben sich geändert. 

Antonius: Freilich, das haben sie. – Weisst du, was mit der Schüssel war? Als ich den Namen Christi aussprach, da löste sie sich in Rauch auf. 

Satyr, mit weit aufgerissenen Augen: Was sagst du da? Das ist ja unheimlich. 

Antonius: Du Heuchler, meinst du, ich erkenne dich nicht? Gib nur zu, wer du bist. 

10 Satyr, ängstlich: Ich, nein, mich erkennst du doch; ich bin Satyr, der Waldgott, gehöre hieher. 

Antonius: Damit sind wir der Wahrheit schon näher: gib zu, gib nur zu, wer du bist! Weich mir nicht aus! 

Satyr, flehentlich: Satyr bin ich, glaub mir, der Waldgott… 

Antonius fixiert ihn unerbittlich. 

Satyr, kleinlaut: …nach dem Irrglauben der Heiden. // 05v

15 Antonius: Siehst du, du kommst mir nicht aus. – Sag es doch nur genau: der Teufel bist du, gekommen, mir aufzulauern, mich zu verderben. 

Satyr, wirft sich vor ihm nieder: Der Waldgott bin ich, Satyr, glaub mir. Ein Geschenk wollte ich dir machen. 

Antonius schweigt. 

Satyr, krümmt sich verzweifelt: Schau mich nicht so an; ich weiss, ich bin der Teufel, der Böse, gekommen, dich zu verderben. Aber schau mich nicht so an. 

Antonius: Im Namen des allein wahren Gottes, weiche Satan! 

20 Der Satyr liegt verröchelnd. Antonius setzt, triumphierend seinen Weg fort.

Dienstag, 09 April 1957       )

Nero und der Frosch (A)

„Nicht dass ihr glaubt,
ich, der ich Alles leiste, 
brächte dies nicht zustande, 
was meiner Mutter gelang: 
05 einen Sohn aus meinem Leib zu gebären. 
Nur ihm will ich kundtun, warum 
der Zaubrer die Hunde vor meinem Thron 
zum Singen brachte und die steinernen Bilder 
auf dem Sims des Palastes zum Lachen. 
10 Ihm will ich es kundtun im Gespräch, 
das ich mit ihm führe geheim 
und innerlich vor seiner Geburt. 
Denn nur dieses Tragen, // 01v
nur dieser Schmerz erlaubt die notwendige Einung, 
15 daraus der Erbe meines Reiches hervorspringt, 
das stets nur ein Gott wie ich selber beherrsche.“

Spricht der Kaiser und bricht in das von den Ärzten 
schnell untergebreitete Goldtuch 
den Frosch mit Blut und vielem Gekotze.
20 „So aus Kot wächst die Schönheit, 
der Gott steht am Ende“
stöhnt der Kaiser, // 02
indes man den Frosch in Prozession 
bringt in die vorbereitete Kammer an der äusseren Mauer, 
25 Damit er dort, wachsend hinterm goldenen Gitter, 
empfange die Huldigungen des ein- und ausziehenden Volkes. 

Und am Tag, wo man den Kaiser, feiste, 
blutige Qualle, aufgeschlitzt fand am Boden, 
verbrannten den Frosch die Bürger der Vorstadt, 
30 verbrannten aus Furcht in Reisig den Erben des göttlichen Reiches.

Donnerstag, 11 April 1957       )

Nero und der Frosch (B)

„Einen Sohn will ich
– Warum könnte ichs nicht, da meine Mutter es konnte? – 
in meinem Leib tragen 
und ihm im innerlichen Gespräch 
05 die geheime Schatulle eröffnen, 
die den Stab birgt, mit dem ich 
zum Singen bringe die Hunde
und zum Lachen 
die steinernen Bilder auf dem Sims des Palastes, 
10 und ihn dann, den Erben, gebären.“

Spricht der Kaiser 
und kotzt in das Goldtuch, 
das die Ärzte eben noch untergebreitet, 
mit Blut und vielem Unrat den Frosch. // 03v

15 Aber obwohl ihn eine grosse Prozession 
der Vestalen und aller Priesterschaften geleitet 
in die Kammer am Tor der äusseren Mauer, 
wird er schon bald, 
am Tag, wo man den Kaiser, feiste, blutige Qualle, 
20 aufgeschlitzt findet im Kot 
von den Römern in Stroh und Reisig verbrannt, 
der Frosch verbrannt in lodernder Angst von den Römern.

Freitag, 12 April 1957       )

Nero und der Frosch (C)

„Einen Sohn will ich gebären
– warum könnte ichs nicht, wenn meine Mutter es konnte? – 
nachdem ich ihn im Leib trug 
und ihm im innerlichen Gespräch 
05 die Schatulle auftat, 
die den Stab birgt, mit dem ich 
zum Singen bringe die Hunde 
und zum Lachen 
die steinernen Bilder.“

10 Spricht der Kaiser 
und kotzt in das Laken den Frosch, 
mit unverdauter, scharf stinkender Speise zusammen. // 04v

Aber obwohl eine Prozession 
aus allen Priesterschaften 
15 ihn jetzt in die Kammer am Tor der äusseren Mauer geleitet, 
werden die Römer am Abend des Tags, 
wo sie den Kaiser, aufgeschlitzt im Kot fanden, 
finster schweifen und nicht 
schlafen gehen in ihre Häuser, 
20 bevor sie den Frosch gegriffen 
und ihn verbrannt, aus Angst vor seinem Geheimnis.

Samstag, 13 April 1957       )

Neros Frosch (D)

„Nachdem ich ihn lange im Leib trug
und im innerlichen Gespräch 
ihm auftat die Schatulle, 
die den Stab birgt, womit ich 
05 zum Singen bringe die Hunde 
und zum Lachen die steinernen Bilder, 
will ich gebären – warum könnte ichs nicht, 
da meine Mutter es konnte? – 
will ich gebären den Sohn.“

10 Spricht der Kaiser und kotzt 
in unverdauter, scharf stinkender Speise 
den Frosch in das Laken. // 05v

Aber obwohl eine Prozession 
aus allen Priesterschaften ihn jetzt in die Kammer 
15 am Tor der äusseren Mauer geleitet, 
werden die Römer am Abend des Tags, 
wo sie den Kaiser aufgeschlitzt fanden im Kot, 
nicht schlafen in ihren Häusern, die Ohren 
vom Singen der Hunde
20 brennend, vom Lachen der steinernen Bilder, 
und finster schweifen, ergreifen 
den Frosch und mit einem Gebirge von Reisig verbrennen.

Montag, 29 April 1957       )

Neros Frosch (E)

„Nachdem ich im innerlichen Gespräch 
ihm auftat die Schatulle, 
die den Stab birgt, womit ich 
zum Singen bringe die Hunde 
05 und zum Lachen die steinernen Bilder, 
will ich gebären – 
warum könnte ichs nicht, 
da sogar meine Mutter es konnte? – 
den Sohn.“

10 Spricht der Kaiser und kotzt 
in unverdauter, stinkender Speise 
den Frosch in das Laken. 

Aber obwohl eine Prozession 
aller Priesterschaften ihn jetzt in die Kammer // 06v
15 am Tor der äusseren Mauer geleitet, 
werden die Römer am Abend des Tags, 
wo sie den Kaiser aufgeschlitzt im Kot fanden, 
nicht schlafen, die Ohren 
brennend vom Singen der Hunde, 
20 vom Lachen der steinernen Bilder, 
und finster schweifen, ergreifen 
den Frosch und auf einem Gebirge von Reisig verbrennen.

Dienstag, 26 November 1957       )

Neros Frosch (F/G)

Heute geleitet zwar
die Prozession 
aller Priester den Frosch, 
den der Kaiser mit unverdauter 
05 Speise ins Laken gekotzt, 
in die Kammer am Tor der äusseren Mauer. 

Doch am Abend des Tags, 
wo sie den Kaiser aufgeschlitzt im Kot finden, 
werden die Römer nicht schlafen, solang 
10 sein Wort in den Ohren noch bohrt: 

„Wenn meine Mutter sogar // 07v
es konnte, warum 
soll ich nicht gebären den Sohn 
und ihm den Stab übergeben?“

15 Finster werden sie schweifen, ergreifen 
den Frosch und auf einem Gebirge von Reisig verbrennen.

Montag, 19 August 1957       )

Der Tod in Blumen (A)

Der Sturm reisst die Blüten
die schwer ins Faulige duften, 
zur Seite; da liegt der Schläfer erstickt, 
hinein auf der Woge der Düfte geglitten, 
05 weiss, in die Mitte des Wirbels: 
wo dem Saurier nie mehr die Sonne 
stürzt an die Brust, 
sodass er zu Lämmern gesänftigt 
über den Himmel sich hinstreut: 

10 Und der Sturm trägt die Blüten, 
die schwer ins Faulige duften, 
zur Seite, 
und Staub von den Wegen // 01v
in Ohren und Nüstern und in den klaffenden 
15 Mund des Erstickten: 
Ihm steht der Saurier still, 
mitten im Wirbel.

Sonntag, 03 November 1957       )

Der Tod in Blumen (B)

Der Sturm reisst die Blüten, 
die schon ins Faulige duften, 
zur Seite; da liegt der Schläfer, herein 
auf der Woge der Düfte geglitten, erstickt 
05 in der Mitte des Wirbels: 

Wo dem Saurier nie mehr die Sonne 
stürzt an die Brust, 
sodass er, zu Lämmern gesänftigt, 
über den Himmel sich hinstreut. 

10 Und der Sturm trägt die Blüten, 
die schwer ins Faulige duften, 
zur Seite, 
den Staub von den Wegen 
in Ohren und Nüstern und in den klaffenden // 02v
15 Mund des Erstickten: 
Da steht der Saurier still 
in der Mitte des Wirbels.

Donnerstag, 28 November 1957       )

Der Tod in Blumen (C/D)

Der Sturm reisst die Blüten, 
die schon ins Faulige riechen, 
zur Seite: da liegt der Schläfer, herein 
auf Gerüchen geglitten, erstickt 
05 in der Mitte des Wirbels: 

Wo dem Saurier nie mehr die Sonne 
stürzt an die Brust, 
sodass er, zu Lämmern gesänftigt, 
über den Himmel sich hinstreut. 

10 Und der Sturm trägt die Blüten, 
die (schwer) ins Faulige riechen, 
zur Seite, 
doch den Staub von den Wegen // 03v
in Ohren und Nüstern 
15 und in den klaffenden 
Mund des Erstickten: 
Da steht der Saurier still 
mitten im Wirbel –

Dienstag, 20 August 1957       )

Die Heilung (A)

„Glaubst du, dass ich,
weil ich im Buschhemd und in zerrissenen 
Farmerhosen am Abfallkorb lehne, 
eine Banane angegessen hinterm Rücke versteckt, 
05 glaubst du, dass ich deswegen berührbarer bin als andere Engel?“

Der Geheimrat dachte sofort, 
als er ihn von weitem sah, 
von einer weissen Bank aus, 
wie er hinten im Park stand 
10 unter Kindern und scheltenden Müttern: 
dass dieser gekommen war in den schläfrigen Sonntag, 
ihm seine Heilung zu bringen. 

Gewiss wars ihm dann, 
als die Sonne den Nebel fester umnahm 
15 und die Kinder entglitten: // 01v
da blieb jener drüben zwischen den schweren
Todkastanien stehen, 
obwohl es schon anfing zu rieseln 
und auch das stupsnasige Mädchen, 
20 das zwischen den Bänken hartnäckig 
verlegen lang schon auf- und abging, 
sein Rad nahm und wegfuhr: 
um dem Duft von schlechter 
Seife und Parfüm zu entfliehen, 
25 hatte der Geheimrat die Bank schon dreimal gewechselt – 

Als er jetzt langsam herankam, 
lachte der Engel und streckte ihm die Banane entgegen: 
Aber die Füsse, nein, die liess er nicht küssen, 
obwohl der Geheimrat 
30 schon den Stock auf den Boden 
gelegt hatte und sich anschickte, zu knien, 
ungeachtet, dass der Saum seines schwarzen // 02
Sonntagsmantels in den Kies, 
in den Sand sank; 
35 und es regnete jetzt sehr stark: 
Der Engel hob ihn auf und steckte 
ihm in den Mund den ganzen Rest der Banane. –

Sonntag, 03 November 1957       )

Die Heilung (B)

„Glaubst du, dass ich,
weil ich im karierten Hemd und in 
Farmerhosen am Abfallkorb lehne, 
in der Hand eine angegessne Banane, 
05 glaubst du, dass ich deswegen nahbarer bin als andere Engel?“

Der Geheimrat dachte sofort, 
als er ihn von einer weissen 
Bank aus unter Kindern 
und gestikulierenden Müttern hinten im Park stehn sah: 
10 dass dieser gekommen war in den Sonntag, 
ihm seine Heilung zu bringen. 

Gewiss war es ihm dann, 
als die Sonne den Nebel fester umnahm // 03v
und die Kinder entglitten: 
15 da blieb jener drüben zwischen den schweren 
Todkastanien stehen, 
obwohl es anfing zu rieseln 
und auch das Mädchen, 
das zwischen den Bänken hartnäckig 
20 verlegen lang schon auf- und abging, 
sein Rad nahm und wegfuhr. 

Als er jetzt langsam und keuchend 
von Asthma herankam, 
lachte der Engel und streckte ihm die Banane entgegen: 
25 Aber die Füsse, nein, die liess er nicht küssen, 
obwohl der Geheimrat schon den Stock auf den Boden 
gelegt und sich anschickte zu knien, 
ungeachtet, dass der Saum seines // 04
Sonntagsüberziehers 
30 in den Kies, in den Sand sank. 
Und es begann jetzt sehr stark zu regnen: 
Der Engel hob ihn auf und steckte 
ihm in den Mund den ganzen Rest der Banane.

Donnerstag, 28 November 1957       )

Die Heilung (C/D)

„Glaubst du, dass ich,
weil ich im Buschhemd und in 
Farmerhosen am Abfallkorb lehne, 
in der Hand eine angegessne Banane, 
05 glaubst du, dass ich deswegen 
nahbarer bin als andere Engel?“

Der Geheimrat dachte sofort, 
als er ihn von seiner weissen 
Bank aus unter Kindern und strickenden Müttern 
10 hinten im Park stehen sah:
dass dieser gekommen war in den Sonntag, 
ihm seine Heilung zu bringen. // 05v

Gewiss war es ihm, als die Sonne den Nebel 
fester umnahm und die Kinder entglitten: 
15 Da blieb jener zwischen den schweren 
Todkastanien stehen, 
obwohl es anfing zu rieseln 
und auch das Mädchen, 
das zwischen den Bänken 
20 verlegen lang schon auf- und abging, 
sein Rad nahm und wegfuhr. 

Als er jetzt, keuchend 
von Asthma, herankam, 
lachte der Engel und streckte 
25 ihm die Banane entgegen. 
Aber die Füsse, nein, liess er nicht küssen, 
wenn auch der Stock des Geheimrats 
schon auf der Erde // 06
lag und er sich zu knien anschickte 
30 – ungeachtet ,des Saums 
seines Sonntagsmantels, 
der in den Sand sank – .

Und es regnete sehr stark: Der Engel 
hob ihn auf und steckte 
35 ihm in den Mund den ganzen Rest der Banane.

Dienstag, 20 August 1957       )

Das Atelier oder das Himmlische Jerusalem (A)

Der Meister sitzt ermüdet und isst
schnell ein belegtes Brot zu einem Glas Milch in der Nische, 
die die grellen 
Balken der Scheinwerfer verschliessen 
05 vor den Blicken des Chors, 
der sein Lied auch jetzt noch übt, in der Pause. 

Verspätet kommt noch der eine 
und andre Chorist übers Gelände 
der sonst verfallenen Filmstadt, 
10 wo Kinder Kulissenreste aufsammeln, 
zum schwarzen Türvorhang:
Dort leuchtet ihm eine der Wachen  
mit der Lampe in seinen Ausweis, 
indes die andre auf- und abpatroulliert, // 01v
15 doch nie über die mit weissen 
Pflastersteinen gezogne Linie hinausgeht. – 

Drinnen drehen die Augen auf den Gestellen 
plötzlich und werfen die Balken 
den Choristen ins Aug, 
20 die sich tief über die Noten 
beugen, zu schwitzen, zu zittern beginnen: 
Der Meister tritt aus der Nische, indes er, 
schon die eine Hand hebend, 
sein Trikot mit der anderen straff zieht.

Montag, 18 November 1957       )

Das Atelier oder das Himmlische Jerusalem (B)

Der Meister isst schnell ein Schinkenbrot in der Nische, 
die die Scheinwerfer, künstliche Cherube, 
vor dem Blick der Choristen mit grellen Balken verriegeln. 

Der eine oder andere kommt noch verspätet 
05 übers Gelände der verfallenden Filmstadt, 
wo Kinder Kulissenreste aufsammeln, 
zum schwarzen Türvorhang: 
Dort leuchtet ihm die eine der Wachen 
in seinen Ausweis; die andre 
10 patroulliert auf- und ab und achtet 
genau darauf, die Linie  aus weissen // 02v
Pflastersteinen nicht zu berühren. 

Drinnen wenden die Cherube 
plötzlich und stossen die Balken 
15 den Choristen ins Aug:
das fällt hinab in die Noten. – 
Der Meister tritt aus der Nische und wischt 
mit der einen Hand über den Mund, 
mit der andern zieht er sein Trikot straff.

Freitag, 29 November 1957       )

Das Atelier oder das Himmlische Jerusalem (C/D)

Die Cherubim verriegeln die Nische, 
wo der Dirigent sein Schinkenbrot isst, 
mit grellen Balken 
vor dem Blick der Choristen. 

05 Einer kommt noch 
übers Gelände der Filmstadt verspätet 
zum schwarzen Türvorhang: Die eine 
Wache leuchtet in seinen Ausweis; die andre 
patroulliert auf- und ab und achtet 
10 genau, die Linie aus weissen 
Pflastersteinen nicht zu betreten. // 03v

Denn es wenden die Cherubim plötzlich 
und stossen die Balken 
den Choristen ins Auge: 
15 es fällt hinab in die Noten. – 

Der Dirigent tritt aus der Nische und wischt 
sich den Mund mit der einen 
Hand, mit der andern 
zieht er sein Trikot straff.

Mittwoch, 21 August 1957       )

Das Glashaus (A)

Die Engel öffnen mein Glashaus zwar zuweilen,
aber nur, um mich sehr schnell hinauf in die Luft 
zu tragen, sodass mich beim Aufstieg oft die Zweige der Wipfel 
schmerzhaft peitschen 
05 und ich fürchte, ich stürze 
gleich in die Öllache vor der Tankstelle hinunter. 

Dort hupt man, dort ruft man 
und hört nicht den Zank, 
den die Nachbarsengel mit meinen Engeln aufrühren, 
10 sodass sie, allzu heftig auf- und abfahrend und zerrend 
mich wirklich fallen lassen, beinahe. 

Und wieder drinnen im Glashaus, mir schwitzen noch Hände und 
Füsse, gehts mir nicht besser: 
Wenn ich die Hand ausstrecke, 
um einen, der draussen vorbeigeht, zu grüssen, 
15 zerschlag ich in meiner Freude die Wand 
und werf ihm die Scherben grad ins Gesicht. 
Sodass er schleunig wegläuft und sich mit dem // 01v
Taschentuch das Blut von der Stirn wischt. – 

Meinen Engeln aber sehe ich an, obwohl sie nie etwas sagen, 
20 dass sie die Arbeit, schon wieder 
eine neue Scheibe zu schneiden und einzusetzen, 
mir heimzahlen beim nächsten Spazierflug.

Montag, 18 November 1957       )

Das Glashaus (B)

Die Engel öffnen zwar zuweilen sein Glashaus,
aber nur, um ihn sehr schnell in die Lüfte 
zu tragen, sodass ihn beim Aufstieg oft die Zweige der Wipfel 
schmerzhaft peitschen 
05 und er fürchtet, 
gleich in die Öllache vor der Tankstelle hinunter zu stürzen. 

Dort hupt man, dort ruft man 
und hört nicht den Zank, 
den die Nachbarsengel mit seinen Engeln aufrühren, 
10 die dann, allzu heftig auf- und abfahrend und zerrend, 
ihn wirklich fallen liessen, beinahe. // 02v

Und wieder drinnen im Glashaus zerschlägt er, 
wenn er die Hand hebt, 
um einen, der draussen vorbeigeht, zu grüssen, 
15 in seiner Freude die Wand 
und wirft ihm die Scherben 
grad ins Gesicht, 
sodass dieser wegläuft 
und sich mit dem Taschentuch das Blut von der Stirn wischt. 

20 Seine Engel sagen zwar nichts: aber werden 
sie ihm die Arbeit, eine neue 
Scheibe zu schneiden, zu kitten, 
nicht schon morgen mit heftigem Fahren und Zerren 
heimzahlen, beim nächsten Spazierflug?

Freitag, 29 November 1957       )

Das Glashaus (C/D)

Die Engel öffnen
zwar täglich sein Glashaus, aber nur, 
um ihn schnell in die Lüfte 
zu tragen, sodass ihn der Wipfel 
05 peitscht und er fürchtet, 
hinab in die Öllache vor der Garage zu stürzen. 

Dort hupt man und ruft 
und hört nicht den Zank, 
den die Nachbarsengel mit seinen Engeln aufrühren, 
10 die heftig auf- und abfahren und zerren 
und ihn wirklich fallen liessen, beinahe. 

Doch wieder sicher im Glashaus, zerschlägt er, 
als er die Hand hebt, um einen, 
der vorbeigeht, zu grüssen, die Wand // 03v
15 und wirft ihm die Scherben 
grad ins Gesicht, 
sodass dieser das Blut 
mit dem Taschentuch von der Stirn wischt und wegläuft 

Seine Engel schweigen; aber 
20 sie werden die Arbeit, eine neue 
Scheibe zu schneiden, zu kitten, 
morgen heimzahlen beim Aufflug.

Donnerstag, 22 August 1957       )

Der Fischteich (A)

Es genügt, dass ein Auto beim Parken
einem andern die Stossstange verbeult,
um die Dame und zwei ältere Herren,
den einen mit Halbglatze,
05 auf der Terrasse von ihrem Eis
aufschiessen zu lassen.

Und das kleine Mädchen im Schottenrock
auf den Stuhl steigen
und alle ihre Blicke nach dem Ort des Missgeschicks richten zu lassen:
10 Neugier genügt.

Es genügt, dass die Sonne
sich einen Augenblick hinter Wolken zurückzieht,
damit sie alle, als hätte man es ihnen also verwiesen,
sich wieder setzen und wieder ganz auf ihr Eis konzentrieren:
15 Ein Tadel genügt. // 01v
Es genügt, dass die Fliegen
hin- und her durch die Luft
schwärmen, damit wieder offen
der Teich liegt mit dem immer unmerklich erneuerten Wasser,
20 damit die unberührbaren Fische,
die dem Helios heilig sind, schwimmen:
Mehr als alles, Erinnerung, die genügt.

Dienstag, 19 November 1957       )

Der Fischteich (B)

Es genügt, dass ein Wagen beim Parken
einem andern die Stossstange verbeult,
um die Frau und zwei ältere Männer,
den einen mit Halbglatze,
05 von ihrem Eis auf der Terrasse
aufschiessen zu lassen;

und das kleine Mädchen im Schottenrock
auf den Stuhl steigen
und alle vier ihre Blicke nach dem Ort des Missgeschicks richten zu lassen:
10 Neugier genügt.

Es genügt, dass die Sonne
sich einen Augenblick hinter Wolken zurückzieht,
damit sie alle, da man es ihnen also verwiesen, // 02v
sich wieder setzen und wieder ganz auf ihr Eis konzentrieren:
15 Ein Tadel genügt.

Es genügt, dass die Fliegen
hin- und her durch die Luft
schwärmen, damit wieder offen
der Teich liegt mit dem immer unmerklich erneuerten Wasser,
20 damit die unberührbaren Fische,
die dem Helios heilig sind, schwimmen:
Mehr als alles, Erinnerung, die genügt.

Samstag, 30 November 1957       )

Der Fischteich (C/D)

Es genügt, dass ein Wagen beim Parken
die Stossstange des andern verbeult, 
um die Frau und zwei ältere Männer, 
mit Halbglatze den einen, 
05 von ihrem Eis auf der Terrasse 
aufschiessen zu lassen; 

um das kleine Mädchen im Schottenrock 
auf den Stuhl steigen 
und alle vier ihre Blicke auf den Parkplatz richten zu lassen: 
10 Neugier genügt. 

Es genügt, dass die Sonne 
sich einen Augenblick hinter Wolken zurückzieht, 
damit sie alle 
sich wieder setzen und wieder ganz auf ihr Eis konzentrieren: // 03v
15 Ein Tadel genügt. 

Es genügt, dass die Fliegen 
hin- und her durch die Luft 
schwärmen, damit wieder offen 
der Teich liegt mit dem immer 
20 unmerklich erneuerten Wasser, 
damit die Fische, 
die dem Helios heilig sind, schwimmen: 
Mehr als alles, Erinnerung, die genügt.

1957 * (nicht datiert)       )

Man könnte dich schwarz …* (A)

Man könnte dich schwarz,
man könnte dich einen toten-
führenden Engel nennen,
wenn du nicht immer wieder
05 in einem grauen Pullover
am Strassenende die blonde
aufgezogne Puppe erwartetest,
sie mitnähmest in deinen Wagen,
dann nochmals einen Augenblick Engel, todschwarzer, // 01v
10 schnellflügliger:
Aber dann hält blondes Auftauchen den Sturz auf:
irgendwer geht ins Kino.
Und der überall offene Mund
presst sich zusammen,
15 ausgedörrt von Durst

1957 * (nicht datiert)       )

Totenführer …* (B)

Totenführer
schienst du und Schatten
warfst du als Fittich,
bevor du im grauen Pullover
05 am Strassenende
die blonde Uhrwerkpuppe
aufhieltest und mitnahmst in deinen Wagen.
Hier bist du nochmals für einen Augenblick // 02v
schwarz rasender Bote,
10 doch das blonde Ticken des Uhrwerks hält
den Sturz auf.
Jetzt geht man ins Kino.
Und ausgedörrt von Durst,
presst sich der Mund zusammen,
15 der, während du fuhrst,
überall wartete, offen, überall offen.

1957 * (nicht datiert)       )

Totenführer …* (C*)

Totenführer
schienst du, und Schatten
warfst, wachsenden Fittich:

bevor du im grauen Pullover
05 am Strassenende die Uhrwerkpuppe
anriefst und in deinen Wagen mitnahmst.
Hier bist du nochmals für // 03v
einen Augenblick 
schwarz rasender Bote. –
Doch das blonde Ticken des
Uhrwerks hält den Sturz auf. 
10 Und diesmal gehst du ins Kino,
fällst noch nicht in den Mund,
den der Durst dörrt und der,
während du fährst,
überall wartet, überall, überall wartet.

Donnerstag, 22 August 1957       )

Hermes (A)

Es gelingt dir, Totenführer,
die blonde Uhrwerkpuppe deinen entfalteten Flügel
übersehen zu lassen,
wenn du sie anhältst und mitnimmst im Wagen:

05 Das Ticken des Uhrwerks
hält den Sturz eben noch auf; ihr geht jetzt ins Kino
und weg von dem Mund, der von Durst
ausgedörrt, wenn du fährst,
offen, überall wartet,
10 überall offen
– Jetzt übertickt ihn
blond, immer blonder das Uhrwerk.

Dienstag, 19 November 1957       )

Hermes (B)

Es gelingt dir, 
die Uhrwerkpuppe, die dich anhielt 
und die du mitnahmst im Wagen,
deine schwarzen Schwingen übersehen zu lassen.

05 Ihr geht jetzt ins Kino;
das Ticken des Uhrwerks
hielt den Sturz eben noch auf.
Ihr geht jetzt ins Kino und weg
von dem Mund, der von Durst
10 ausgedörrt, wenn du fährst,
offen, überall wartet,
überall offen.
Noch übertickt ihn das Uhrwerk.

Dienstag, 19 November 1957       )

Hermes (C)

Es gelingt ihm, 
die Uhrwerkpuppe, die ihn anhielt
und die er mitnahm im Wagen,
seine schwarzen Schwingen übersehen zu lassen.

05 Er geht jetzt ins Kino:
das Ticken des Uhrwerks
hielt den Sturz in den Mund,
der, ausgedörrt,
offen, überall wartet,
10 eben noch auf.
Überall offen. Heute
noch übertickt ihn das Uhrwerk.

Samstag, 30 November 1957       )

Hermes (D)

Sie mitzunehmen im Wagen,
ist das einzige Mittel,
die Uhrwerkpuppe,
die ihn anhielt,
05 seine schwarzen Schwingen übersehen zu lassen.

Er fährt sie ins Kino:
das Ticken des Uhrwerks
hielt den Sturz in den Mund,
der, ausgedörrt, offen,
10 überall klafft,
eben noch auf.
Überall offen. Heute
noch übertickt ihn das Uhrwerk.

Freitag, 23 August 1957       )

Der Fisch und der versunkene Poseidon (A)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse; das Wasser 
kommt nicht auf gegen den heissen Asphalt 
und ist schon, bevor er es nur 
05 begriff, nicht mehr da und verdunstet. – 

Der Fisch aber war heute früh, 
als man ihn fing, 
mit seinen Gedanken gerade so weit gekommen: 

„Seit ich einmal hinaufstiess, gelockt 
10 von höherem Glanz und grösserer Wärme 
(von dort, hiess es, war 
vor langem der Meteor, der Fremdstein, 
herabgekommen und hatte viele getötet. 
Seither liegt er, Seesterne // 01v
15 im Ohr, da, Polypen 
auf der Brust; das Bild eines Hochfischs. Wie sehr 
verzehrt uns Begier, ihm ähnlich zu werden …), 

seit ich einmal hinaufstiess, 
wo höherer Glanz und grössere Wärme 
20 mir den Ort seines Eintritts verhiessen, 
fürchte ich mich: Das Kühle 
das Flüssige, was sich von selber versteht, 
war nicht mehr da. Mir stockte 
die Bewegung der Kiemen. Die Flossen 
25 fanden nicht mehr den sanften 
Wiederstand des Allgemeinen, des Alls 
sich fächelnd voranzubewegen. … 

Kam der Hochfisch von dort? 
Gehn wir dahin und verlieren Kiemen und Flossen? 
30 Durch wieviele Tode? // 02r

Kürzlich sank ein zweiter, ein kleiner, ein dunkler, ein weicher 
Hochfisch herab auf den weissen und harten: 
Eine Abart, schon geschwächt und verringert, 
weil es dort, jenseits, im Leeren, 
35 zu leben unmöglich? 

Der Hochfisch war wohl nur eine Übertreibung. 
Hier muss man bleiben und die durch Wärme und Glanz 
verdächtigen Höhen vermeiden. 
Aber wohnen will ich ab morgen 
40 in dem einen noch leeren Ohr des grossen, 
des schönen Hochfischs. Dort ist die 
Erinnrung an das, was zu erforschen ich aufgab, noch eben 
ein Ansporn, besser zu werden und zugleich 
eine Warnung vor aller Ausschweifung. …“

45 Hier war der Fisch heute früh, gerade bevor man ihn fing. 
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf // 02v
und ist schon, bevor er es nur 
50 begriff, nicht mehr da und verdunstet.

Dienstag, 26 November 1957       )

Der Fisch und der versunkene Poseidon (B)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse; das Wasser 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf 
05 und ist schon, bevor er es nur 
begriff, verdunstet und nicht mehr da. 

Der Fisch aber war heute früh, 
als man ihn fing, 
(mit seinen Gedanken) gerade so weit gekommen: 

10 „Seit ich einmal hinaufstiess, gelockt 
von dem helleren Licht und der grösseren Wärme 
(von dort, heisst es, war 
vor langem der Riese, der Meteor 
herabgekommen und hatte viele getötet. // 03v
15 Seither liegt er, Seesterne 
im Ohr, da, Polypen 
auf der Brust; das Bild eines Hochfischs. Wie sehr 
quält mich, dass ich ihm nicht ähnlicher bin … .), 

seit ich einmal hinaufstiess, 
20 wo helleres Licht und grössere Wärme 
den Ort seines Eintritts bezeichnen, 
fürchte ich mich: Das Kühle, 
das Flüssige, was sich von selber versteht, 
war nicht mehr da. Mir erstarrten 
25 die Kiemen. Die Flossen 
fanden nicht wieder den sanften 
Widerstand des Allgemeinen, des Alls 
um sich fächelnd voranzubewegen … . 

Kam der Hochfisch von dort? 
30 Gehn wir dorthin und verlieren Kiemen und Flossen? 
Durch wieviele Tode? // 04r

Vor kurzem sank ein kleiner, ein dunkler, ein weicher 
Hochfisch herab auf den grossen weissen und harten: 
vielleicht eine Abart, 
35 schon geschwächt und verringert, 
weil es dort, jenseits, im Leeren, 
auf die Dauer zu leben unmöglich? 

Der Hochfisch war eine Übertreibung. 
Unten muss man bleiben und die durch Wärme und Licht 
40 verdächtigen Höhen vermeiden. 
Wohnen will ich von morgen 
ab in dem einen noch leeren 
Ohr des grossen Hochfischs. Dort ist 
die Erinnerung an das, was zu erforschen 
45 ich aufgab, noch eben ein Ansporn, 
besser zu werden, und zugleich eine Warnung // 04v
vor allem Zuviel. …“

Hier war der Fisch heute früh, 
gerade als man ihn fing. 
50 Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf 
und ist schon, bevor er es nur 
begriff, verdunstet und nicht mehr da.

Sonntag, 01 Dezember 1957       )

Der Fisch und der versunkene Poseidon (C)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse: das Wasser 
kommt nicht auf gegen den heissen 
Asphalt und ist, kaum 
05 er es nur begriff, schon verdunstet. 

Der Fisch aber war, 
als man ihn fing heute früh, 
gerade so weit gekommen: 
„Seit ich einmal, von Licht und Wärme 
10 gelockt, dorthin hinaufstiess, 
von wo vor langem der Riese // 05v
viele der unsern erschlagend, 
herabgestürzt war: 
der Meteor, der seither, Seesterne 
15 im Ohr, auf der Brust 
Polypen, daliegt, das Bild eines Hochfischs … 

Seit ich einmal hinaufstiess, 
fürchte ich mich: Das Kühle 
war nicht mehr da, mir erstarrten 
20 die Kiemen. Die Flossen 
fanden keinen Widerstand mehr, 
sich fächelnd voran zu bewegen … . 

Kam der Hochfisch von dort, gehn wir 
alle dorthin und verlieren Kiemen und Flossen? 
25 Durch wieviele Tode? // 06r

Vor kurzem sank ein kleiner und weicher 
Hochfisch auf den grossen und harten: 
eine Abart, schon geschwächt, 
weil es jenseits im Leeren 
30 auf die Dauer zu leben unmöglich? 

Der Hochfisch war Übertreibung. 
Unten muss man bleiben und die 
durch Wärme und Licht 
verdächtigen Höhen vermeiden. 
35 Wohnen will ich von morgen 
an in dem noch freien 
Ohr des grossen Hochfischs. Dort ist 
die Erinnerung Ansporn und Warnung zugleich. …“ // 06v

Hier war der Fisch heute früh, 
40 gerade als man ihn fing. 
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
Asphalt der Strasse nicht auf 
und ist, kaum er es nur 
45 begriff, schon verdunstet.

Montag, 23 Dezember 1957       )

Der Fisch und der versunkene Poseidon (D)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse: das Wasser 
kommt nicht auf gegen den heissen 
Asphalt und ist, kaum 
05 er es nur begriff, schon verdunstet. 

Der Fisch aber war 
gerade so weit 
als man ihn fing heute früh: 
„Seit ich einmal ins Licht
10 und in die Wärme hinaufstiess, 
von wo vor langem der Hochfisch, der seither, 
Seesterne im Ohr, auf der Brust 
Polypen, im Grund liegt, 
herabgestürzt war: 

15 Seit ich einmal hinaufstiess, 
fürchte ich mich: Das Kühle 
war nicht mehr da. Mir erstarrten 
die Kiemen. Die Flossen 
fanden nicht Widerstand mehr, 
20 sich voran zu bewegen… 

Gehn wir alle dorthin und verlieren 
wie der Hochfisch Kiemen und Flossen?: 
Nach wievielen Toden? // 07v

Der Hochfisch war Uebertreibung. 
25 Unten muss man bleiben und die 
verdächtigen Höhen vermeiden. 
Wohnen will ich von morgen 
an in seinem noch freien 
Ohr, wo die Erinnerung ist
30 Ansporn und Warnung zugleich …“

Gerade so weit war der Fisch, 
als man ihn fing, heute früh. 
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
35 Asphalt der Strasse nicht auf 
und ist, kaum er es nur 
begriff, schon verdunstet.

Samstag, 24 August 1957       )

Der Biertrinker (A)

Bist du schon so verroht,
Leser von Büchern, zu zweifeln 
am Sinn des Daseins für einen Menschen, 
der mit seiner Frau, die die Haare rot färbt, 
05 und dem sommersprossigen Söhnchen, 
das, den Mund von Erdbeereis ganz überschmiert, 
aus Biertellern ein Haus baut, 
im Garten sitzt und ruhig sein Bier trinkt?: 

Wenn nicht manchmal eine Bewegung 
10 seiner Schulter ihn als den Sohn der Sonne verriete, 
der auf Emesas Mauer den Purpur sich umwarf 
als die Soldaten den Gott jubelnd erkannten;
wenn nicht manchmal ein Glanz im Winkel des Augs 
und ein Zucken im Winkel des Munds ihn verriete 
15 als den gleichen Cäsar, der am Fenster 
des Palasts in Lutetia erstmals den Ruf // 01v
hörte: Augustus! – 

Vielleicht bist du schon so verroht, zu zweifeln, Leser von Büchern, 
bis das Lachen des Kinds,
20 sein Jubel über das Haus 
aus Biertellern, sich dir verrät 
als der Jubel der Legionen für Spenden, 
das Lächeln der Frau als das Lächeln der neu erhöhten Augusta, 
die Schaumkrone des Biers als der goldene Lorbeer: 

25 Vielleicht bist du durchs Lesen von Büchern schon so sehr verroht? 

„Nein, es ist die uralte Münze, 
doch diese Lösung hat sie für einmal gereinigt; kann sein, 
dass eine schärfere Lösung ein noch genaueres Bild zeigt.“

Donnerstag, 21 November 1957       )

Die Münze (B)

Zweifelst du, Leser von Büchern,
nur darum nicht am Sinn des Daseins für diesen Menschen, 
der neben der Frau und dem sommersprossigen Söhnchen, 
das, den Mund von Erdbeereis ganz überschmiert, 
05 aus Biertellern ein Haus baut, 
im Garten sein Bier trinkt: 
nur darum nicht, 
weil manchmal eine Bewegung 
seiner Schulter ihn als den Sohn der Sonne verrät, 
10 der auf Emesas Mauer den Purpur sich umwirft, 
nur darum nicht, 
weil manchmal ein Glanz im Winkel des Augs 
und ein Zucken im Winkel des Munds 
ihn als den gleichen Cäsar verrät, der am Fenster // 01v
15 des Palasts in Lutetia erstmals den Ruf 
hört: Augustus! – ? 

Zweifelst du nur darum nicht, Leser von Büchern, 
weil der Jubel des Kindes über das Haus 
aus Biertellern sich dir verrät als der Jubel 
20 der Legionen für Spenden, 
das Lächeln der Frau als das Lächeln der neu erhöhten Augusta, 
die Schaumkrone des Biers als der Lorbeer? 

Zweifelst du, Leser von Büchern, 
nur darum nicht am Sinn des Daseins für diesen Menschen? 

25 „Nein, es ist die uralte Münze, 
und diese Lösung 
hat sie für einmal gereinigt: Kann sein, 
dass eine schärfere Lösung ein noch genaueres Bild bringt.“

Montag, 02 Dezember 1957       )

Die Münze (C)

Zweifelst du, Leser von Büchern, nur darum
nicht am Dasein dieses Menschen, 
der neben der Frau im Garten sein Bier trinkt 
und neben dem sommersprossigen Söhnchen, 
05 das, den Mund von Erdbeereis überschmiert, 
aus Biertellern ein Haus baut: 

nur darum nicht, 
weil manchmal eine Bewegung 
seiner Schulter ihn als den Sohn der Sonne verrät, 
10 der auf Emesas Mauer den Purpur sich umwirft; 
nur darum nicht, 
weil manchmal ein Glanz im Winkel des Augs 
und ein Zucken imWinkel des Munds // 02v
ihn als den gleichen Cäsar verrät, der am Fenster 
15 des Palasts in Lutetia erstmals den Ruf 
hört: Augustus! – ? 

Zweifelst du nur darum nicht, Leser von Büchern, 
weil der Jubel des Kindes über das Haus 
aus Biertellern sich verrät als der Jubel 
20 der Legionen für Spenden, 
das Lächeln der Frau als das Lächeln der neu erhöhten Augusta, 
die Schaumkrone des Biers als der Lorbeer? 

Zweifelst du, Leser von Büchern, 
nur darum nicht am Dasein dieses Menschen? 

25 „Nein, es ist die uralte Münze, 
und diese Lösung hat sie für einmal gereinigt: Kann sein, 
dass eine schärfere Lösung ein genaueres Bild gibt.“

Samstag, 24 August 1957       )

Fontana tiburtina (A)

Dein Wasservorhang, Neptunus,
verbirgt den Flüchtling tagsüber 
zunächst den Kammern im Felsgang, 
wo wirken die Pumpen. 

05 In der Nacht irrt der Flüchtling und lauscht 
nackt nach dem Ächzen der Pumpen: 

Du träumst und betrachtest 
das ruhige Becken, Neptunus: 
müde zu wirken, befahlst 
10 Ruhe den Pumpen. 

Den Flüchtling bedroht 
dein ruhender Dreizack, erschreckt 
der Fisch, wenn er naht aus dem Grund: 
Bewege wieder die Pumpen, 
15 verbirg den Flüchtling im Vorhang, // 01v
störe die Stille, Neptunus. 

Nimm weg den nahenden Goldfisch, 
das Segelschiffchen, 
das der Knabe vergass, die Stille 
20 bläht sie und treibt sie. Bewege 
die Pumpen und wirke den Vorhang, 
ich bitte, Neptunus.

Freitag, 22 November 1957       )

Fontana tiburtina (B)

Dein Wasservorhang, Neptunus,
verbirgt tagsüber den Flüchtling 
im Felsgang, den Kammern zunächst, 
wo wirken die Pumpen. 

05 In der Nacht irrt der Flüchtling und lauscht 
nackt nach dem Ächzen der Pumpen: 

Du träumst und betrachtest 
das ruhige Becken, Neptunus: 
müde zu wirken, befahlst 
10 Ruhe den Pumpen. 

Den Flüchtling bedroht 
dein ruhender Dreizack, erschreckt 
der Fisch, der naht aus dem Grund: // 02v
Bewege wieder die Pumpen, 
15 verbirg den Flüchtling im Vorhang, 
störe die Stille, Neptunus. 

Nimm weg den nahenden Goldfisch, das Segel, 
das der Knabe vergass; die Stille 
bläht sie und treibt sie. Bewege 
20 die Pumpen und wirke den Vorhang – Neptunus!

Montag, 02 Dezember 1957       )

Fontana tiburtina (C/D)

Dein Wasservorhang, Neptunus, 
verbirgt den Flüchtling tagsüber 
im Felsgang, den Kammern zunächst, 
wo wirken die Pumpen. 

05 Des Nachts aber träumst du und liegst 
tot im Spiegel, Neptunus: 
müde zu wirken, befahlst 
Ruhe den Pumpen? 

Den Flüchtling bedroht 
10 dein regloser Dreizack, erschreckt 
dein Fisch, der aus dem Grund naht. // 03v

Nimm den Dreizack weg und den Fisch: die 
Stille bläht sie und treibt sie. Bewege 
die Pumpen, wirke den Vorhang, 
15 störe die Stille, Neptunus.

Datiert: 1957       )

Fontana tiburtina (E)

Dein Wasservorhang, Neptunus,
verbirgt tagsüber den Flüchtling 
im Felsgang, der Kammer zunächst, 
wo wirken die Pumpen. 

05 Des Nachts aber liegst du 
tot im Spiegel, Neptunus: 
müde zu wirken, befahlst 
Ruhe den Pumpen? 

Den Flüchtling bedroht 
10 dein regloser Dreizack, bedroht 
dein Fisch, der aus dem Grund naht. 

Nimm den Dreizack weg und den Fisch, die 
Stille bläht sie und treibt sie. Zerbrich 
den Spiegel, wirke den Vorhang, bewege 
15 die Pumpen, Neptunus.

Sonntag, 25 August 1957       )

Die Staubwolke (A)

Die Wolke, die dunkel dort am Horizont steigt, 
wirft das Heer des persischen Königs sie auf? 
Wenn die Lanzenträger heran 
stöben, wären sie freilich enttäuscht, 
05 denn sie fänden hier nicht den Kaiser 
im Purpurzelt, sondern nur einen 
ungewaschenen, unrasierten 
Reisenden, von dem sich kein Genius mehr 
abwendet mit verhülltem Gesicht: 
10 Genien verhüllen und wenden sich nur in purpurnen Zelten. 
Aber die Luft entwich schon lang aus den Reifen. 

Und schösse auch eine Lanze hervor aus der Wolke, 
sie träfe einen rostigen Kühler: das löste // 01v
zwar vielleicht die Ordnung des Heers auf, es sammelte 
15 sich vielleicht um den Wagen: die Marke, das Alter<,>
die Zahl der Pferdekräfte zu erfahren. 

Doch wahrscheinlich schiesst niemand mehr Lanzen, 
wahrscheinlich haben alle schon neuere Wagen gesehen, 
fahren mit ihren Panzern vorüber, beachten ihn gar nicht.

20 Übrig bleibt die Wüste, 
der Durst, die Angst des Reisenden für eine Weile. 
Das purpurne Zelt, der Genius, die Lanzenreiter, 
steht das nur noch in seinem hitzeberauschten 
Hirn?: Dort steht noch die Wolke<.>
25 Ist er nicht Julian, hier? Erzwingt er sich Julians Ende? 
Was bringt wohl die Wolke?

Samstag, 23 November 1957       )

Die Staubwolke (B)

Die Staubwolke, die dort am Horizont steigt, 
wirft das Heer des Perserkönigs sie auf? 

Wenn die Lanzenträger heran 
stöben, wären sie freilich enttäuscht, 
05 denn sie fänden hier nicht den Kaiser 
im Purpurzelt, sie fänden 
nur einen ungewaschenen, unrasierten 
Reisenden, von dem sich kein Genius mit verhülltem 
Gesicht mehr abwendet:

10 Genien verhüllen und wenden 
sich nur in purpurnen Zelten. 
Aber die Luft 
entwich schon lang aus den Reifen. // 02v
Und schösse auch eine Lanze 
15 heraus aus der Wolke, 
sie träfe einen rostigen Kühler.

Und löste sich trotzdem die Ordnung 
des Heers auf, so doch nur, 
damit es sich um den Wagen versammle: nach der Marke, 
20 dem Baujahr, der Zahl 
der Pferdekräfte zu sehen.

Doch wahrscheinlich wirft niemand mehr Lanzen, 
wahrscheinlich haben alle schon neuere Wagen gesehen, 
und fahren achtlos in Panzern vorüber. 

25 Zurück bleibt die Wüste, der Durst<,> die Angst 
des Reisenden: das purpurne Zelt, 
der Genius und die Lanzen, sind sie 
nur das Fieber in seinem Hirn? // 03
Bringt sie ihm seinen, 
30 bringt sie ihm Julians Tod?: 
Dort steht noch die Wolke.

Dienstag, 03 Dezember 1957       )

Die Staubwolke (C/D)

Werfen die persischen Reiter dort drüben
die Wolke am Horizont auf? 

Wenn sie heran stöben,
wären sie freilich enttäuscht; 
05 denn sie fänden hier nicht den Kaiser 
im Purpurzelt, sie fänden 
den unrasierten Reisenden nur, von dem sich 
kein Genius, sein Gesicht verhüllend, mehr wendet. 

Genien verhüllen und wenden
10 sich nur in purpurnen Zelten. 
Aber die Luft 
entwich längst aus den Reifen. // 04v
Und schösse auch eine Lanze 
heraus aus der Wolke, 
15 sie durchschlüge einen rostigen Kühler. 
Und löste sich trotzdem die Ordnung 
des Heers auf, so doch nur, 
damit es sich um den Wagen versammle; die Marke, 
das Baujahr, die Zahl 
20 der Pferdekräfte zu sehen. 

Doch wahrscheinlich wirft niemand mehr Lanzen, 
wahrscheinlich haben alle neuere Wagen gesehen 
und fahren in Panzern vorüber. 

Sind die persischen Reiter<,> 
25 der Genius und das purpurne Zelt, // 05
sind sie Julians 
sind sie sein eigener Tod, den die Wolke 
vom Horizont dort drüben heran trägt?

Montag, 26 August 1957       )

Die Sibylle (A)

Nur in den ersten Nächten des Frühlings
singt die Sibylle: erregt 
die dürren Gebirge zum Grünen. 
Treibt meinen Nachbarn 
05 in die Hotelbar zu den Schnäpsen, 
zwischen langwimprigen Blicken [,]
und schlecht geröteten Lippen. 

Mich regt sie auf, die rauhe, uralte, 
sie selber zu suchen: Ich laufe 
10 zum Tempel, sie hat sich in die Cella verborgen. 
Der Mond aber strahlt jetzt erst 
voll, die Hänge duften verderblich: 
die Droge wirkt jetzt erst am stärksten. // 01v
Mich erschrecken 
15 Ruinen schon wieder, und Blüten so üppig 
findet man sonst nur auf Gräbern: Ich laufe 
zu den Fällen des Anio: sie 
überrauschen nicht die laute 
Stimme, die aus der Cella 
20 jene sanfteste Strophe 
Hölderlins unerbittlich 
heiser und hart in die Nacht schreit.

Dienstag, 27 August 1957       )

Die Sibylle (B)

Nur in den ersten Nächten des Frühlings
erregt der Gesang der Sibylle:
„Wie unter Tiburs Bäumen, 
wenn da der Dichter sass 
05 und unter Götterträumen 
der Jahre Flucht vergass …“
die dürren Gebirge zum Grünen. 
Treibt den Nachbarn in die Hotelbar 
zwischen langwimprige Blicke 
10 und schlecht gerötete Lippen zu den Likören. 

Mich regt sie auf, die rauhe, uralte, 
sie selber zu suchen: Ich laufe 
zum Tempel, sie hat sich in die Cella verborgen. 
Der Mond aber strahlt jetzt erst 
15 voll, die Hänge duften verderblich. 
Die Droge wirkt jetzt erst am stärksten. 

Mich erschrecken 
Ruinen schon wieder, und Blüten // 02v
findet so üppig man sonst nur auf Gräbern:
20 ich laufe zu den Kaskaden, 
sie überrauschen nicht die 
Stimme, die aus der Cella die Strophe: 
„Wo ihn die Ulme kühlte 
und wo sie sanft und froh 
25 um Silberblüten spielte 
die Flut des Anio“
unerbittlich heiser und schrill in die Nacht schreit.

Sonntag, 24 November 1957       )

Die Sibylle (C)

Nur in den ersten
Nächten des Frühlings erregt
der Gesang der Sibylle: 
„Wie unter Tiburs Bäumen, 
05 wenn da der Dichter sass 
und unter Götterträumen 
der Jahre Flucht vergass …“
die dürren Gebirge zum Grünen. 

Treibt den einen in die Hotelbar, die 
10 von langen Wimpern 
und schlecht geröteten Lippen 
erhitzten Schnäpse zu trinken. 

Den andern erregt sie, 
die rauhe Uralte, 
15 sie selber zu suchen: Er läuft 
zum Tempel. Sie hat sich // 03v
in der Cella verborgen. 
Voll strahlt jetzt erst 
der Mond, die Hänge 
20 duften, die Droge 
wäre vielleicht jetzt am stärksten. 

Doch ihn erschrecken 
Ruinen schon wieder, und Blüten 
fand er so üppig sonst nur auf Gräbern. 
25 Und selbst die Kaskaden; sie fallen 
stumm vor der Stimme, 
die aus dem Tempel die Strophe: 
„Wo ihn die Ulme kühlte 
und wo sie stolz und froh 
30 um Silberblüten spielte,
die Flut des Anio“
mechanisch heiser herabschreit.

Donnerstag, 05 Dezember 1957       )

Die Sibylle (D)

Nur in den ersten
Nächten des Frühlings erregt
der Gesang der Sibylle: 
„Wie unter Tiburs Bäumen, 
05 wenn da der Dichter sass 
und unter Götterträumen 
der Jahre Flucht vergass …“
die dürren Gebirge zum Grünen. 

Treibt den einen in die Hotelbar, die 
10 von Lippenrot heissen 
Schnäpse zu trinken. 

Den andern erregt sie, 
die rauhe Uralte 
selber im Tempel zu suchen: Sie hat sich 
15 in der Cella verborgen. // 04v
Und voll 
strahlt jetzt erst der Mond. Die Hänge 
dampfen; die Droge 
wäre jetzt wohl am stärksten. 

20 Doch ihn erschrecken 
Ruinen schon wieder, und Blüten 
fand er so üppig sonst nur auf Gräbern. 
Sogar die Kaskaden, sie fallen 
stumm vor der Stimme, 
25 die aus der Cella 
„wo ihn die Ulme kühlte 
und wo sie stolz und froh 
um Silberblüten spielte,
die Flut des Anio“
30 im Wachtraum heiser herabschreit.

Dienstag, 04 Dezember 1956       )

Dialog (A)

01 Chiron, legt die Leier beiseite: Ich glaube, ich habe dich jetzt alles gelehrt, was ich dich lehren kann<.>

02 Achill: Heisst das, dass du jetzt nicht mehr mit mir sprechen willst?

03 Chiron: Das heisst es sicher nicht. Aber es ist nicht mehr nötig, sowie es diese drei Jahre lang vielleicht nötig war. 

04 Achill: Nein, erst jetzt fängt unser Gespräch an interessant zu werden, seit du vor vierzehn Tagen die Leier das erste Mal beiseite legtest. 

05 Chiron: Nur die Leier konnte ich dich lehren. Daran hatte unser Gespräch Halt. Ohne bedürfte es eines Aufwands von deiner und meiner Seite, von dem ich nicht weiss, ob du bereit bist, ihn zu leisten. Und ich glaube auch gar nicht, dass du ihn leisten sollst. Ich habe erreicht, was ich wollte, was ich erhoffen durfte; du brauchst mich nicht mehr. 

06 Achill: Du willst mich verlassen? 

07 Chiron: Und dabei bist du der, welcher den Abschied will. Nur weil du jung und zutraulich bist und weil man // 01v dir viel von Dankbarkeit und Treue gesprochen hat, willst du es im Augenblick nicht wahr haben. Aber das gibt sich schnell. Es ist genau umgekehrt: ich bin der, welcher dich bitten möchte, dessen Seele bittet, den Abschied aufzuschieben, mit mir weiterzuleben wie bisher. 

08 Achill: Aber das will ich doch! 

09 Chiron: Es ist nicht möglich, nachdem ich die Leier weggelegt habe. – Du schaust mich an, Achill! Stört dich, dass ich ein Kentaur bin

10 Er wendet sich zur Höhle. 

11 Achill: Du gehst? 

12 Chiron, ruft zurück: Behalte die Leier, ich schenke sie dir.

Dienstag, 26 März 1957       )

Dialog (B)

01 Chiron, legt die Leier beiseite: Ich glaube, ich habe dich jetzt alles gelehrt, was ich dich lehren kann. 

02 Achill: Heisst das, dass du jetzt nicht mehr mit mir sprechen willst? 

03 Chiron: Das heisst es sicher nicht. Aber es ist nicht mehr nötig, so wie es diese drei Jahre lang vielleicht nötig war. 

04 Achill: Nein, erst jetzt fängt unser Gespräch an interessant zu werden, seit du vor vierzehn Tagen das erste Mal die Leier weggelegt hast. 

05 Chiron: Nur die Leier konnte ich dich lehren. Daran hatte unser Gespräch Halt. Ohne bedürfte es eines Aufwands von deiner und meiner Seite, von dem ich nicht weiss, ob du bereit bist, ihn zu leisten. Und ich glaube auch gar nicht, dass du ihn leisten sollst. Ich habe erreicht, was ich wollte, was ich erhoffen durfte; du brauchst mich nicht mehr. // 03

06 Achill: Du willst mich verlassen? 

07 Chiron: Und dabei bist du der, welcher den Abschied will. Nur weil du jung und zutraulich bist und weil man dir viel von Dankbarkeit und Treue gesprochen hat, willst du es im Augenblick nicht wahr haben. Aber das gibt sich schnell. Es ist genau umgekehrt; ich bin der, welcher dich bitten möchte, dessen Seele bittet, den Abschied aufzuschieben, weiterzuleben mit mir wie bisher. 

08 Achill: Aber das will ich doch. 

09 Chiron: Es ist nicht möglich, nachdem ich die Leier weggelegt habe. – Du schaust mich an, Achill! Stört dich, dass ich ein Kentaur bin? 

10 Er wendet sich zur Höhle. 

11 Achill: Du gehst? 

12 Chiron, ruft zurück: Behalte die Leier, ich schenke sie dir.

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