Mittwoch, 11 März 1953

11.3.53

Es ist dies stets wieder qualvoll, aber es bleibt zu hoffen, es sei gut: dass Kritik, wenn sie mit Inständigkeit vorgetragen wird, wenn sie in sich irgend konsequent ist, meine Arbeitsfähigkeit, das Minimum an Selbstsicherheit, das ich dazu brauche, immer wieder gefährdet, über eine kürzere oder längere Zeit hin einfach zerstört. Dass nur Zweifel übrigbleiben, die Empfindung, es sei alles bisher wertlos gewesen und der Schritt zum Gültigen, zum wirklichen Gedicht sei zu schwer, als dass ich imstande wäre, // ihn zu tun. – Aber ich muss mir doch wohl immer wieder auch, allmählich, klar werden, dass es einen Zusammenhang, eine Kontinuität, eine einzige Bewegung grad auch in der künstlerischen Bemühung gibt. Sicher liegt alles vor mir, ist alles, das Entscheidende noch zu tun. Es wäre töricht, wollte ich mich darüber täuschen. Aber, was ich tun muss, ist angekündigt in dem, in dem wenigen, was ich schon getan habe. Es muss sich, notwendig, das Eigene und Eigentliche darin schon finden, verschlackt, unrein. Aber darauf kommt es nun an: dass ich selber weiss, was das Eigentliche in meinen bisherigen Produkten ist und dass ich in aller künftigen Arbeit es immer mehr aus dem Zufälligen herausschäle, es rücksichtslos – ohne liebgewordene Topoi in Rhythmus, Bildwahl, Wortwahl nur einen Augenblick festzuhalten, wenn sie sich irgend als Kulisse, als nicht letztlich begründet erweisen sollten – freisetze. Wenn ich das Entscheidende weiss, je mehr ich es weiss, desto richtiger wird auch mein Verhältnis zu den Urteilen anderer über meine Verse: dass ich verwenden kann, was einer sagt, dass ich daraus lerne, ohne ihm geradezu zu verfallen, immer·wieder bis zuinnerst mich zu verwirren.

02 Aber von all dem gilt wohl, wie vom Geistigen immer: // es gibt hier kaum etwas, was man für immer erreicht hätte, keinen Ort, wo man sicher bleiben kann. Der recht Ort geht täglich verloren und man muss ihn täglich neu gewinnen. Man fällt täglich wieder zurück, vor alles mühsam Erreicht zurück, und es kommt nur darauf an, jedesmal ganz vorn, als wäre es das allererste Mal, zu beginnen und die Bewegung so zu richten, so zu planen, dass sie vielleicht weiterführe, wenn auch nur für einen entscheidenden Augenblick, als alle bisherigen.

  • Textart: Prosanotat
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Signatur: C-2-a/07
  • Werke / Chronos: Bd.6, 177, 178

Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)

Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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