Tübingen
Brief an Jens Die Dichtung als Repräsentation, Vergegen-
wärtigung eines höchst Allgemeinen. Ihre Bildwelt (für
mich) möglichst archetypisch: d. h. sie erzählt
mich) möglichst archetypisch: d. h. bebildert¿ Grund-
vorstellungen der Seele. Die uns gemein sind.
In diesem Sinn anerkenne ich keine Verpflichtung auf
irgendeine Aktualität. Das Gültige ist immer aktuell.
Nun freilich kommt es darauf an, immer mehr, im-
mer unerbittlicher auf das Wesentliche zu kommen.
Die Gefahr dieser Methode ist, dass sie, wenn die
Konzentration des Dichters auch nur einen Au-
genblick aussetzt, statt Gestalten Kulissen
errichtet, Leere mit Staffagen verdeckt. Sie
verlangt also klarste Skepsis
verlangt also wachste¿ Kritik¿ des Dichters gegenüber
ihm selber. Damit er das heilige Bild errichten //
kann. Denn die Kunst ist eine Form der Liturgie:
eine sinnfällig gewordene Bewegung des Geistes
auf ein Übersteigendes, Vollkommenes hin.
Und die Bewegung selbst, und ihre Frucht, das
Kunstwerk, ist eine Abbildung, ein Abglanz
dieses Übersteigenden, Vollkommenen.
02 Denn das Wesentliche verändert sich nicht: ines
kann in der Veränderung der Konstellation der Welt-
elemente verändert erscheinen – darum gibt es im-
mer wieder neue Kunstformen und Kunstmit-
tel – aber die Kunst selbst, ihre Gesetze ver-
ändern sich nicht. Das Schwierige xxx besteht
aber darin, das zuzeiten Verwirrende, dass wir
diese Gesetze zwar erforschen müssen, dass uns //
die Verantwortung gegen uns selbst, der Zwang,
über unser Tun uns klar zu werden, uns immer
zu dieser Erforschung bewegt: dass wir aber
nie damit zu Ende kommen werden, dass wir
diese Gesetze nie ganz kennen werden, solange
wir die Übersicht über das Ganze nicht haben,
nicht selber gleichsam Gott geworden sind.
So bleibt die Diskussion über die Regeln der Kunst
immer offen (vor allem heute und in Deutschland,
wo es so wenig zwingende Konvention gibt). Mit¿
einigen¿ xxx.
22.1.53