Synopse

(6)
Samstag, 14 August 1954    (    )

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können …*

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können,
ich hätte – endlich – ein sicheres Einkommen gehabt
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Formen,
wie man sie häufig bei bürgerlichen
Söhnen der Republiken findet,
05 wäre völlig auf ihre Rechnung gekommen.
Auch hätte mich ganz einfach die Macht
über so viele gelockt, 
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen.
Ich hätte Kaiser von Japan werden können,
warum nicht? 
aber die Reise bis dorthin war mir zu weit,
10 und der Wechsel all meiner Lebensumstände, // 043
der Gedanke, auf einmal in Bilderschrift
schreiben zu müssen 
(die, wenn ich recht verstehe, nur den
Gedanken und das Bild festhält, nicht
den Sprachlaut, so abstrakt ist sie)
dies widerstrebte meiner Trägheit und auch
meiner Angst vor allem
Unberechenbaren, ganz Fremden.
Und dazu die Pflichten der Repräsentation,
15 die mir ein spontanes Leben verboten hätten,
verboten hätten, wie jetzt,
hinüberzusehn in den Spiegel, worin
die rote Wand der Garage von jenseits der Garage
nicht vermag den Regentag der Strasse
20 zu erhellen und die Sonnenstore, die
man offenbar vergessen hatte, 
nun dunkel und düster über die Scheiben herabhängt 
und trieft, eine schwere tiefe Wiederholung der Wolken // 044
des Himmels. 
Dies alles könnte ich nicht mehr, und so 
zog ich, trotz allem, es vor, nicht Kaiser 
von Japan zu werden.

In: Notizbuch 1954-55
Dienstag, 24 August 1954    (    )

Einfall (A)

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können,
ich hätte – endlich – ein sicheres Einkommen gehabt 
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Formen, 
wie man häufig, sagt man, bei Bürgern von Republiken sie findet, 
05 wäre völlig auf ihre Rechnung gekommen. 
Auch hätte mich ganz einfach die Macht über so viele gelockt, 
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen. – 
Ich hätte Kaiser von Japan werden können, warum nicht? 
Aber die Reise bis dorthin war mir zu weit, 
10 und der Wechsel all meiner Lebensgewohnheiten, 
der Gedanke, auf einmal in Bilderschrift schreiben zu müssen 
(die, wenn ich recht verstehe, den Gedanken und das Bild festhält, 
nicht den Sprechlaut, so abstrakt ist sie) 
widerstrebten meiner Trägheit und auch 
15 meiner Angst vor dem Unberechenbaren, ganz Fremden. 
Und dazu die Pflichten der Repräsentation, 
die mir verböten vielleicht 
hinüberzusehen, wie jetzt eben, in den Spiegel, worin 
die rote Wand der Garage von jenseits der Strasse 
20 nicht vermag den Regentag zu erhellen und die 
Sonnenstore, die man offenbar hochzuziehen vergass, 
nun dunkel und düster über die Scheiben herabhängt 
und trieft, eine tiefe Wiederholung der Wolken. –  // 02
Dort hinüber zu sehen mir verböten, vielleicht: darum vor allem 
25 zog ich schliesslich es vor, nicht Kaiser von Japan zu werden.

In: Manuskripte 1954
Freitag, 24 September 1954    (    )

Einfall (B)

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können,
ich hätte – endlich – ein sicheres Einkommen gehabt, 
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Formen, 
wie man häufig, sagt man, bei Bürgern von Republiken sie findet, 
05 wäre voll auf ihre Rechnung gekommen. 
Auch hätte mich ganz einfach die Macht über so viele gelockt, 
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen. – 
Ich hätte Kaiser von Japan werden können, warum nicht? 
Aber die Reise bis dorthin war mir zu weit, 
10 und der Wechsel all meine Lebensgewohnheiten, 
die Vorstellung, auf einmal in Bilderschrift schreiben zu müssen 
(die, wenn ich recht verstehe, den Gedanken und das Bild festhält, 
nicht den Sprechlaut, so abstrakt ist sie) 
widerstrebten meiner Trägheit und auch 
15 meiner Angst vor dem Unberechenbaren, ganz Fremden. 
Und dazu die Pflichten der Repräsentation, 
die mir verböten, vielleicht, 
hinüberzusehen, wie jetzt eben, in den Spiegel, worin 
die rote Wand der Garage von jenseits der Strasse 
20 nicht vermag den Regentag zu erhellen und die 
Sonnenstore, die man offenbar hochzuziehen vergass, 
nun dunkel und düster über die Scheiben herabhängt // 04
und trieft, eine tiefe Wiederholung der Wolken. 
Die dort hinüberzusehn mir verböten vielleicht: 
25 darum vor allem 
zog ich schliesslich es vor, nicht Kaiser von Japan zu werden.

In: Manuskripte 1954
Samstag, 16 Oktober 1954    (    )

Einfall (C)

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können,
ich hätte – endlich – ein sicheres Einkommen gehabt, 
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Formen, 
wie man häufig, sagt man, bei Bürgern von Republiken sie findet, 
05 wäre voll auf ihre Rechnung gekommen. 
Auch hätte mich ganz einfach die Macht über so viele gelockt, 
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen. – 

Ich hätte Kaiser von Japan werden können, warum nicht? 
Aber die Vorstellung, auf einmal in Bilderschrift schreiben zu müssen 
10 (die, wenn ich recht verstehe, den Gedanken und das Bild, 
nicht den Sprachlaut festhält, so abstrakt ist sie), 
widerstrebte meiner Trägheit, 
der Wechsel all meiner Lebensgewohnheiten und 
die Angst vor dem Unberechenbaren, ganz Fremden. 

15 Und dazu die Pflichten der Repräsentation: 
die mir verböten, vielleicht, 
hinüberzusehn, wie jetzt eben, in den Spiegel, worin 
die rote Wand der Garage von jenseits der Strasse 
nicht vermag den Regentag zu erhellen und die 
20 Sonnenstore, die man offenbar hochzuziehen vergass, 
nun düster über die Scheiben herabhängt // 06
und trieft, eine tiefe Wiederholung der Wolken. 

Die dort hinüberzusehn mir verböten vielleicht: 
darum vor allem, 
25 zog ich schliesslich es vor, nicht Kaiser von Japan zu werden.

In: Manuskripte 1954
Mittwoch, 20 Oktober 1954    (    )

Einfall (D)

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können,
ich hätte – endlich – eine feste Anstellung gehabt, 
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Fomen, 
wie man häufig, sagt man, bei Bürgern von Republiken sie findet, 
05 wäre voll auf ihre Rechnung gekommen; 
auch hätte mich ganz einfach die Macht über so viele gelockt, 
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen. 

Ich hätte Kaiser von Japan werden können, warum nicht? 
Aber die Vorstellung, auf einmal in Bilderschrift schreiben zu müssen 
10 (die, wenn ich recht verstehe, den Gedanken zwar und das Bild, 
nicht den Sprechlaut festhält, so abstrakt ist sie), 
widerstrebte meiner Trägheit, 
der Wechsel aller Lebensgewohnheiten und 
die Angst vor dem Unberechenbaren, ganz Fremden.

15 Und dazu die Pflichten der Repräsentation: 
die mir verböten, vielleicht, 
hinüberzusehn, wie jetzt eben, in den Spiegel, worin 
die rote Wand der Garage von jenseits der Strasse 
nicht vermag den Regentag zu erhellen und die 
20 Sonnenstore, die man offenbar hochzuziehen vergass, 
nun düster über die Scheiben herabhängt 
und trieft, eine tiefe Wiederholung der Wolken. // 08
Die dort hinüberzusehn mir verböten vielleicht: 
darum vor allem 
25 zog ich schliesslich es vor, nicht Kaiser von Japan zu werden.

In: Manuskripte 1954
Samstag, 23 Oktober 1954    (    )

Einfall

Auch ich hätte Kaiser von Japan werden können;
ich hätte – endlich – eine feste Anstellung gehabt,
und meine Liebe zum Prunk, zu aristokratischen Formen,
wie man häufig, heisst es, bei Bürgern von Republiken sie findet,
05 wäre voll auf ihre Rechnung gekommen;
auch hätte mich ganz einfach die Macht über so viele gelockt,
die Möglichkeit zu edlen und rühmlichen Entschlüssen.

Ich hätte Kaiser von Japan werden können, warum nicht?
Aber die Vorstellung, auf einmal in Bilderschrift schreiben
zu müssen 
10 (die, wenn ich recht verstehe, den Gedanken zwar und das Bild,
nicht den Sprechlaut festhält, so abstrakt ist sie),
widerstrebte meiner Trägheit,
der Wechsel aller Lebensgewohnheiten und
die Angst vor dem Unberechenbaren, ganz Fremden.

15 Und dazu die Pflichten der Repräsentation:
Die mir verböten, vielleicht,
hinüberzusehn, wie jetzt eben, in den Spiegel, worin
die rote Wand der Garage von jenseits der Strasse
nicht vermag den Regentag zu erhellen und die
20 Markise, die man offenbar hochzuziehen vergass,
nun düster über die Scheiben herabhängt
und trieft, eine tiefe Wiederholung der Wolken.

Die dort hinüberzusehn mir verböten vielleicht:
darum vor allem
25 zog ich schliesslich es vor, nicht Kaiser von Japan zu werden.

In: Typoskripte 1954
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