Notizbuch 1952-54

Inhalt: 131 Entwürfe zu 121 Gedichten (17 Endfassungen), Motiv-Notizen, 4 Briefe
Datierung: 16.12.1951 – 13.1.1954
Textträger: Rotbraunes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 193 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (20 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/05 (Schachtel 79)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1952, 1953, 1954, Typoskripte 19521953, 1954
Kommentar: S. 184-195 Motiv-Notizen, von hinten her eingetragen
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Mittwoch, 01 Juli 1953       )

Schwarz weinst du, der Glanz deiner Tränen …*

Schwarz weinst du, der Glanz deiner Tränen 
wirft die glänzenden wieder, die Tränen der Feste: 
die Perlen der Weihegewänder, 
wenn sie singend dir nahn: 
05 doch den Gesang übersummt das Summen der Hummeln, 
der Pfeilwolken, die herziehen über die Mauern: 
wie du dich wendest, sinken sie, eh ihr Stachel getroffen, 
sinken sie ab vor deinem gewendeten Antlitz, 
das schwarz weint auf der Höhe der Mauer // 136 
10 Ab sinken die Pfeile, fallen geblendet 
im Sturz beglänzt von deinem dunkel 
weinenden Antlitz, 
vom Glanz deiner (wunderbar) strömenden Tränen 
Wenn sie dir jubeln empor auf deinen Turm, 
15 (selber in perlenbestickten Gewändern) 
weht der Rauch ihres Flehens zu 
dir empor, doch durch die Wolke glänzen 
die Tränen und blenden die Pfeile, 
sodass sie fallen nieder vor 
20 dem Ebenholz deines weinenden Antlitzs. 
Glänzen über den gewendeten Panzern der 
Feinde, über den goldnen Gewändern // 137 
der Priester, den bunten des Volkes: 
Tränen auf schwarzer Wange 
25 der hoch auf dem Turm einsamen Mutter.

Sonntag, 12 Juli 1953       )

David und Bethsabe

Glänzend fährt es durch das dunkle Gelass,
weckt den König, was denn ist es?
Er fasst es, es entflieht:
flieht hinaus in den hellen Saal:
05 o goldne Taube 
leicht hinauf die runden Treppen 
runden Fluges steigt. 
Und auf der Zinne steht er, hascht sie,
schon sank sie weg, 
10 dort sinkt sie zwischen 
Büschen hinab in den geheimen Garten: 
nie noch sah er ihn, noch nie die 
Blumen, in ihrer Mitte die Frau, // 139 
die auffängt mit leicht gehobner, 
15 im Spiel gehobner Hand die Taube, 
sie hält und an die Wange drückt. 
Fern bist du, hoch, o König, 
fern dem Garten, ohne Macht auf deiner Zinne. 

Dienstag, 14 Juli 1953       )

Wider die Strömung …*

Wider die Strömung 
treibt das Floss mit dem gefesselten Greis, 
hinauf, hinauf unter den Brücken 
voll der Gaffer: 
05 wider die Strömung 
hinauf zur nächtlich offenen Halle, 
wo die Lampen alle aufglühn, 
wenig flackernd, es ist windstill.
Und auftut die Arme 
10 hoch in der goldenen Wölbung 
entgegen der Herrscher 
dem Greis, den sie tragen vom Fluss herein, 
glänzend in Fesseln. 

Mittwoch, 15 Juli 1953       )

Reise nach Jerusalem

Hinweg aus der Zelle trägt ihn
das schwarze
hoch das silbergezäumte Ross
auf den Berg am Rande der Stadt: 
05 hier springt auf des Heiligtums Pforte, 
die Lampen leuchten 
um das offene, rosenduftende Grab, 
wenn jenseits der Dünen 
am Rand des Himmels 
10 zwielichtig spielt das Meer, 
das er nie zuvor noch gesehen: 
hinweg schon trägts ihn 
zurück, das silbergezäumte // 142 
störrische Ross 
15 schnaubt und steigt am Himmel, 
doch hält ers und 
kommt noch eh die ersten Glocken 
rufen die Sonne herauf 
wieder zurück in die Zelle, 
20 still am Morgen wandelnd 
unter den Brüdern den langen, dämmrigen Gang.

Montag, 17 August 1953       )

Hall der Höhlen, der Tore …*

Hall der Höhlen, der Tore, 
da die Prophetin ruft dem Irrenden
zu das Lied vom Reis, dem goldnen im
Wipfel der Waldesmitte, des Dickichts, 
05 dass er es schneide, 
wo die Tauben nieder sich lassen ins Nest, 
dass er es trage hin in die Höhle 
und über den dunklen Strom im Felsen. 
Dies nur führt ihn, glänzend wieder hinaus 
10 an die Küste, zum Schiff und zum
wartenden Wogen der Segel.

Mittwoch, 19 August 1953       )

Purpurn floss …*

Purpurn floss 
der Baum der roten Beeren, 
floss vom Wind verwundet 
in den Himmel:
05 und das lichte Laken dunkelt
auf die nachterwartend, üppig
überquollnen Blatt- und Blätterfluten.
Nur die roten Beeren,
blutend, nicht verblutend,
10 prangen, süsse Wunden,
lockend in den Himmel.

1953 * (nicht datiert)       )

Wohin treibt das lose Steuer …* (a*)

Wohin treibt das lose Steuer, 
wenn den Lenker stürzt der grosse Vogel,
der vorm Monde schattend niederflog, 
ihn hinabstiess in die stumme, dunkle Wechselwoge? 
05 Während dort im Schiff die Brüder schliefen? 
Schon der Insel schlafen sie entgegen, schon 
den Kieseln, die mit Knochen glänzen, 
aller jener, die zuvor schon liefen, 
nächtens, schlafend, auf dem Strand.

Mittwoch, 19 August 1953       )

Wohin treibt das lose Steuer …* (b*)

Schnell hinweg hebt sich der Kiel // 146 
über den Lenker, den vom Steuer warf der 
grosse Vogel, der vorm Monde flog, 
schweren Flügels in die Woge, 
05 trägt die Schläfer auf den Bänken 
leise dorthin, wo des Eilands Ufer deckt 
mit dem Kies Gebein der vielen Schiffer, 
die zur Nachtzeit früher hieher fanden stumm.

Donnerstag, 27 August 1953       )

Sie verbrennen ihn und …*

Sie verbrennen ihn und 
legen auf den Hügel dieses Horn, 
mit dem er ehe blies auf dem hohen Strand, 
dass die Najaden tauchten auf und
05 nahten unterm Mond dem Ufer,
sodass der Triton drang, das Gegenhorn 
vom Munde werfend aus der Tiefe 
vom Korallensitz und sich leise tastete 
am Felsen hoch, am Fuss den Bläser 
10 griff und tief ihn zog in das Wasser. 
O erschrockene Mädchen  
trugen ihn in den Sand. 
Legen ihn am Morgen auf den // 148 Hügel, 
verbrennen ihn mit diesem Horn, 
15 mit dem er eh sie alle lockte aus der Tiefe 
vom hohen Strand.

Montag, 31 August 1953       )

Die verwandelten Schiffe

Siehe da tauchen die Schiffe, 
schwinden die Segel im Schaum,
dem Stürmenden bleibet der Speer in Händen,
siehe da tauchen die Mädchen, 
05 lächelnde Mädchen im Schaum: 
singen, singen entgegen 
Schwimmerinnen für Schiffe, 
dass dem Staunenden sinkt 
das Knie und das feuchtende Auge 
10 hinab zum im Sande versenkten 
der Hand entfallenen Speer, 
ziehen voran sie zum Reigen 
Schwimmerinnen hinaus von Insel 
zur Insel ins Meer.

Dienstag, 01 September 1953       )

Die lagern versteckt in den Büschen …*

Die lagern versteckt in den Büschen, 
vor denen sich fürchtet das Land, 
einmal kommen sie her, 
ziehn sie mit Fackeln zu der einsamen 
05 öden Halle am Strand, 
wo unter der Erde 
glänzt im Flackern mitten 
unter Herzen und Händen, 
im Sturmwind des Meeres bewegten, 
10 das Auge der dunklen 
thronenden Mutter. 
Rückwärts schaut sie den Tag, 
wo sie hertrieb auf dem Schiff // 151 
ohne Steuer und Lenker, 
15 an diesen Strand, 
wo sie, die Wartende, holten 
die Diebe, die Gauner. 
Hier nun thront sie, unter der Erde, 
mitten in Gaben, 
20 goldenen Herzen und Händen, 
die jene ihr brachten, 
der fernher nicht eitel, 
der in ihr dunkel erhelltes 
Haus nach vieler Irrfahrt gekommnen. 

25 Siehe, da steigen die Gaben 
vor den glühenden 
aufglühenden Augenkohlen.

Samstag, 05 September 1953       )

Hinter dem Hafen …*

Hinter dem Hafen 
brech ich im weissen Palast 
den einen Stein aus der Mauer, 
dass ich hebe den Schatz, 
05 dass ich trage den Schatz 
nächtlicherweile hinweg 
und füge den Stein in die Mauer. 
Und immer des Morgens der König 
geht durch die Tür 
10 mit unverletzten Siegeln hinein 
und findet gemindert sein Gold. 
Weil er nicht weiss, // 153 
dass ich allnächtlich 
heimlich hebe den Stein, 
15 den geheimen Stein aus der Mauer 
und schaffe vom Schatz 
einen vollen Scheffel hinweg. 

Und wenn er es einmal entdeckte, 
wenn er entdeckte mein verborgenes Tun? 
20 Wenn er mich hielte und fasste, 
ich weiss, ich stürbe am Kreuz. 
Aber schon ist wieder Abend, 
wohlan, von neuem will ich 
brechen ins Schatzhaus des Königs 
25 heimlich hinter dem Hafen.

Donnerstag, 10 September 1953       )

Der Schuss

In die Nacht
über die Kerze, die kaum flackernde weg,
zielst du, zielst du gelassen,
springt vom Bogen der Pfeil,
05 tönender Blitz wissend hinüber, 
wissend voller Begierde 
die unerkannte, unsichtbare Scheibe, 
verborgen in Nacht, 
verborgen hinter dem Glanz 
10 der vordergründigen Flamme. 
Und er fliegt gierig 
mitten hinein, ohne zu sehen, 
aber er folgt dem süssen inneren Ruf // 155 
der ihm entgegen dringt aus dem 
15 dunklen Gebüsch hinter dem 
vergeblich lockenden Feuer: 
fliege hinweg und lass dich früher nicht fassen, 
eh deinen blinden, blind sehenden Flug 
die Mitte der Scheibe unversehens 
20 empfängt im Gehölz 
dass dein Schaft allmählich, 
leise singend verbebe 
entschweige, 
bestimmt von der tief nun 
25 im Schwarzen der Scheibe, 
aufgefangnen, vermählten Spitze.

Donnerstag, 10 September 1953       )

Der Entrückte

Da er erwachte
sah er den grossen Stein,
sich nahen dem Ufer
und darauf den hageren Mann
05 kniend geschlossenen Auges: 
er setzte hinaus auf dem Boot, 
als nahe dem Strand anhielt der Felsen, 
legte an und stieg zum Fremden hinauf, 
berührte ihm leise die Schulter: 
10 der hob das Auge und sah 
nun endlich, dass er verlassen 
die heimische Stadt voller Feinde, 
und nun hier war am entlegenen 
Strand, mit Fischern als Freunden. 

Freitag, 11 September 1953       )

Der gestohlene Schuh

Streift er die Wipfel wohl mit dem Schuh,
rührt an die Zweige, die zittern,
so lässt er doch nicht ihn fallen in die greifenden Kronen, 
nicht in die Gärten und nicht in den 
05 Schoss der ruhenden Grossen. 
Sondern bis dorthin trägt ihn der Adler, 
wo der König sitzt zu Gericht 
unterm Tor der Stadt, 
dort fällt er nieder, kreist überm Haupt // 158 
10 und wirft ihn ihm auf das Knie. 
Aufschauen die Fürsprecher, Kläger, Beklagte: 
da wegfliegt der Vogel und lässt fragen den König: 
wo ist der Fuss, dem zugehört der künstliche Schuh. 
Und er sendet und findet die Frau, 
15 die er gesucht, eben entstiegen dem Bade, 
rings schauend nach dem verlorenen Schuh.

Montag, 21 September 1953       )

Der Baum

In den Raum gewölbte,
räumige Krone des Baumes,
vorgewölbt aus dem klüftigen Felsen, 
da fassen, verknotete Wurzeln, 
05 krampfend, dass sie nicht rissen 
den Stein ohne Erde fast: 
doch du tönst üppig, in das 
Sommergewölbe, keines Winters bewusst, 
Sommer gänzlich.

Samstag, 26 September 1953       )

Da den von der Burg herabgeworfnen …* (A)

Da den von der Burg herabgeworfnen
Knaben fängt im Sturz der Adler, 
trägt er, rettet ihn und unbewegt entsegelnd 
bringt er ihn erstauntem Hirten auf die Flur.

Samstag, 26 September 1953       )

Von der Burg, wo wohnt, wie Bauern flüstern …* (B)

Von der Burg, wo wohnt, wie Bauern flüstern,
unbewacht ein fremdes Mädchen, 
sieht er plötzlich stürzen durch die Luke 
sieht aufgefangen durch den Adler, 
05 der von ungefähr mit Klauen fasste 
das Bündel und es trägt, gelinde fliegend, // 161 
heran und näher und aus sanften Klauen 
legt vor ihm hin ins Gras: den Knaben,
der aus Windeln lächelt.

Mittwoch, 30 September 1953       )

Das Grab des Kyros

Da zaudern die schwärmenden Reiter,
wenn aus dem Staub, den sie wirbeln
im Ritt, stehen am Rand die Säulen,
verfallend, des Grabmals, und hoch auf 
05 den Stufen, wo verfiel die Stirne 
der Kammer<,> leuchtet heraus der schwere 
goldene Sarg. Und der König geht hin, 
zu sehn die Gebeine. Doch nicht lässt 
sich heben der Deckel. Jener behält 
10 es verwahrt, des Reich am heutigen Tage 
zufiel dem späten, glücklichen König.

Freitag, 09 Oktober 1953       )

Die Waffen des Eroberers

Hier am Altar, der auf der Spitze des Bergs versammelt den Golf und die Inseln,
hängen die goldjubelnden Waffen, 
der Helm, der umfing das gebietende Haupt, 
mit dem Purpurbusch, der es weithin gekündet, 
05 hängt noch im Panzer das Bild des den Heeren hell voreilenden Leibes. 
Hier liess er dies, und stieg hinab mit den jubelnderen Waffen, // 164 
mit dem höher wallenden Helm, mit dem schmiegsamer, lichteren Panzer, 
mit all dem, was als Gabe gelassen die siegenden Pilger der Vorzeit, 
stieg er hinab und zog zu tönenderem Sieg 
10 fern auf den Wogen der Schilder, 
bis er im Rausch der gefallenen Stromstadt versank, 
dann aufstieg und wehte als Duft des würzigen Ruhmbaums  
zurück an den beraubten, an den geschmückteren Altar. 

Mittwoch, 28 Oktober 1953       )

Die grossen, die dem Meer entwendeten Wolken …*

Die grossen, die dem Meer entwendeten
Wolken wenden sich dorthin zurück
vor der Stadt, die mit Lichtern
empor leuchtet und wegwirft 
05 die wattig langsam zie-
henden Ballen, Die sinken 
den Türmen entgegen 
und fliehn getroffen zurück in 
die das Meer spiegelnde Dunstwand 
10 des Gewitters.

Sonntag, 01 November 1953       )

Dunkle Treppe, wo du das Haus …* (A*)

Dunkle Treppe, wo du das Haus
unterirdisch verlässt mit dem Korb voller Geschenke:
trittst in den Hain am Ausgang
voll olivenen Lichtes,
05 sodass durch des Korbes Geflecht
entzündet die Blume erglimmt
Und du hebst den Deckel,
und atmest den Duft zu plötzlich,
stürzest hinaus in den tödlichen Mittag

Sonntag, 01 November 1953       )

Nach dem Gang über die finstere Treppe …* (B)

Nach dem Gang über die finstere Treppe
trittst du plötzlich heraus in den Hain
voll olivenen Lichtes,
das durch des Korbes Geflecht in deinem Arm
05 entzündet die Blume:
von der erglimmenden hebst du den Deckel,
sinnlos vom stärkeren Duft stürzt du,
weit den Schlafenden wcckend mit deinem Gellen,
hinaus in den Mittag,
10 während die Blume, die fiel, den Hain
den olivenen rötet.

Mittwoch, 04 November 1953       )

Dass der Adler, den ich hier am Brunnen befreit …*

Dass der Adler, den ich hier am Brunnen
befreit von der Windung der Schlange, 
dass er nun stürzt in den Nacken mir, 
wenn ich zu trinken mich beuge, 
mich mit den Klauen blutig kratzt, 
05 schlägt mit dem Flügel, 
wieder schlag ich und wieder, wütend mit Händen: 
während drüben der Hirsch vergiftet hinabfällt. 
Mich hat der Adler vom Brunnen geschreckt, 
den die Schlange, speiend, als ich sie würgte, vergiftet. 

Samstag, 07 November 1953       )

Wächserne Maske, die …*

Wächserne Maske, die 
aus dem Korb, da du zitternd hobest den Deckel, 
dich ansieht auf einmal, 
hohlen, grundlosen Augs, 
05 sodass du stürzest und springst 
vom Felsen hinab in die Schlucht: 
nur um nicht viel tiefer, viel jäher zu fallen, 
hinab in die grundlose Tiefe dieses blicklosen Augs.

Montag, 16 November 1953       )

Die Schwestern stürzen …*

Die Schwestern stürzen, 
mit den Augen, eben trunken noch vom Schlaf, 
trunkner jetzt von der Flamme in der Nacht, 
in den Brand 
05 und erinnern eine die andre 
an den Stier, der von der Glut dieser Hängeblüten trunken 
stürzt voran mit seinen Hörnern, 
drückt sein Haupt, zerschmettert es 
an dem überblühten Felsen, // 171 
10 dass sein Blut die Blumen netzt. 
Und vereint die Schwestern stürzen, 
mit den aufgetanen Augen 
trunken von der jähen Glut 
in den Brand der Nacht. 

Donnerstag, 19 November 1953       )

Näher kommt schon das Ufer …*

Näher kommt schon das Ufer, 
wenn der König lässt öffnen das Zelt 
und nun hebt, matt noch, die Hand, 
zum Gruss dem rufenden Heer, 
05 dem weinenden, das den Toten lebend sieht auf dem Lager: 
sie stürmen, als er landet, hinauf 
mit der Bahre  und tragen ihn 
mitten hinein in die Wartenden: 
die fassen sein Kleid, die küssen die Linke, die hängt. 
10 Nun hebt ihn die Woge des Zurufs, // 173 
nun die Gischt des Geschreis, des Jubels. 
Er fasst das Ross am Zügel und springt der Wunde vergessen
von der Bahre hinauf: 
nun inmitten der ins Bett zurückflutenden Welle.

Donnerstag, 19 November 1953       )

Was zwitscherst du, Vogel, dem Schläfer …*

Was zwitscherst du, Vogel, dem Schläfer, 
was streifst du das Lager hier, was dort mit dem Flügel, 
dass er, dir wehrend, die Hand 
hebt, tief noch im Schlafnetz, 
05 das du schon beginnst zu zerreissen? 
Was rufst du lauter und fällst 
ihm in die Stirn, und 
setzest dich nun auf sein Haupt, 
lang hinschreiend, warum dies?: 
10 ganz nun entfesselt schwimmt er 
allein auf dem Lager im Mittag, 
mit dir, Vogel, als Lenker, erschrocken.

Donnerstag, 31 Dezember 1953       )

Von den Bäumen sammelt das Harz …*

Von den Bäumen sammelt das Harz, 
das duftet und weht über die Wüste, 
nur da, spärlich stehen die Bäume: 
sammelt das Harz, das tropft und 
05 duftet herab von den Stämmen, 
beladet damit die hohen Kamele, 
die von fern schon schnuppern die Oase: 
voll Öl und voller süsser Datteln; 
wie gehen sie hoch die Kamele, und 
10 wiehern, da sie tragen hinein in die Oase, 
so viel duftendes 
Harz hinein in die betaute Oase, 
aus der Wüste, der dürren, darüber stets 
wegschaun die Palmen, der nimmer ge- // 176 
15 denkt der dichtende Ölbaum.

Samstag, 02 Januar 1954       )

Führt die Schlange hinein …*

Führt die Schlange hinein 
über die letzte der Dünen meinen brennenden Fuss, 
in die Oase, die plötzlich ergrünt 
und glänzt mit Gräsern voll Tau, 
05 beginnender Kühlung, 
so netzt mir innen unter der alten, 
fächelnden Palme die kalte Quelle das Antlitz, 
die mit der steigenden Sonne[,] immer kältre: 
näher ist schon mein Mund, schon erweckt 
10 ein Tropfen die Zunge.

Montag, 04 Januar 1954       )

Klang aus der Barke

Die sie des Nachts hier, 
die sie des Nachts dorther klingen gehört,
die Harfe über dem Wasser,
die Fischer vergessen die Netze
05 und irren weiter hinaus 
dem Morgen zu, der heranträgt auf der Barke 
diesen Wassergesang, nun vor der Sonne erlöschend: 
wie sie sich beugen zur Barke, 
liegt die Harfe neben dem Knaben, dem 
10 von fernher getragnen, der da liegt für tot: 
Sie ziehn ans Ufer Knaben und Harfe, // 178 
die für die eine Nacht zu grosse Beute, 
tiefer ermüdet als sonst, da sie fingen die Fische, 
die sie nährten nur den einen Tag. 

Donnerstag, 07 Januar 1954       )

Aus dem Gefäss steigen die Dämpfe …*

Aus dem Gefäss steigen die Dämpfe 
rötlich hinauf in die 
hell gereihten Scharen des Himmels: 
die schauen wohl verwundert hinab 
05 und sehen neu sich wieder, 
dunkler und näher der Tiefe, 
die daliegt, ein Spiegel, vereint in der offenen Schale: 
daraus steigen die Dämpfe, wölkend 
und doch den Spiegel nimmer verhüllend, 
10 nur die Scharen des Himmels 
sachte verdunkelnd, die sich verwundert, 
gewandt, anschaun im Spiegel.

Donnerstag, 07 Januar 1954       )

Als er gekauft den Falken …*

Als er gekauft den Falken, 
blieb er noch auf dem Schiff 
der fremden Händler, 
und spielte mit ihnen 
05 Würfel, lachend, und sang 
ihnen, die alle um ihn versammelt 
auf dem Verdeck, 
bis ihm der Wind zu stark fasste 
das Haar, die Stange des Segels 
10 ihm schlug an das lachend gewendete Haupt 
und er stumm sah: dass er vom Strand 
des Vaters geraubt und fern fuhr 
auf der See.

Mittwoch, 13 Januar 1954       )

Das Wasser, das er goss aus dem Helm …*

Das Wasser, das er goss aus dem Helm, 
mit Lächeln, als es ihm brachte 
einer, der es in der schrattigen Schlucht gefunden: 
als er hinabkroch aus dem mit durstoffenen Mündern 
05 liegenden Haufen und es fand im dunkelsten Winkel der 
gesprungenen Lippen der Schlucht, 
das Wasser, und brachte dem König, 
der noch sass: goss dieser es aus, 
und der Haufen richtete auf 
10 sich, gestillt von diesem nun 
reichlichen Brunnen des wenigen Wassers, 
das schon versickert in der Krume.

Mittwoch, 13 Januar 1954       )

Im innern Gemach …*

Im innern Gemach 
zeigt ihm der Bettler den Stein, 
den funkelndsten, zieht ihn aus 
den Lumpen, verborgen, dass nicht es 
05 sehen die neidischen Diener: 
den Stein, den getragen er seit dem 
ersten Tage am Ring: 
und der König nimmt ihn weinend in Arm 
und führt ihn hinaus auf den Balkon, 
10 zeigt ihn dem staunenden Volk, 
dies ist der Sohn, den ich verloren, // 183 
und es flohen die Diener, 
da er wider sie zückte 
des Erben einzig überfunkelnden Stein. 

Der Knabe, todeswund, lässt sich auf einer Barke ins Meer treiben: ob er Heilung fände irgendwo. Nur seine Harfe hat er bei sich. Nach sieben Tagen und Nächten hören vor der Küste Irlands Fischer die Musik. Am Morgen sehen sie die Barke: der Knabe liegt wie tot darin: die Harfe entfiel ihm, sie bringen ihn an Land.

1954 * (nicht datiert)       )

Der Waffenmeister sucht den verlorenen Knaben …*

Der Waffenmeister sucht den verlorenen Knaben, als Bettler verkleidet, überall. Wie er ihn am Hof seines Onkels findet, zeigt er diesem den Ring, den er seiner Schwester zur Hochzeit gegeben hatte: so erkennt der König den Neffen, macht ihn zu seinem Erben.

Der Knabe wird in seiner kleinen Barke an eine steile Felsküste getrieben, klettert hinauf. Oben setzt er sich an den Weg: wo bald zwei Pilger mit Palmzweigen kommen, die ihn nach der Hauptstadt zu führen versprechen.

1954 * (nicht datiert)       )

Nachdem er einen Falken gekauft, steigt der Knabe …*

Nachdem er einen Falken gekauft, steigt der Knabe in das Schiff der fremden Kaufleute, spielt mit ihnen Schach und singt viele Weisen. Sie sind trunken vor Lust, und, heimlich, um ihn teuer zu verkaufen, hissen sie die Segel, lösen den Anker. Und während der Knabe ihnen noch spielt, fahren sie auf das offene Meer hinaus, ohne dass er es merkt.

1953 * (nicht datiert)       )

Das Grab des Kyros in einem Hain …*

Das Grab des Kyros in einem Hain mit hohem Gras, die Grabkammer auf hohem Sockel, winzige Tür. Der Sarg auf einem goldenen Ruhebett, selber golden. Auf dem Bett noch Schmuck, Kleider. Darunter Teppiche. Das Ganze von Magiern in einem Häuschen bewacht. Der König lässt das Grab wieder herstellen, es ist ausgeraubt, und zumauern.

1954 * (nicht datiert)       )

Der König findet am Rand der Wüste …*

Der König findet am Rand der Wüste, mit wenigen Reitern, den Kies auseinanderscharrend am Meergestade eine süsse Quelle, die für alle reicht.

1954 * (nicht datiert)       )

Der König giesst das Wasser weg …*

Der König giesst das Wasser weg, das man ihm aus einer spärlichen Quelle aus einer Kluft bringt: Stärkung für das Heer, als ob sie alle den Trank genossen hätten. // 187

Duftende Bäume auf der Küstenebene, in Vertiefungen, in denen auch bei Ebbe das Wasser bleibt: Veilchenduft

1954 * (nicht datiert)       )

In der Wüste wachsen nur Myrrhenbäume …*

In der Wüste wachsen nur Myrrhenbäume, die Händler, die dem Heer folgen, sammeln das Harz, das von den Stämmen sickert, auch sammeln sie die reichlichen Wurzeln der Narde, die einen wunderbaren Duft ausströmen, beladen damit ihre Zugtiere.

1953 * (nicht datiert)       )

Der tot geglaubte König lässt …*

Der totgeglaubte König lässt, als das Schiff sich dem Lager am Ufer des Stromes nähert, das Zelt öffnen, grüsst vom Lager aus die Soldaten mit der Hand: sie schreien und weinen, bringen die Bahre, man trägt ihn heraus. Nun aber verlangt er ein Pferd, reitet zum Königszelt, alle jubeln, berühren seine Knie, seine Hand, sein Kleid

1954 * (nicht datiert)       )

Der König, auf dem Schiff angekommen …*

Der König, auf dem Schiff angekommen, opfert aus goldener Schale dem Stromgott: lässt den Trompeter das Zeichen geben, die ganze Flotte bricht zugleich auf, Geschrei der Antreiber und der Ruderer selbst im Takt: immer wenn sie die Ruder eintauchen. Den Schall werfen die hohen bewaldeten Uferhänge einander zu. Staunen des Volks an den Ufern: es zieht unter Gesängen mit (Pferde auf den Schiffen)

Die Reiter kommen in Indien an den Fuss eines Bergs, wo Dionysos gewesen sein soll: und wirklich ist der Berg voller Bäume, vor allem voller Efeu. Sie bekränzen sich: sie hatten in diesem Land noch nie Efeu gesehen, und geraten in Verzückung, Hymnen

1954 * (nicht datiert)       )

Die Oase aus Oliven und Dattelpalmen …*

Die Oase aus Oliven und Dattelpalmen wird allein mitten in der Wüste bebaut. In ihr eine Quelle, die zu Mittag kalt, eiskalt, zu Mitternacht heiss ist.

1954 * (nicht datiert)       )

Das auf dem Zug zum Oasenorakel in der Wüste …*

Das auf dem Zug zum Oasenorakel in der Wüste verirrte Heer wird von zwei Schlangen geführt (zwei Raben)

1954 * (nicht datiert)       )

Dem bekränzten König …*

Dem bekränzten König, der vor der Belagerung das erste Opfertier zu schlachten beginnt, lässt ein Raubvogel, der über den Altar hinfliegt, einen Stein auf den Kopf fallen.

1954 * (nicht datiert)       )

Eine Schwalbe fliegt zwitschernd über dem Haupt …*

Eine Schwalbe fliegt zwitschernd über dem Haupt des zu Mittag schlafenden Königs hin und her, setzt sich da und dort auf sein Lager. Er versucht sie mit der Hand zu verscheuchen, ohne dass es ihm gelingt den Schlaf abzuschütteln: schliesslich setzt sie sich auf // 190 sein Haupt, sodass er ganz erwacht: Warnung vor einem Anschlag.

1954 * (nicht datiert)       )

Parmenion rät A. die Seeschlacht …*

Parmenion rät A. die Seeschlacht: man hatte einen Adler auf dem Gestade ganz in der Nähe des Schiffs des Königs sitzen sehen.

Veronica: „der Stierkämpfer hält dem Stier die Capa vor; der Stier greift an, der Toreador macht eine langsame Vierteldrehung an Ort, der Stier stösst hart am Toreador vorbei mit dem Kopf gegen die Capa vor.“

1953 * (nicht datiert)       )

Zwei Schwestern stürzen sich in das Feuer …*

Zwei Schwestern stürzen sich in das Feuer des brennenden Tempels und gehen darin unter.

1953 * (nicht datiert)       )

Das Mädchen stürzt sich vom Felsen …*

Das Mädchen stürzt sich vom Felsen (der Burg) hinab: wahnsinnig geworden, als sie den Korb öffnete und seinen Inhalt sah.

1954 * (nicht datiert)       )

Das Mädchen betritt in der Nacht das Heiligtum …*

Das Mädchen betritt in der Nacht das Heiligtum, die Göttin erscheint ihr mit dem Gorgoneion und sie wird durch den Anblick versteinert.

1954 * (nicht datiert)       )

Der Eroberer findet bei der Rückflut der Feinde …*

Der Eroberer findet bei der Rückflut der Feinde in die Stadt auf dem Wall einen Knaben, ein Mädchen, einen Stier als Siegesopfer in ihrem Blut

1953 * (nicht datiert)       )

Er bringt seine Rüstung der Göttin auf die Burg …*

Er bringt seine Rüstung der Göttin auf die Burg, nimmt dafür die Waffen – Votivgaben alter Eroberer – und lässt sie in der Schlacht vor sich hertragen.

1954 * (nicht datiert)       )

Der Feldherr opfert bei der Überfahrt …*

Der Feldherr opfert bei der Überfahrt mitten auf dem Meer einen Stier und ein Trankopfer dem Poseidon und den Nereiden.

Ein Schnitter rettet einen Adler von einer Schlange, die ihn umklammert hält: zum Dank wirft ihm der Adler den Becher mit dem Wasser immer wieder aus: das Wasser war vergiftet, weil die Schlange in die Quelle gespien hatte.

Die streng verwahrte Tochter des Königs gebiert einen Knaben. Die Wächter werfen ihn von der Burg hinab. Ein Adler fängt ihn auf u. trägt ihn in einen Garten, wo der Aufseher ihn nimmt u. aufzieht.

1954 * (nicht datiert)       )

Nach dem Üben im Gymnasion am Meeresstrand …*

Nach dem Üben im Gymnasion am Meeresstrand, wirft sich der Knabe müde auf den geliebten Delphin, der Stachel stand zufällig aufgereckt, riss dem Knaben den Leib auf, er verblutete. Daraufhin stürzt sich // 193 der Delphin mit dem Leichnam aufs Ufer und verendet. Sie erhalten ein gemeinsames Grab.

Ein Adler lässt dem König einen zierlichen, geschmückten Schuh in den Schoss fallen: der König lässt in ganz Ägypten nach der Eigentümerin suchen, der Adler hatte ihn ihr, als sie im Bad war, weggetragen. Der König heiratet sie.

Der Bogenschütze, der in der Finsternis die Mitte trifft, mit dem ersten Pfeil, und mit dem zweiten den ersten von der Kerbe an aufschlitzt: die Scheibe ganz im Dunkeln hinter einer Kerze.

1953 * (nicht datiert)       )

Die Schiffe, die beim Angriff des Feindes …*

Die Schiffe, die beim Angriff des Feindes sich in Meerfrauen, Göttinnen verwandeln: sie tauchen unter Wasser und steigen in der neuen Gestalt vor den Erschreckten wieder auf.

1953 * (nicht datiert)       )

Er stösst ins eherne Horn …*

Er stösst ins eherne Horn, der Triton, neidisch, stösst ihn von der Klippe, er zerschellt. Verbrennung auf dem Vorgebirge: Waffen und Horn und Ruder auf dem Grabhügel

1953 * (nicht datiert)       )

Der Gesang der Sibylle …*

Der Gesang der Sibylle, aus hundert Höhlenöffungen schallend: wenn du das goldene Reis auf einem Wipfel des Eichenhaines findest, es brichst, findest du den Weg aus der Unterwelt und zurück: ein Taubenpaar führt ihn hin, es nistet in dem Wipfel

1953 * (nicht datiert)       )

Der Steuermann, den der dunkle Vogel hinabstürzt …*

Der Steuermann, den der dunkle Vogel hinabstürzt vom Schiffsbug, unbemerkt: sodass das Schiff auf die Sireneninsel zufährt mit der schlafenden Mannschaft, auf den Strand zu, der voller Gebeine.

1953 * (nicht datiert)       )

David folgt einer goldenen Taube durch die Gänge …*

David folgt einer goldenen Taube durch die Gänge, über die Treppen, durch die Säle und Zimmer auf die Zinne des Palastes: wo er Bethsabe sieht im Garten des Nachbarhauses

1953 * (nicht datiert)       )

Der Teufel trägt den Heiligen nach Jerusalem …*

Der Teufel trägt den Heiligen nach Jerusalem (als Pferd): die Kirchen öffnen sich ihm, alle Lampen entzünden sich. Noch in der gleichen Nacht ist er wieder zuhause.

Der Heilige wird von den Bürgern gebunden auf ein Floss geworfen, aber es schwimmt nicht den Fluss hinab, sondern im Gegenteil: den Fluss hinauf und hält bei einem Kloster, z. B. der Drei Jünglinge

Die Ikone der Mutter Gottes wird auf den Stadtwall getragen, wendet sich den Bürgern zu, die Feinde geraten in Schrecken, das Bild vergiesst Tränen unter einem Regen von Pfeilen, der daran abprallt

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