Montag, 04 Mai 1953

Lieber Herr Moras …*

Lieber Herr Moras, es ist mindestens zwei Jahre her[,] seit Ihrem letzten Brief, worin Sie mir den Entschluss mitteilten, nun doch nichts von mir in den „Merkur“ zu drucken. Inzwischen war ich ein Jahr in Rom, seit dem Herbst bin ich Assistent für Geschichte am Leibniz-Kolleg in Tübingen. Ob meine Produktion in der Richtung sich entwickelt hat, die der des „Merkur“ entspricht, wie man sie vielleicht aus den Versen Holthusens, Krolows u. a., die darin erschienen, ablesen darf: daran, glaube ich, Grund zum Zweifel zu haben. Aber schliesslich braucht das eine nicht das andere auszuschliessen. Und im Merkur liest man ja gelegentlich auch R. A. Schroeder und F. G. Jünger: nicht, dass ich meinte, diesen näher zu sein als den andern, ich möchte // 107 damit nur sagen: der „Merkur“ besitzt offenbar eine Spannweite, die mehrere, ihren Vertretern vielleicht nicht unbedingt verträglich scheinende Richtungen, nebeneinander zu Worte kommen lässt. – Sollten Sie und Herr Paeschke also vielleicht doch noch sich entschliessen können, das eine oder andere meiner Gedichte abzudrucken, so würde mich das sehr freuen: das Gefühl, dass die Früchte einer Arbeit, die mir wesentlich scheint, jene nicht erreichen, denen sie bestimmt sind, erschwert diese Arbeit sehr. Wobei mir freilich doch nichts übrig bliebe, als sie auch so fortzusetzen. // 108 Freilich, wie wir nun einmal sind, deutlich auf Kommunikation angewiesen: die Ermutigung von aussen würde sie diesem Ziel schneller nahebringen. das Bewusstsein, dass ich der geistigen Nation, der ich mich zugehörig fühle, auch wirklich angehöre: angenommen und abgelehnt, anerkannt und kritisiert werde. – Verzeihen Sie meine Offenheit: ich schade mir höchstens selber damit. Aber soll ich mich schämen, zuzugeben, dass ich Leser brauche, dass meine Verse all jenen Deutschen gehören, die dafür offen sind, und dass mich bedrückt, dass es so ungeheuer schwer ist, zu ihnen vorzudringen?

Gedichte von mir haben u. a. schon abgedruckt: „Wort und Tat“ (Innsbruck-Wien), // 109 „Neue Zürcher Nachrichten“ (Zürich), Max Rychners Literatur-Beilage der „Tat“ (Zürich). 1950 erschien ein Bändchen „Gesicht im Mittag“ im Vineta-Verlag, Basel.

Ich bitte Sie, sich nicht zu entschuldigen, wenn Ihre Zeitschrift nichts drucken zu können glaubt; es würde mich betrüben, aber nicht überraschen. Sie senden mir vielleicht für den Fall das Manuskript kommentarlos zurück.

Ich bin mit den besten Grüssen Ihr ergebener


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  • Besonderes:

    Adressat: Joachim Moras, Herausgeber des Merkur

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Signatur: C-2-b/05
  • Seite / Blatt: 106, 107, 108, 109

Inhalt: 131 Entwürfe zu 121 Gedichten (17 Endfassungen), Motiv-Notizen, 4 Briefe
Datierung: 16.12.1951 – 13.1.1954
Textträger: Rotbraunes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 193 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (20 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/05 (Schachtel 79)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1952, 1953, 1954, Typoskripte 19521953, 1954
Kommentar: S. 184-195 Motiv-Notizen, von hinten her eingetragen
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

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