Donnerstag, 09 Februar 1956

9.2.56

Ist das Gefühl, immer wieder am Anfang zu stehen, noch nichts getan zu haben, dass das Eigentliche überhaupt noch nicht begonnen ist, dass all meine bisherigen Produkte nur Übungsstücke sind, ist dieses Gefühl mehr ein Grund zur Verzweiflung oder zur Genugtuung? – Dürrenmatts Satz (in der gestrigen Zeitung): „Wer etwas zu sagen hat, kann auch schreiben“ ist ein Schulbeispiel für eine halbe Wahrheit. Es kommt darauf an, was einer unter Schreiben versteht. Wenn es einfach ein Aufstellen und Verteidigen einer These ist, soweit es einfach // das ist, hat. D. natürlich recht. Aber für den Künstler geht es ja – zumindest ausserdem – um etwas anderes: um die Formung eines Materials, das ihm die Welt gibt, einfach um die Lust am Formen, den Zwang zum Formen. Für den Dichter ist dieses Material die Sprache. Daraus etwas zu machen, alles, was er kann, daraus zu machen, das ist für ihn die erste und selbstverständlichste Notwendigkeit in der Welt, lange bevor er sich Gedanken macht darüber, ob er „etwas zu sagen“ habe oder nicht. Er braucht gar nichts zu sagen haben, aber er muss formen, bilden, eine Welt aus Bildern aufstellen. Und er kann es getrost den Philosophen überlassen, herauszufinden, ob diese Gestalten und Bilder etwas „sagen“ oder „bedeuten“. […].

  • Textart: Prosanotat
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: C-2-a/09
  • Werke / Chronos: -

Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)

Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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