Zur Diskussion in der Gruppe 47: Jeder Mensch reagiert auf andere Reize. Und jeder dieser Reize, jede Art von Reizen verführt den Künstler zu spezifischen Fehlern. Er muss sie kennen und versuchen, ihnen zu entgehen, sie zu überwinden. – So wird der Dichter, der seine Motive aus seiner nächsten Umwelt, aus seinem Alltag nimmt, leicht in Gefahr geraten, muffig und hausbacken zu werden, Literatur für Hausfrauen // und Schulmädchen zu schreiben. Derjenige aber, der sich durch fremde Länder, alte Mythen, die Geschichte anregen lässt, kommt leicht in Gefahr, die Faszination seines Stoffes schon für ausreichend zu halten, bloss zu kolportieren, statt zu gestalten, zu vergessen, dass ein grosser und leuchtender Stoff noch kein grosses und leuchtendes Gedicht ergibt. – Der eine wie der andere hat seine Gründe für seine Motivwahl. Aber es kommt ausschliesslich darauf an, was einer aus seinem Motiv macht. Die // Gründe liegen tief unten in seinem Innern, er müsste sich sein Leben lang analysieren, um sie frei zu legen. Das ist sicher müssig, sicher unwichtig. Aber wichtig, unvermeidlich, absolut nötig ist es, dass der Dichter seine Motivwahl durch die Gestaltung rechtfertigt. Das vom Dichter gewählte Motiv muss dem Leser als das einzig mögliche erscheinen. Er darf gar nicht auf den Gedanken kommen: warum hat er jetzt gerade dieses und kein anderes gewählt?
02 Klischees: es gibt modernistische, historische, // mythologische, touristische (Italien, Spanien, Afrika, Skandinavien, Amerika usw.) Klischees. Es ist ganz unmöglich, zu schreiben, ohne Klischees aus einem oder mehreren dieser Bereiche zu benützen. – Diese Erkenntnisse über Motive und Klischees scheinen mir die selbstverständliche Voraussetzung jeder irgend ernst zu nehmenden Diskussion von Schriftstellern über diese Gegenstände. Jeder Streit über erlaubte und unerlaubte Motive, über die Vermeidbarkeit von Klischees // überhaupt scheint mir sinnlos, zeigt höchstens, dass die Leute nicht wissen, wovon sie reden. Aber das ist ja das Erheiternde: die Leute meinen immer, dass gerade die augenblicklich gebräuchlichsten Motive die besten, die augenblicklich gängigsten Klischees keine Klischees seien.