Donnerstag, 19 Juni 1952

Von Paul Huber, 19.6.1952

Lieber Kuno,

[…]

Also zunächst einmal herzlichen Dank für Deine Gedichte. Nachdem ich mich gestern vom über alles bewunderten Schiller etwas losgemacht habe, habe ich heute Deine Opera aufmerksam durchgelesen und finde, dass diese Sammlung einige sehr gute Stücke enthält. Sehr gut, gewichtig in Form und Gehalt und überzeugend im Bild wirkte auf mich das Gedicht mit der Barke der Hoffnung. Auch im Gedicht „Ichthys“ ist mir Deine eigenwillig gemischte Bildwelt zu einem überzeugenden symbolischen Ganzen geworden. Weniger gespannt, mehr nur als eine dichterisch hergesagte Bildsymbolik wirkt auf mich „Kröte + Pelikan“: Dieses Gedicht kennzeichnet jene Seite Deines Schaffens, die mir nicht so sehr zusagt: Es fehlt mir im Gedicht jene Strenge, die den Leser selbst dann ins Gedicht zwingt, wenn ihm die visuelle Gedankenlyrik zunächst nicht geläufig ist: Zudem verlangt der in Deinen Gedichten oft wichtige Pol des „Eklen“, dass er durch eine straffe Gespanntheit der Sehnen des Gedichts von einem lässig Verwesenden, Ekelerregenden, zu einem dichterisch mächtigen Gegenpol gegen das „Lichte“ wird: Das scheint mir gelungen zu sein // in dem starken Gedicht „Abend auf der Piazza Colonna.“ Hier ist auch der Vorstellungsbereich allgemeiner zugänglich. Wo er das nicht ist, – und das ist bei Dir sehr oft der Fall – da braucht es eben jene gestalterische Härte + Gespanntheit, die das Minimum darstellt, dessen der Leser an Allgemeinzugänglichem bedarf, bis er auch leicht esoterische Bilder in sich eindeutig nachvollziehen kann. Ein Extremfall in dieser Hinsicht ist für mich das Gedicht mit „Davids Bild“, aus dem ich immer noch nicht recht klug werde, das ich aber wegen dieser „Strenge“ trotzdem nicht übergehen kann. Ein Gedicht von grossem Atem ist „von des Himmels Röte schmilzt …“. Einzig in der Mittelstrophe scheint mir die Lesehemmung des relativen Anschlusses „der unersättlich säuft“ zu wenig gerechtfertigt zu sein: Ohne gestalterischen Sinn liest man zuerst unsinnig: Flammenmund, der …, um erst in in einem zweiten Ansatz das Relativum auf Kelch zu beziehen … – Sehr geglückt scheint mir die Verwendung des Abraham - Isaak - Motivs in „Die manche Wolke hüllt …“ zu sein. Schon der erste Vers dieses Gedichts, dieser grossatmige Blankvers, versetzt in die Situation der Grösse dichterischer Aussage. Aehnlich wirkt der Hexameter der ersten Zeile in „O der Schlinge entwunden …“. Auch dieses Gedicht ist stark. Nichts anfangen kann ich mit der Paraphrase zu Berninis Theresia in Ekstase, das Du mir seinerzeit schon auf den schönen Neujahrsgruss geschrieben hast. Es ist mir zu sehr Paraphrase, wobei der Gegenstand der Paraphrase selber zu wenig in sich ruht, zu sehr selber schon Auflösung bedeutet, als dass er dem Gedicht Halt geben könnte. Die Bildreihe von „Wer das Fleisch noch duldet …“ spricht mich wenig an. – Wenn die Grösse und Gespanntheit der Diktion einmal beiseitegelassen wird, dann ist erforderlich, dass das Gedicht in einer schlichten Eindeutigkeit der Vorstellung lebt, wie „Treibt ihr noch am niedern Ufer …“. In „Keiner kennt die Pinie wieder …“ ist dieses Postulat mit einer Grösse der Vorstellungswelt glücklich verbunden, während „Streife mit den Schwingen, Vogel …“ auf mich trotz dem symbolisch hohen Anspruch eher lässig wirkt.

02 Du siehst hoffentlich in diesen paar Bemerkungen nich nur Unverstand, sondern mein gerade durch diese Gedichte neu gewecktes Interesse an Deinem Dichten. Wenn es Dir gelingt, vom symbolischen Bildmischer immer mehr zum zwingend kraftvollen Gestalter zu werden, dann wirst Du sehr gute Sachen zustande bringen, wie schon in der vorliegenden // Sammlung das nach meiner Ansicht Gute das Schwache bei weitem überwiegt: Die grösste Gefahr sehe ich in der Lässigkeit bei reicher symbolischer Bildschau. Es würde mich freuen, wenn Du mir schriebest, ob ich mit meinen Bemerkungen nach Deinem Empfinden ganz daneben geraten habe. Und schicke mir wieder Gedichte!

[…]

  • Besonderes:

    Kröte + Pelikan usw. vgl. Typoskripte 1952

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: B-2-HUBE

Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten

Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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