Sonntag, 10 Juli 1983

An Hans Altenhein, 10.7.1983 (Luchterhand)

Lieber Herr Altenhein,

01 eben stosse ich, meine Verlagsangelegenheiten bedenkend, auf zwei Briefe, die ich 1980 erhielt. Den ersten, vom 4. Februar, schrieb Thomas Scheuffelen: er äussert sein Bedauern darüber, dass ich den Gedichtband REDUKTIONEN nicht Luchterhand überliess. Den zweiten, vom 20. Mai, schrieben Sie – es ging da hauptsächlich um die Rechte über ALEXIUS UNTER DER TREPPE – zum Schluss reden Sie von Ihrer Hoffnung auf ein gelegentliches Gespräch, "und sei es über Enttäuschungen".

02 Nun, an solchen fehlt es insofern nicht, als meine Landung bei Ullstein, nach mancherlei Irrfahrten, sich noch vor der Realisierung des ersten Projekts als halbe Bruchlandung erwies. Man überschüttete mich zwar mit Geld, warf aber das bereits ausgedruckte EI unmittelbar vor dem Erscheinen hinaus. Das Buch floh dann mit Erb zu Erb und machte seinen Weg, gewann schon vor der Publikation einen Preis, erfuhr in der Presse viele Würdigungen, teils kritisch zustimmende, teils enthusiastische. Nur ein Kritiker lehnte es schroff ab. Soeben noch hat das Schweizer Fernsehen einen Filmbericht darüber gedreht.

03 Aber jetzt stehe ich wieder da und weiss nicht weiter. Nicht nur, dass Erb die Publikation von zwei Arbeiten, die seit Jahren bei ihm teils schon unter Vertrag stehen (Essays), teils als zu veröffentlichende von ihm akzeptiert wurden (das Theaterstück VOR ANKER) noch nicht herausgebracht hat, jetzt erklärt er sich auch ausserstande den Band ABGEWANDT ZUGEWANDT zu publizieren, dessen Veröffentlichung für dieses Jahr 1983 er anlässlich meines sechzigsten Geburtstags vor über hundert Zuhörern feierlich versprochen hatte. Er begründet dies mit seiner finanziellen Not, meint tröstend "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben". Bei allem Verständnis für seine Lage kann ich doch die Augen vor der Kalamität meiner eigenen nicht verschliessen: Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG widmete, ein einmaliger Vorgang, ABGEWANDT ZUGEWANDT zwei ganze Seiten, um dem Buch bei seinem Erscheinen die gebührende Aufmerksamkeit zu sichern; aber dann musste, da der Verlag kein Datum nennen wollte, // der Hinweis auf Verlag und Erscheinungstermin gestrichen werden. Praktisch bin ich also wieder einmal ohne Verlag, und das in einem Augenblick, in dem meine Arbeit mehr Beachtung findet als jemals, sie fände zweifellos noch mehr, wenn ich einen Verlag hätte, der sich darum kümmerte, der vor allem meine neuene Bücher, wahrhaftig nicht viele, in nicht allzu grossen Abständen präsentieren könnte. Man sagt mir jetzt öfter, ich solle mich doch, auch angesichts der Thematik von ABGEWANDT ZUGEWANDT, an einen Schweizer Verlag wenden. Aber abgesehen davon, dass ich nicht weiss, ob mir das gelänge, bin ich nur mit Massen daran interessiert: Dass das Buch, soweit es nicht einfach ein Lyrikband ist, von einer Problematik handelt, die zu einem wesentlichen Teil, nicht ausschliesslich, schweizerisch ist, scheint mir kein Grund dafür, es ausgerechnet dort zu veröffentlichen. Ausserdem habe ich genug Verlage gehabt, Vineta, Luchterhand, Claassen, Biederstein, nochmals Luchterhand, Ullstein, Erb – es reicht mir vollauf. Ich schicke Ihnen den Vorabdruck aus der NZZ, vielleicht besteht bei Luchterhand Interesse für das Manuskript – viele Leserbriefe, selbst aus Frankreich und einer sogar aus der Türkei, haben mir gezeigt, dass es Leute gibt, die auf das Buch warten.

Mit freundlichen Grüssen
Ihr

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: B-4-c-ABZU_001

Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten

Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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