Reflexion C
Du machst täglich deine „einsame Übung“,
und weisst nicht,
ob es mehr ist als eine Etüde,
wertlos an sich,
05 worein du dich ganz gibst.
Willstrst du das Konzert selbst jemals spielen?
Wird nicht bloss die Art,
mit der du die Finger spreizest
und weit auseinander liegende Tasten gleichzeitig anschlägst,
10 Vorbild sein für den Lehrer dessen,
der das Konzert einmal aufführt und kann?
Doch sicher weisst du,
dass die Schneegebirge über den Palmen,
die grünen Brunnen Granadas und die Boboligärten
nicht mehr sind in
15 nicht mehr sind für deinem Gedicht als deine Schmerzen am
After, //
Reflexion C 2
dein stockender Stuhlgang, das Brennen.
Wer eine Fornarina geküsst und begattet,
schickt sie am Morgen fort.
Denn die „einsame Übung“ verträgt keine Gesellschaft.
20 Er wird sie malen, vielleicht als Madonna.
Aber es ist ihm lieber,
wenn sie ihn in der nächsten Nacht bei einem andern ver|gisst.
Die „einsame Übung“ verbietet die Liebe als Zustand.
Weil sie das „retardierende Sterben, um zwei Tote zu erzeugen“
unendlich↓oft
25 unendlich wiederholt hat,
wird die Fiammetta in der Kirche begraben.
Weil nur die Toten, die Ausgeglühten,
deren Herz die Spritze Wollust stets neu wieder anästhesiert
hat,
fähig sind zur „einsamen Übung“
30 gehen die Huren
in der Prozession feierlich hinter dem Himmel. //
Reflexion C 3
Darum vielleicht. Doch du weisst nur:
die grünen Brunnen, die Palmen, die Schneegebirge
Granadas,
die Boboligärten erregen dich nicht mehr als die Schmerzen
im After,
35 als dein stockender Stuhlgang täglich zur „einsamen
Übung“.
27.VIII. 58