Manuskripte 1955
Inhalt: 135 Manuskripte und 21 Typoskripte zu 24 Gedichten (keine Endfassung)
Datierung: 14.11.1954 – 21.11.1955
Textträger: 200 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Dissertation und Gedichttyposkripten
Umfang: 25 Dossiers, 213 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (12 Gedichte), GEDICHTE (1 Gedicht), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-c/11 (Schachtel 36)
Herkunft: Nr. 1-15: braune Mappe EG 55 I; Nr. 16-25: rote Mappe EG 55 II
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften
Als ein Handleser von der Galleria Colonna ihm sagte,
er käme durch einen Autounfall ums Leben,
machte er sich, damals vor Jahren, nicht viel daraus.
Erst heute zieht die Angstschlucht sein Auge,
05 das er, wie alle, immer an die Gräser und Schnecken des Hangs
angestrengt heftet, überstark in die Tiefe.
Jetzt, wo seine Mutter ächzend liegt auf den Tod,
fing er zuerst an zu glauben, die Tuberkulose, die inherhalb
eines Jahres
10 mehrere seiner Bekannten ergriff, besässe auch ihn schon.
Fiebrig, mit dunklen Ringen unter den Augen,
schloss er schon resigniert ab mit seinem Leben,
an das er sich eben erst mühsam angefangen hatte zu gewöhnen.
Doch der Arzt, zu dem er ging als zu einem Richter, der ein
längst
15 bekanntes Urteil bestätigt, der Form zu genügen,
erklärte ihn für gänzlich gesund.
Und seither muss er immer, wenn seine Mutter stöhnt in der
Nacht,
weil ihr Herzvogel, wild flatternd, ihr den Atem verschlägt,
an den Handleser denken von der Galleria Colonna, der ihm
sagte
20vor Jahren, er käme durch einen Autounfall ums Leben:
es wäre dies vielleicht nicht das Schlimmste.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript (Beim Anzünden der Zigarette), durchgestrichen, datiert 21.11.54
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_015
- Seite / Blatt: 03
Als ein Handleser von der Galeria Colonna ihm sagte,
er käme durch einen Autounfall ums Leben,
machte er sich nicht viel daraus, damals, vor Jahren.
Erst heute zieht die Schlange sein Auge,
05 das er immer an die Gräser und Schnecken des Hangs
angestrengt heftet, in die Schlucht unwiderstehlich:
Erst jetzt, wo seine Mutter ächzend liegt auf den Tod,
fing er zuerst an zu glauben, die Krankheit besiege auch ihn
schon,
fiebrig, mit ins Dunkel sinkenden Augen,
10 schloss er schon resigniert ab mit dem Leben.
Doch der Arzt, zu dem er ging als zum Richter, der
ein längst bekanntes Urteil bestätigt, der Form zu genügen,
erklärte ihn für gänzlich gesund.
Und seither in der Nacht, wenn der Herzvogel
15 seiner Mutter, wild flatternd, den Atem verschlägt,
muss er immer an den Handleser denken von der Galleria
Colonna,
der ihm sagte, vor Jahren, er käme durch einen Autounfall
ums Leben:
es wäre dies vielleicht nicht das Schlimmste.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript↑ (Sebastian Franck, S. 21)
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_015
- Seite / Blatt: 04
Als in der Galeria Colonna ein Handleser ihm sagte, er käme durch
einen Autounfall ums Leben,
machte er sich damals, vor Jahren, nicht viel daraus.
Erst heute zieht es sein Auge,
das er an die Gräser und Schnecken des Hangs immer angestrengt
heftete
05 unwiderstehlich in die Schlucht, wo die Schlange sich, zuweilen
aufschimmernd, ringelt.
Erst jetzt, wo seine Mutter zum Tod ächzt,
fing er zuerst an zu glauben, die Krankheit besässe auch ihn schon;
fiebrig, mit schwarz umränderten Augen, schloss er schon
resigniert ab mit dem Leben.
Doch der Arzt, zu dem er ging als zum Richter, der, um der Form
zu genügen ein längst bekanntes Urteil bestätigt,
10 erklärte ihn für gänzlich gesund.
Und seither muss er immer in der Nacht, wenn der Herzvogel,
wild flatternd, seiner Mutter den Atem verschlägt,
an den Handleser von der Galeria Colonna denken,
der vor Jahren ihm sagte, er käme durch einen Autounfall ums
Leben.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript (Unbesonnen), durchgestrichen
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_015
- Seite / Blatt: 05
Als in der Galeria Colonna ein Handleser ihm sagte, er käme durch
einen Autounfall ums Leben,
machte er sich damals, vor Jahren, nicht viel daraus.
Erst heute zieht es sein Auge, das er immer an das Moos und die
Schnecken des Hangs angestrengt heftete,
unwiderstehlich in die Schlucht, wo die Schlange, zuweilen
aufschimmernd, sich ringelt.
05 Erst jetzt, wo seine Mutter zum Tod ächzt, fing er zuerst an zu
glauben, die Krankheit besässe auch ihn schon;
doch der Arzt, zu dem er mit fieberumränderten Augen ging
damit er als Richter[,] das längst bekannte Urteil, der Form zu genügen,
bestätige,
erklärte ihn für gänzlich gesund.
Und seither muss er immer in der Nacht, wenn der Herzvogel seiner
Mutter, wild flatternd, den Atem verschlägt,
10 an den Handleser von der Galeria Colonna denken, der vor Jahren
ihm sagte, er käme durch einen Autounfall ums Leben.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes:
Fassung (G) direkte Überarbeitung von (F)
Verso: Typoskript (Unbesonnen), durchgestrichen - Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_015
- Seite / Blatt: 06
Als in der Galeria Colonna ein Handleser ihm sagte, er käme durch
einen Autounfall ums Leben,
machte er sich damals, vor Jahren, nicht viel daraus.
Erst heute zieht es sein Auge, das er immer an das Moos und die
Schnecken des Hangs angestrengt heftete,
05 unwiderstehlich in die Schlucht, wo die Schlange, zuweilen
aufschimmernd, sich ringelt.
Erst jetzt, wo seine Mutter zum Tod ächzt, fing er zuerst an zu
glauben, die Krankheit besässe auch ihn schon;
doch der Arzt, zu dem er mit fieberumränderten Augen ging,
damit er das längst bekannte Urteil, der Form zu genügen,
bestätige,
erklärte ihn für gänzlich gesund.
10 Und seither muss er in der Nacht, wenn der Herzvogel seiner
Mutter, wild flatternd, den Atem verschlägt,
immer an den Handleser von der Piazza Colonna denken,
der vor Jahren ihm sagte, er käme durch einen Autounfall
ums Leben.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes:
Strophenunterteilung durch Striche
Verso: Typoskript (Unbesonnen), durchgestrichen - Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_015
- Seite / Blatt: 07
Er wühlt sich in der von den Falten der Gardinen beschirmten
Dämmerhöhle aus verblichenen Blumen
bis dorthin hinab, wo der neue Garten auf dem Linnen beginnt,
und beisst in Schulter und Schenkel,
die er aus dem Laub ihrer Kleider befreit: ringsum sind die
Blätter auf dem Boden verstreut
05 und schaun eifersüchtig auf seinen Schenkel, der den Schenkel
umfasst,
auf seine Brust, die nackt die nackte berührt, die sie in der
Höhle aus Dämmerung fand,
die die Gardinenfalten so gegen die Strassenlaterne beschirmen,
dass ihr Schwanken im starken Nachtwind kaum mehr bemerken
seine Lippen die nun kosten die Lippen und sein Fleisch, das
nun säuft das andere Fleisch ohne Besinnung und Halt,
10 nur an das algengrüne Treppenhaus und die missgünstige
Hausfrau erinnert
durch Licht, das ihm durchs Schlüsselloch für eine Minute
in die lustschmerzenden Augen taktlos hereingrinst.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript (Unbesonnen, wie Ms. K), durchgestrichen
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 01
Er wühlt sich in die von Gardinenfalten voll verblichener Blumen
beschirmte Höhle
bis dort, wo der uralte Garten auf dem Linnen zu duften beginnt
und nährt sich von den Früchten, von Schulter und Schenkeln,
die er aus dem Laub der Kleider gepflückt hat: ringsum sind die
Blätter auf dem Boden verstreut
05 und schauen eifersüchtig auf sein Bein, das den Beinast
umklammert
und auf seine Brust, die nackt den nackten Bruststamm berührt
in der Dämmerung, die die Höhle aus verblichenen Blumen so
gegen die Strassenlampe beschirmt,
dass die Lippen kostenden Lippen, das Fleisch saufende Fleisch
ihr Schwanken im starken Nachtwind kaum mehr bemerken.
10 Dagegen das algengrüne Treppenhaus rächt sich,
indem es mit seinem rostigen Licht für eine Minute in sein
schmerzendes Auge hineinsticht.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript (Sebastian Franck, S. 128)
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 02
Er wühlt sich durch die Höhle aus verblichenen Tapetenblumen bis
dort,
wo aus den Linnen der uralte Garten zu duften beginnt
und isst von den Früchten, die er aus dem Laub der Kleider
gepflückt hat:
ringsum sind die Blätter auf dem Boden verstreut und sehen
eifersüchtig auf sein Bein,
05 das an ihrer Stelle den Ast umfängt,
auf seine Brust, die an ihrer Stelle den Stamm bedeckt.
Doch wenn verblichene Blumen die kostenden Lippen und das
verbrennende Fleisch
vor der Strassenlampe, die im starken Nachtwind schwankt und
immer neu anrennt, bewahren,
rächt sie das algengrüne Treppenhaus,
10 indem es durch das Schlüsselloch mit seinem rostigen Licht für eine Minute
in das aufschmerzende Auge hineinsticht.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Details: V. 07 verbrennende] Alternativ-Varianten: verlorene/ schmelzende
- Besonderes: Verso: Typoskript (Sebastian Franck, S. 131)
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 03
Er wühlt sich durch die von Tapetenblumen umblichene Höhle
bis ihm aus den Linnen der heisse Garten zu duften beginnt
und isst schon die Früchte, die er aus dem Laub der Kleider
gepflückt hat:
ringsum sind die Blätter auf den Boden verstreut,
05 und sähen eifersüchtig auf seinen Arm,
der den Ast an ihrer Stelle umfängt,
auf seine Brust, die den Stamm an ihrer Stelle bedeckt,
wenn nicht die Gardinen die kostenden Lippen und das mit
dem Geäst verwachsene Fleisch
vor der Strassenlampe, die mit dem Wind immer neu anrennt,
beschützten.
10 Doch das Treppenhaus rächt sie,
indem es plötzlich sein rostiges Licht durch das ganz vergessene
Auge hereinstösst.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript (Sebastian Franck, S. 137)
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 04
Er wühlt sich durch die Höhle, die Tapetenblumen umbleichen,
bis ihm aus den Linnen der Garten heiss zu duften beginnt
und isst dann die Früchte, die er aus dem Laub der Kleider
gepflückt hat:
ringsum sind die Blätter auf dem Boden verstreut
05 und sähen eifersüchtig auf seinen Arm,
der den Ast an ihrer Stelle umfängt,
auf seine Brust, die den Stamm an ihrer Stelle bedeckt,
wenn nicht die Gardine die kostenden Lippen und das
eingewachsene Fleisch
vor der Strassenlampe, die mit dem Wind immer anrennt,
beschützte.
10 Doch das Treppenhaus rächt sie,
indem es plötzlich sein rostiges Licht durchs Schlüsselloch
in das ganz vergessene Auge hereinsticht.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes:
Strophenunterteilung undeutlich
Verso: Typoskript↑ (Sebastian Franck, S. 34) - Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 05
Er wühlt sich durch die Höhle, die Tapetenblumen umwelken,
bis er, in der plötzlichen Dufthitze aus den Linnen verdurstend,
die Früchte isst, die er aus dem Laub der Kleider gepflückt hat:
ringsum sind die Blätter auf dem Boden verstreut
05 und sähen eifersüchtig auf den Arm,
der den Ast an ihrer Stelle umfängt,
auf die Brust, die den Stamm an ihrer Stelle bedeckt,
wenn nicht der Vorhang Arm und Brust vor der Strassenlampe,
die mit der Windleiter immer anrennt, beschützte.
10 Doch das Treppenhaus rächt sie,
indem es auf einmal sein rostiges Licht durchs Schlüsselloch
in das ganz vergessene Auge hereinsticht.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes: Verso: Typoskript↑ (Sebastian Franck, S. 41)
- Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 06
Er wühlt sich durch die von Tapetenblumen umwelkte Höhle
bis er, um in der plötzlichen Hitze unterm Daunengebirge nicht zu
verdursten,
die Früchte isst, die er aus dem Laub der Kleider gepflückt hat:
Ringsum sind die Blätter auf dem Boden verstreut
05 und sähen eifersüchtig auf den Arm,
der den Ast an ihrer Stelle umfängt,
auf die Brust, die den Stamm an ihrer Stelle bedeckt,
wenn nicht der Vorhang Arm und Brust vor der Strassenlampe,
die mit der Windleiter immer anrennt, beschützte.
10 Doch das Treppenhaus rächt sie,
indem es auf einmal durchs Schlüsselloch sein rostiges Licht in
das ganz vergessene Auge hereinsticht.
- Details
- Konvolut: Manuskripte 1955
- Besonderes:
alR Strophennumerierung I-III
Verso: Typoskript (Der Engel im Busch), durchgestrichen - Letzter Druck: Verstreutes
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/11_016
- Seite / Blatt: 07