Sonntag, 04 Dezember 1955

Die Wespen (G)

Zu lang setzte sich die Wespe auf dem Rand der Tassenblüte der
Duftversuchung aus, 
als dass sie nicht schliesslich hätte darin umkommen, 
hinabstürzen und mit Beinen und Flügeln die süsse Kaffenacht 
umrühren müssen. 

Auf dem Mund der Coca-Colaflasche – die ich eben bestellte, 
05 weil ich die schwarze Agonie, worin die sterbende schwimmt, 
nicht einmal ansehen kann, ohne dass Zweifel mich quälen: muss 
ich sie retten? – 
zittert die andere Wespe zwischen Lockung und Warnung: 

Gleich wie dem Motorschiff, das ganz allein draussen im gläsernen 
Sturm blasiert lustfährt, 
hinten das Flugzeug gelb aufhockt und noch nicht weiss, 
10 ob es sich in die Sonnenmilch stürzen soll, 
die in die Meerenge herabtropft und sie mit Schaum füllt, 
sodass das Wasser die Klippen heraufflieht, Odysseus, 
und dann schnell mit zerschundenen Knien zurücksinkt; 
nur das Bojenmädchen harrt aus und zeigt dem Schiff, // 15
15 obwohl es sie nicht zu brauchen vorgibt, den Weg durch die Riffe. 

Doch im Bein- und Flügelzucken der einen, 
im surrenden Zittern der anderen Wespe schaut Platon 
– denn ich sitze direkt am Sklavenmarkt, wo man ihn feilhält – 
im weissen Schiffwindspiel des attischen Reeders, 
20 das seine Wespe durch die Sturmmilch davonträgt, 
schaut Platon wie immer die reine Idee an; 
und mitten im Feilschen, wenn ein Bauer ihm fern aussen die 
Leibwandung befühlt, 
kostet er nochmals die Tafelgespräche in Syrakus und die 
Nachtspaziergänge mit Dion. 

Sodass er, wenn Amnikeris kommt und ihn freikauft, 
25 traumtaumelnd in den neuen Rolls-Royce steigt 
und sein ‚Wunderbar‘ nur gibt, weil der andere es ihm mit allen 
Mienen entreisst. 
Aber, schon fast in der Stadt, brennt ihn plötzlich das Bild wach, 
das bei der Abfahrt ins Auge hereinglitt und nun in der Hirnhalle 
ankommt: 
Wie die Wespe im Kaffeemeer reglos liegt 
30 indes die Schwester, zum langen Leben entschlossen, 
sich von der Flasche in die Sonnenmilch wegschwingt.


Blatt 14 (A-5-c_11_147.jpg)

G Die Wespen

[ I Zu lang setzte sich die Wespe auf dem der Versuchung auf dem

\ Rand der | Kaffeetasse aus,

als dass sie nicht schliesslich hätte darin umkommen,

hinabstürzen und mit Beinen und Flügeln die süsse Nacht umrühren

müssen.

II Vom Mund der Coca-Colaflasche hinab ]

I Zu lang setzte sich die Wespe ↔ der Duftversuchung

\ ↑auf dem Rand der Tassenblüte↑ aus,

als dass sie nicht schliesslich hätte darin umkommen,

hinabstürzen und mit Beinen und Flügeln die süsse Kaffenacht

\ umrühren müssen.

 Auf dem
II Vom  Mund der Coca-Colaflasche hinab – die ich eben bestellte,

weil ich llschwarze Agonie
05 weil ich denie Kaffee , worin die sterbende schwimmt,

nicht einmal ansehen kann, ohne dass Zweifel mich quälen: muss ich sie

retten? –

zzittert  die andere Wespe zwischen(der)lochung und(der)
zaudert die andere Wespe zwischen der Lockung und der Warnung des (des

Schauspiels):

III Gleich wie dem Motorschiff    ↓draussenandraussen
III Gleich wie dem Motorschiff, das  ganz allein  im gläsernen Sturm blasiert

lustfährt,

hinten das Flugzeug gelb aufhockt und noch nicht weiss,

10 ob es sich in die Sonnenmilch stürzen soll,

die in die Meerenge herabtropft und sie mit Schaum füllt,

sodass das Wasser die Klippen heraufflieht, Odysseus,

und dann schnell mit zerschundenen Knien zurücksinkt;

nur das Bojenmädchen harrt aus und zeigt dem Schiff, //

Blatt 15 (A-5-c_11_148.jpg)

G Die Wespen 2

15 obwohl es sie nicht zu brauchen vorgibt, den Weg durch die Riffe.

Doch im (Glieder)
IV Doch im Bein- und Flügelzucken der einen,

im surrenden Zittern der anderen Wespe schaut Platon

– denn ich sitze direkt am Sklavenmarkt, wo man ihn feilhält –

im weissen Schiffwindspiel des attischen Reeders,

20 das seine Wespe durch die Sturmmilch davonträgt,

schaut Platon wie immer die reine Idee an;

und mitten im Feilschen, wenn fern aussen ein Bauer ihm fern aussen

die Leibwandung befühlt,

kostet er nochmals die Tafelgespräche in Syrakus und die Nachtspaziergänge

mit Dion.

Sodass er
V Sodass , wenn Amnikeris kommt und ihn freikauft,

25 er traumtaumelnd in den neuen Rolls-Royce steigt

und sein ‚Wunderbar‘ nur gibt, weil der andere es ihm mit allen Mienen

entreisst.

Aber, schon fast in der Stadt, brennt ihn plötzlich das Bild wach,

das bei der Abfahrt ins Auge hereinglitt und nun in der Hirnhalle ankommt:

Wie die Wespe reglos im Kaffee  schwimmt reglos schwimmt, liegt 
Wie die Wespe reglos im Kaffeemeer

30 indes die Schwester von der F¿, zum langen Leben entschlossen,

sich von der Flasche in die Sonnenmweg
sich von der Flasche in die Sonnenmilch   schwingt.

4.12.55

 

  • Besonderes:

    alR Strophennumerierung I-V
    Verso: Typoskript (Der Engel im Busch (eine Posse), S. 1, 2), durchgestrichen

  • Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/11_017
  • Seite / Blatt: 14, 15

Inhalt: 135 Manuskripte und 21 Typoskripte zu 24 Gedichten (keine Endfassung)
Datierung: 14.11.1954 – 21.11.1955
Textträger: 200 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Dissertation und Gedichttyposkripten
Umfang: 25 Dossiers, 213 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (12 Gedichte), GEDICHTE (1 Gedicht), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-c/11 (Schachtel 36)
Herkunft: Nr. 1-15: braune Mappe EG 55 I; Nr. 16-25: rote Mappe EG 55 II

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

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