Entstanden: 1955

unten tief im Brunnen sitzend,
habe ich dich gleich erkannt: 
als du mir, der ängstlich schwitzte, 
ob er nackt und hungrig sitzen 
05 bleiben müsse, warfst herab ein Festgewand. 

Unten tief im Brunnen sitzend, 
habe ich dich gleich erkannt: 
als du mir mit Seidenlitzen 
und mit Steinen, die im Dunkel plötzlich blitzen, 
10 warfst herab ein Festgewand. 

Soll ich aus dem Schlamm und Sand 
mit dem Festgewand dir steigen? – 
Lass mich als mein Herr und Herrscher 
hier im Brunnen unten bleiben: 
15 Wenn ich aus dem Brunnen stiege,
wie dann bliebe, das du mir herabgesandt, 
heil und ganz dein Festgewand? 

Wirf mir lieber  Brot und Schinken 
in den Grund, wo gern ich sitze 
20 und mich freu am seltnen Blinken 
deiner Seide, deiner Steine – 
doch seit Stunden hungrig sitze. 

Unten tief im Brunnen sitzend, 
habe ich dich gleich erkannt: 
25 als du mir, der nackt vor Aengsten schwitzte, 
warfst herab das Festgewand, 
warfst herab dann auch die Speise 
und zuletzt zur Kletterreise 
warfst herab die leichte Leiter: 
30 aber diesen Aufwärtsleiter 
will ich nicht. Nach eigner Weise // 08v
will ich Brunnenherrscher sein. 

Unten tief im Brunnen sitzend 
wink ich dir und lache dir: 
35 Bleib allein im trocknen Land. 
Schon am eitlen Festgewand 
habe ich dich gleich erkannt.

Infos
  • Besonderes: Typoskript mit Korrekturen; Blatt beidseitig beschrieben
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: nur Jahr
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: A-5-c/11_008
  • Seite / Blatt: 08r/v