Entstanden: 21. April 1955

Unten tief im Brunnen sitzend,
habe ich dich gleich erkannt:
als du mir, der ängstlich schwitzte, 
ob er nackt und hungrig sitzen 
05 bleiben müsse? warfst herab ein Festgewand. 

Unten tief im Brunnen sitzend, 
hab ich dich doch gleich erkannt, 
als du mir mit Seidenlitzen 
und mit Steinen, die im Dunkel plötzlich blitzen, 
10 warfst herab ein Festgewand. 

Soll ich aus dem Schlamm und Sand 
mit dem Festgewand dir steigen? 
Lass mich nur im Brunnen bleiben, 
hier mein Herr und Herrscher sein: 
15 Wenn ich aus dem Brunnen stiege, 
dann wo bliebe, das du mir herabgesandt, 
ganz und rein dein Festgewand? 

Wirf mir lieber Brot und Schinken 
in den Grund, wo still ich sitze 
20 und mich freu am matten Blinken 
deiner Seide, deiner Steine, 
doch hungrig schon seit Stunden sitze. // 02v

Untern tief im Brunnen sitzend, 
habe ich dich gleich erkannt: 
25 als du mir, der nackt vor Ängsten schwitzte, 
warfst herab ein Festgewand, 
warfst herab dann auch die Speise 
und zuletzt zur Aufwärtsreise 
warfst herab die leichte Leiter: 
30 aber diesen Taggeleiter 
will ich nicht. Auf meine Weise 
will ich Herr und Herrscher sein. 

Bleib allein im trocknen Land. 
Unten tief im Brunnen sitzend, 
35 wink ich dir und danke dir:
schon am eitlen Festgewand, 
das du mir herabgesandt, 
habe ich dich gleich erkannt.

Infos
  • Besonderes: Blatt beidseitig beschrieben; verso: Typoskript-Anfang (Die Wirtschaftsseite II), durchgestrichen
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/11_008
  • Seite / Blatt: 02r/v