Entstanden: 25. Oktober 1955

Ich kann das Mädchen, das im grasgrünen Pijama am Haustor gähnend
auf den Postboten wartet, nicht fragen,
ich kann den alten Pförtner, der in der Telefonzentrale Tischlampen lötet 
und mir die Zeitung herausreicht
und bestätigt, dass sein Sonntag schön war trotz Regen, nicht fragen: 
ob sie die Perle gesehen hätten, die ich heute früh beim Erwachen 
plötzlich hielt in der Geisthand, 
05 die mir mit ihrem Glanz sogar das Rasieren erträglich und das 
Ankleiden leicht gemacht hatte. 

Ich kann sie nicht nach der Perle fragen: 
irgendwo ging sie verloren 
und fiel hinab unter ein Wahlresultat,
oder im Gespräch mit der Fürsorgerin unter das Bild des
musikalischen Mathematikstudenten, der an der Strudlhofgasse 
in Wien wohnt, laut Formular, 
10 fiel hinab unter die Mathematik und unter die Gassen von Wien, 
bis dort, wo ich allein, höchstens, sie finde, 
wenn ich mein Pflaster ganz aufkratze und hinabsteige in meine 
Abwasserkanäle, vielleicht. // 02

Den Kopf würden das Mädchen im Pijama 
und der Pförtner und die Fürsorgerin schütteln, 
15 wenn ich sie nach der Perle früge, 
die mir heute früh beim Erwachen in der Hand lag: 
Sie war mir wohl von der Muschel, die die Ebbe davontrug, geblieben.

Infos
  • Besonderes: Verso: Typoskripte (Sebastian Franck, Vorbemerkung)
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/11_024
  • Seite / Blatt: 01, 02