Entstanden: 22. April 1955

Wenn er die Orange zerschneidet,
achtet er drauf, dass ihm der Saft
nicht den weissen Kragen verspritzt, 
den er zwar jeden Tag wechselt. 

05 Aber er ist nervöser als sonst 
wegen des Wechsels der Lebensumstände: 
weil er die Stadt plötzlich verlassen musste 
und herausziehn in dieses Kloster, wo es 
nur Mönche gibt, die mit Blicken 
10 sein Leben zu bessern versuchen. 
Aber das ist doch noch besser, 
als in dem feuchten Palast zu bleiben 
und sich wie weisses Fleisch immer von neuem 
von der Tunke des Jammers von fünfzig 
15 Frauen übergiessen und ganz 
durchdringen zu lassen. 

Hier wenigstens ists trocken 
und niemand verlangt von ihm Trauer 
um ein ängstliches Mädchen, das er 
20 nur wenig und förmlich gekannt hat 
(im Bett braucht man, gottseidank, nicht zu sprechen) 
Hier kann er zusehn, wie man, nachdem 
die Sonne unterging hinter des erstarrten 
Meeres kahler Woge, die fünf Beete 
25 mit Rosen mitten im Gemüseplatz giesst, // 01v
und dann, damit man nicht sieht, wie er gähnt, 
hineingehn und ganz drauf achten, dass er 
beim Zerschneiden der Orange 
den weissen Kragen nicht verspritzt mit dem Saft.

Infos
  • Details: V. 04: darunter nachträglich Strich zur Strophenabtrennung
  • Besonderes: Verso: gestrichenes Lorca-Zitat: „Und wer in den Schlaf sich stürzen will …“
  • Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/11_009
  • Seite / Blatt: 01r/v