Entstanden: 07. April 1955

Unten tief im Brunnen sitzend,
habe ich dich gleich erkannt:
als du mir, der ängstlich schwitzend, 
ob er nackt und hungrig sitzend, 
05 bleiben müsse? warfst herab ein Festgewand. 

Unten tief im Brunnen sitzend, 
hab ich dich doch gleich erkannt, 
als du mir mit Seidenlitzen und mit Steinen, 
die im Dunkel deine Sonne widerblitzen,
10 warfst herab ein Festgewand. 

Soll ich an die Sonne steigen, 
soll ich aus dem Schlamm und Sand 
mit dem Festgewand dir steigen? 
Lass mich nur im Brunnen bleiben, 
15 hier mein Herr und Herrscher sein: 
Wenn ich aus dem Brunnen stiege, 
dann wo bliebe, das du mir herabgesandt, 
ganz und rein dein Festgewand? 

Wirf mir Brot und wirf mir Schinken 
20 in den Grund, wo still ich sitzend, 
freue mich am matten Blinken 
deiner Seide, deiner Steine, 
doch hungrig bin, im Dunkeln sitzend. // 01v

Unten tief im Brunnen sitzend, 
25 habe ich dich gleich erkannt; 
als du mir, der nackt und doch vor Ängsten schwitzend, 
warfst herab ein Festgewand. 
Warfst herab dann auch die Speise 
und zuletzt zur Aufwärtsreise, 
30 warfst herab die lange Leiter: 
aber diesen Taggeleiter 
will ich nicht. Auf meine Weise 
will ich Herr und Herrscher sein. 

Bleib du nur im lichten Land. 
35 Unten tief im Brunnen sitzend, 
dank ich dir und denke dein: 
schon am eitlen Festgewand, 
das du mir herabgesandt, 
habe ich dich gleich erkannt.

Infos
  • Besonderes: Blatt beidseitig beschrieben; verso: Typoskript-Anfang (Die Wirtschaftsseite II), durchgestrichen
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/11_008
  • Seite / Blatt: 01r/v