Synopse

(3)
21.06.1948 * (nicht datiert)    (    )

So schlägst, so raubst du …* / II (1*)

So schlägst, so raubst du. Wie ich dich hasse.
Noch als Verwesender hasse ich dich. Wo sich mir alles löst von allem.
Ausspeien will ich dich, was in mir ist von dir. Zu viel hab’ ich getrunken von dir, zu viel. Ich müsste mich selber umwenden, mein Inneres nach aussen. Und selbst dann gelänge es mir nicht, das meine reinlich zu scheiden vom deinen. Ich bin nicht. Des werde ich inne. Ich glaubte zu sein. Doch das gibt es gar nicht: ich. Was bleibt, wenn die Lichter löschen, die grossen Scheinwerfer mit den farbigen Wechselscheiben? Was bleibt von der Bühne ohne das Licht, ohne die Musik? Alte, schäbige Leinwand über Holzrahmen gespannt, klappernde Vorsatzstücke. Vom Balett ein paar geile Mädchen, frech und dumm (dass sie dumm sind macht sie überhaupt erträglich). Die Tänzer alberne Jungen, die nur an den Wein denken, den es nachher gibt, an die Blicke der Verehrerinnen, an ihr Bild in der Illustrierten. Und an anderes, was noch widerlicher ist.

02 Die Bäume waren ja gar keine Bäume, grüne Lappen // 01v warens und ein wenig Holz, die Nymphen, die schönen, geputzte Dirnen. Man wäre verlegen, was man mit ihnen sprechen müsste einen Abend hindurch. Ich würde ihnen Rauch ins Gesicht paffen, aus Langweile, und sie tränken Thee und lächelten, vergeblich wartend auf etwas. Der Fluss ist eine Projektion aus der hintern Galerie. Die Sterne nichts weiter als eine raffinierte Einrichtung, zu kompliziert, sie zu verstehen. Das ist alles.

03 Aber nicht darum hasse ich Dich, dass du mir dies gezeigt hast, nicht darum, nein, weil du mir mich selber gezeigt hast, das ist das Schlimmste. Dass ich nicht da bin. Einen Schönfühler und Dreher von schönlichen Versen, der eben noch schrieb:

für einen Augenblick glänzt smaragdgrün der Fluss,
für einen Augenblick golden die Krone des Baumes.

Zusammengestohlener Wicht, ein Sammelsurium von guter Erziehung, frommen Gedanken, bengalischer Verzweiflung und halben Aufschwüngen die er von der Seite selber ironisch belächelt.

04 Wie das Mädchen an der Bar die kalte Ovomaltine, mit neckischem Lächeln schüttelt, so hast du mich geschüttelt, im Mundwinkel schmunzelnd, ob dem Effekt, den du dir ausgedacht hattest, zusammengeschüttelt aus vielen Gefühlen,  // 02 Gedanken, aus den Strebungen der Jahrhunderte, aus ihren Lei<den>schaften und Ermattungen. Und ich, ich bin nun der Hampelmann, der linkische aus Holz, mit dem Purpurmantel, dem pathetischen Haarschopf. Man kann ihm auch noch eine Krone aufsetzen aus Goldpapier, wenn man will.

05 Aber ich will nicht mehr, hörst du, ich will nicht mehr Hampelmann sein, will einer sein und ich selber. Nicht dir will ich gehören, sondern mir. Und bliebe auch nur noch ein Lachen übrig und Verachtung deines Spektakels, das ich nun kenne. Zu lang bin ich in den Schnürböden herumgestiegen, weil ich glaubte, es seien Berge. Zu lange in den Kulissen gegangen, weil ich glaubte, es seien Wälder. Bliebe mir auch nur das Lachen des Verächters. Es wäre gut so, so viel besser. Denn dies Lachen gehört mir, nur mir, ich wäre frei.

In: Manuskripte 1948-51
Montag, 21 Juni 1948    (    )

So schlägst, so raubst du …* II. (2)

So schlägst, so raubst du. Wie ich dich hasse.
Noch als Verwesender hasse ich dich. Wo sich mir alles löst von allem,
Glied von Glied fällt und die Haut sich
mir abschält, runzlig und alt, wie verbrannt;
ausspeien möchte ich dich, was in mir ist von dir. 
05 Doch zu viel habe ich getrunken von dir, zu viel.
Ich müsste mich selber umwenden, mein Inneres nach aussen.
Und selbst dann gelänge es mir nicht, das meine reinlich
zu scheiden vom deinen.
Ich bin nicht, des werde ich inne.
Ich glaubte zu sein. Doch das gibt es gar nicht: ich.
10 Was bleibt, wenn die Lichter verlöschen, die grossen Scheinwerfer
mit den farbigen Drehscheiben?
Was bleibt von der Bühne ohne das Licht, ohne die Musik?
Schäbige Leinwand, auf Holzrahmen gespannt mit einigen rostigen Nägeln.
Klappernde Vorsatzstücke, wenn du nicht acht hast, fallen sie um.
Vom Balett ein paar geile Mädchen, geil und dumm; // 03v
15 dass sie dumm sind macht sie überhaupt noch erträglich.
Die Tänzer, alberne Jungen, die nur an ihr Bild denken in der Illustrierten,
und an ihre Verehrerinnen, eine gackernde Herde von Hühnern,
woraus man sich eines greift, ein augenverdrehendes Stück, je nach Bedarf.
Die Bäume waren ja gar keine Bäume. Grüne Lappen
warens und ein wenig Holz,
20 die schönen Nymphen geputzte Puppen;
man wäre verlegen, was man mit ihnen sprechen müsste
einen Abend hindurch.
Man würde ihnen Rauch ins Gesicht paffen aus Langeweile,
und sie tränken Thee und lächelten mit langen Wimpern, vergeblich. 
Der Fluss ist eine Projektion von der Galerie. Die Sterne
nichts weiter als eine komplizierte Installation.

25 Aber nicht darum hasse ich dich, dass du mir dies alles gezeigt hast, // 04r
dass es nicht ist,
nein, weil du mir mich selber gezeigt hast, das ist das Schlimmste,
dass ich nicht da bin.
Einen Schönfühler und Dreher von schönlichen Versen,
der eben noch schrieb:

für einen Augenblick glänzt smaragdgrün der Fluss,
für einen Augenblick golden die Krone des Baumes.

30 einen zusammengestohlenen Wicht,
ein Sammelsurium aus guter Erziehung, frommen Gedanken
und halben Aufschwüngen, 
dazwischen Verzweiflungen, bengalisch beleuchtet; 
alles halb von der Seite ironisch betrachtet.
Wie das Mädchen an der Bar die kalte Ovomaltine spielerisch schüttelt,
35 so hast du mich geschüttelt zum Witz,
im Mundwinkel schmunzelnd ob dem Effekt,
den du dir ausgedacht hattest. 
Dein Hampelmann bin ich, der linkische, aus Holz,
mit dem Purpurlappen, dem pathetischen Haarschopf. // 04v
Auch eine Krone kann man ihm aufsetzen, aus Goldpapier,
wenn man will.
40 Aber ich will nicht mehr, hörst du!
Widerlich bist du mir mit deinem zynischen Spiel.
Nicht mehr Hampelmann will ich sein. Einer will ich sein und ich selber.
Und bliebe mir auch nur noch ein Lachen übrig und Verachtung
deines Spektakels, das ich nun kenne.
Lang genug schon bin ich in den Schnürböden herumgestiegen,
weil ich glaubte, es seien Berge.
45 Zu lange, ich Laffe, in den Kulissen gegangen, weil ich
glaubte, es seien Wälder.
Bliebe mir auch nur das Lachen des Verächters, es wäre gut so.
Denn dies Lachen gehörte mir. Ich wäre frei.

In: Manuskripte 1948-51
Dienstag, 22 Juni 1948    (    )

So raubst, so schlägst du …* II * (3)

So raubst, so schlägst du. Wie ich dich hasse.
Noch als Verwesender hasse ich dich. Wo sich mir alles löst von allem,
Glied von Glied fällt und die Haut sich mir abschält, wie verbrannt:
ausspeien möchte <ich>, was in mir ist von dir.
05 Doch zu viel habe ich getrunken von dir, zu viel.
Ich müsste mich selber umwenden, mein Inneres nach aussen.
Und selbst dann gelänge es mir nicht, das meine
reinlich zu scheiden von deinem.
Ich bin nicht, des werde ich inne.
Ich glaubte zu sein. Doch das gibt es gar nicht: ich.
10 Was bleibt, wenn die Lichter erlöschen, die grossen Scheinwerfer
mit den farbigen Drehscheiben?
Was bleibt von der Bühne ohne das Licht, ohne die Musik?
Schäbige Leinwand, auf Holzrahmen gespannt mit einigen rostigen Nägeln. // 05v
Klappernde Vorsatzstücke, sie fallen um, wenn du nicht acht hast.
Vom Ballett ein paar Mädchen, geil und dumm:
15 dass sie dumm sind macht sie überhaupt noch erträglich,
man wäre verlegen, wenn man mit ihnen
sprechen müsste einen Abend hindurch.
Man würde ihnen Rauch ins Gesicht paffen aus Langeweile,
und sie tränken Thee und lächelten mit langen Wimpern erfolglos.

(Die Bäume sind ja gar keine Bäume. Grüne Lappen // 06r
sinds und ein wenig Holz, oder gar nur Pappe.
20 Der Fluss ist eine Projektion von der Galerie. Die Sterne
nichts weiter als eine komplizierte Installation)
Aber nicht darum hasse ich dich, dass du mir dies alles gezeigt hast,
dass es nicht ist,
nein, weil du mich mir selber gezeigt hast, das ist das Schlimmste,
dass ich nicht da bin.
25 Einen Schönfühler und Dreher von schönlichen Versen,
der eben noch schrieb:

für einen Augenblick glänzt smaragdgrün der Fluss,
für einen Augenblick golden die Krone des Baumes.

Einen zusammengestohlenen Wicht,
ein Sammelsurium aus guter Erziehung, frommen Gedanken // 06v
und halben Aufschwüngen, 
dazwischen Verzweiflungen, bengalisch beleuchtet.
Wie das Mädchen an der Bar die kalte Ovomaltine spielerisch schüttelt,
30 so hast du mich geschüttelt zum Witz,
(im Mundwinkel schmunzelnd) ob dem Effekt, den
du dir ausgedacht hattest. 
Dein Hampelmann bin ich, der linkische, aus Holz,
mit dem Purpurlappen, dem pathetischen Haarschopf.
Auch eine Krone kann man ihm aufsetzen, aus Goldpapier, wenn man will.
35 Aber ich will nicht mehr, hörst du!
Widerlich bist du mir mit deinem zynischen Spiel.
Nicht mehr Hampelmann will ich sein. Einer will ich sein und ich selber.
Und bliebe mir auch nichts als mein Lachen übrig und die Verachtung
deines Spektakels, das ich nun kenne. // 07
Lang genug schon bin ich in den Schnürböden herumgestiegen,
weil ich glaubte, es seien Berge.
40 Zu lange, ich Laffe, in den Kulissen gegangen, weil ich
glaubte, es seien Wälder.
Bliebe mir auch nur das Lachen des Verächters, es wäre gut so.
Dies Lachen gehörte mir. Ich wäre frei.

In: Manuskripte 1948-51
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