Den glänzenden Falter
innen trägt die unscheinbare
Nonnenraupe; wenn, als in der Vorhalle lang sie
gewartet und, nun auf dem Platz es zu dämmern begonnen,
05 endlich an den Gendarmen vorbei, die in Gruppen zu vier die
Drängenden ordnen,
eingedrungen ins Herz, dessen Riesengewölb hinter Simsen
verborgene Lampen erleuchten:
wenn, in der reglosen Hitze nur vom dunkel
stockenden Blutstrom der Frommen aufrecht gehalten,
10 jetzt endlich sie fängt im über
den Kopf emporgehaltenen kleinen
Spiegel – darin nie oder nur mit
schlechtem Gewissen sich selbst sie erblickte –
auf den weißen Greis weit vorn auf dem Thron
15 (man hat alle Fenster geschlossen, damit er sich nicht erkälte),
der französisch anspricht die Menge:
jubelt sie ‹wie schön er doch ist› und
trägt, Raupe den Falter, ihn dann hinaus auf die Straße,
blind für den hoch über den Reihen
20 der Klosterschülerinnen, die mit Kerzen
durch die Schwärme der Autoglühwürmer
zur im Wechsel hellen, im Wechsel erloschnen Monstranz ziehn,
für den Neonring über jetzt lichten Laternen
um die Silhouette des Mailänder Doms, der wieder,
25 gelb werbend, umkränzt die rote Hostie ‹Motta› – :
trägt ihn, bis daß sie, die Raupe,
selbst, eines sicheren Tags, ein glänzender Falter.
RÖMISCHE REKLAMEN / Raupe und Schmetterling
- Details
- Konvolut: Die verwandelten Schiffe 1957
- Details: V. 05 gebrochen
- Besonderes: Zweiter Titel kursiv
- Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: pauschal (Konvolut)
- Fassung: Letzte Fassung
- Seite / Blatt: 37
- Textnummer: 028
- Werke / Chronos: Bd.1, 57
Titel: Die verwandelten Schiffe / GEDICHTE
Verlag: Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt, Berlin-Frohnau, Neuwied (1957)
Druck: Wiking Druckerei GmbH, Darmstadt
Inhalt: 48 Gedichte; vorangestelltes Motto (Aeneis-Zitat); Klappentext von Raeber (vgl. Umschlag)
Textträger: Broschüre mit Zeichnung auf vorderem Umschlag, 64 Ss
Vorstufen: Notizbuch 1952-54, 1954-55, 1955-57, Manuskripte 1953, 1954, 1955, 1956, Typoskripte 1954
Kommentar: Tantiemen-Vertrag: 31.12.1956
Wiedergabe: Freie Handhabung des Zeilenumbruchs bei Langversen
Vorangestelltes Motto: AENEIS X, 219-223:
Atque illi medio in spatio chorus ecce suarum
Occurrit comitum: Nymphae, quas alma Cybele
Numen habere maris, Nymphasque e navibus esse
Iusserat, innabant pariter, fluctusque secabant,
Quot prius aeratae steterant ad litora prorae.
Das Inhaltsverzeichnis (S. 62/63) unterteilt Römische Reklamen (S. 36/37) und Artisten (S. 38/39) nicht und führt nur 47 Titel auf.
Auf der Umschlagsklappe vorne und hinten (U2, U3) ist ein programmatischer Text Raebers abgedruckt:
Ein erster Versuch im Mai 1956, die Sammlung bei der Deutschen Verlagsanstalt unterzubringen, scheiterte. Tagebucheintragung, 17.5.1956:
Die DVA schickt mir die Gedichte mit einer schroffen Ablehnung zurück: das seien gar keine Gedichte, es handle sich um eine Aneinanderreihung und Verkoppelung von Einzelheiten, um mehr nicht, usw. –
Am 30.10.1956 versprach Heinz Schöffler, trotz der Schwierigket mit Lyrikbänden eine Realisierungsmöglichkeit zu suchen (B-4-C-GEDI_009), am 28.12.1956 wurde Raeber der Verlagsvertrag zur Unterzeichnung zugestellt (ebd.).
Am 12.1.1968 teilte die Verlagsleitung des Luchterhand Verlags Raeber mit, "die noch vorhandenen rd. 950 gebundenen Exemplare an das moderne Antiquariat abzugeben", da der Absatz weit hinter den Verkaufserwartungen zurückgeblieben sei (B-4-c-SCHIFF).
Nachdruck von 6 Gedichten in Texte und Zeichen (1957, H. 3).