Requiem für N N

Synopse

  • Für Raimund Sch.

    Notizbuch 1955-57 — Entstanden: 25. Juli 1956

    Dass du mir nicht über die Treppe von Birnau,
    mit den anderen Schiffern
    einstiegst in die bizarre rosige Muschel,
    sondern es vorzogst so heftig und
    in jähem Versehen absichtlich
    05an der Autobahn die Zustellung des seit jeher
    bekannten Befehls zu erwarten:
    Zustellung eines Befehls.....
    dies war es:
    Zwei Beamte redeten dich so an,
    sahen dich nur an,
    10 dass du ganz durch Mark und Bein wusstest,
    dass du hier eigentlich irregulär bist,
    streunend, ein Hund und so // 102
    die genaue Berechnung,
    nach der die Leute und die Güter
    15 hier hin und her fahren
    töricht lustig¿, träumerisch störst:
    So ein Auge ist nicht erlaubt,
    das hast du jetzt endlich zu verstehen beschlossen,
    so ein lässiger¿ und nicht recht entschiedner,
    20 manchmal sich plötzlich verändernder Gang,
    das ist nicht erlaubt hier.
    Und überhaupt: „was tun Sie hier an der Strasse?
    Wissen Sie nicht?“ –
    „Nichts, nichts! Was sollte ich wollen?
    25 Aber was gibt Ihnen das Recht, mich zu fragen?“
    Armer, du hast kein Recht // 103
    und hast auch vergessen,
    dich rechtzeitig mit andern,
    die auch keins haben,
    30 dich zusammenzuschliessen:
    Zwecks Wahrnehmung deiner Interessen.
    Du hast keine Interessen,
    wenn man nicht dein Bedürfnis,
    mit dem Fuss einen dürren Zweig
    35 zwischen den Gräsern zu schieben,
    ein Interesse nennt.

  • Requiem für Raimund Schmid (A)

    Manuskripte 1957 — Entstanden: 04. März 1957

    Dass du mir nicht in Birnau 
    mit den anderen Schiffern einstiegst in die bizarre 
    rosige Muschel, 
    sondern es vorzogst, mit jähem 
    05Willen die Zustellung des ohnehin unvermeidlichen 
    Befehls an der Autobahn zu erzwingen. 

    Nicht erlaubt ist dies Auge, 
    das nur schaut und nichts ansieht. 
    Das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
    10die Gefahr für die andern 
    Verkehrsteilnehmer 
    bei so plötzlichem Wechsel des Ganges. – 

    Überhaupt „was tun Sie hier an der Strasse?“
    „Nichts, nichts, was sollte ich wollen? 
    15 Wissen Sie nicht? …“
    Du hast leider vergessen, // 02
    dich vorzeitig mit andern 
    zwecks Wahrnehmung deiner Interessen 
    zusammenzuschliessen. 
    20Aber du weisst von keinen Interessen, 
    es sei denn von diesem Bedürfnis, 
    das auf einmal unüberwindlich da ist, 
    mit dem Fuss einen dürren 
    Zweig vom Strassenrand weg 
    25in die ängstlichen Gräser zu schieben.

  • Requiem für R. Sch., der, aufgegriffen an der Autobahn, durch das eigene Messer umkam. (B)

    Manuskripte 1957 — Entstanden: 03. April 1957

    Dass du mir nicht mit den anderen Schiffern 
    einstiegst in Birnau 
    in die rosig erlöschende  Muschel, 
    sondern es vorzogst, 
    05an der Autobahn die Zustellung 
    des ohnhehin unvermeidlichen Befehls zu erzwingen! …: 

    Nicht erlaubt ist dies Auge, 
    das nur schaut und nicht ansieht. 
    Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
    10die Gefahr für die andern // 03v
    Verkehrsteilnehmer 
    bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. – 

    Aber „was tun Sie hier an der Strasse?“
    „Nichts nichts, was sollte ich wollen?“ 
    15 „Wissen Sie nicht? …“
    Du hast leider vergessen, 
    dich rechtzeitig mit andern, 
    zwecks Wahrnehmung deiner Interessen 
    zusammenzuschliessen. 

    20Du weisst von keinen Interessen, 
    es sei denn von diesem Bedürfnis, 
    das manchmal unüberwindlich da ist, 
    mit dem Fuss einen dürren 
    Zweig vom Strassenrand weg 
    25in die Gräser zu schieben.

  • Requiem für R. Sch., der, aufgegriffen an der Autobahn, durch das eigene Messer umkam. (C)

    Manuskripte 1957 — Entstanden: 23. April 1957

    Dass du mir nicht mit den anderen Schiffern 
    einstiegst in Birnau 
    in die rosig erlöschende Muschel, 
    sondern es vorzogst, 
    05die Zustellung des ohnehin 
    unvermeidlichen Befehls 
    an der Autobahn zu erzwingen! … 

    Nicht erlaubt ist dies Auge, 
    das nur schaut und nicht ansieht. 
    10Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
    die Gefahr für die andern 
    Verkehrsteilnehmer 
    bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. – // 04v

    Aber „was tun Sie hier an der Strasse?“
    15 „Nichts, nichts, was sollte ich wollen?“
    „Wissen Sie nicht …?“ 
    Du hast leider vergessen, 
    dich rechtzeitig mit andern, 
    zwecks Wahrnehmung deiner Interessen, 
    20zusammenzuschliessen. 

    Du weisst von keinen Interessen, 
    es sei denn von diesem Bedürfnis, 
    das manchmal unüberwindlich da ist, 
    einen dürren Zweig von der Strasse weg 
    25mit dem Fuss in die Gräser zu schieben.

  • Requiem für R. Sch., der, aufgegriffen an der Autobahn, durch das eigene Messer umkam. (D)

    Manuskripte 1957 — Entstanden: 1957

    Dass du nicht mit den anderen Schiffern
    einstiegst in Birnau 
    in die rosig erlöschende Muschel, 
    sondern es vorzogst, 
    05die Zustellung des ohnehin 
    unvermeidlichen Befehls 
    an der Autobahn zu erzwingen.... 

    Nicht erlaubt ist dies Auge, 
    das nur schaut und nicht ansieht. 
    10Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen: 
    die Gefahr für die andern 
    Verkehrsteilnehmer 
    bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. – 

    Aber "was wollen Sie hier an der Strasse?"
    15 "Nichts, nichts, was sollte ich wollen?"
    "Wissen Sie nicht …?"
    Du hast leider vergessen, 
    dich rechtzeitig mit andern, 
    zwecks Wahrnehmung deiner Interessen, 
    20zusammenzuschliessen.

    Du weisst von keinen Interessen, 
    es sei denn von diesem Bedürfnis, // 05v
    das manchmal unüberwindlich da ist, 
    einen dürren Zweig mit dem Fuss 
    25von der Strasse weg in die Gräser zu schieben.

  • Requiem für R. Sch., der aufgegriffen an der Autobahn, durch das eigene Messer umkam

    Typoskripte 1957 — Entstanden: 1957

    Dass du nicht mit den anderen Schiffern
    einstiegst in Birnau
    in die rosig erlöschende Muschel,
    sondern es vorzogst,
    05die Zustellung des ohnehin
    unvermeidlichen Befehls
    an der Autobahn zu erzwingen …

    Nicht erlaubt ist dies Auge,
    das nur schaut und nicht ansieht.
    10Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen:
    die Gefahr für die andern
    Verkehrsteilnehmer
    bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. –

    Aber "Was wollen Sie hier an der Strasse?"
    15 "Nichts, nichts, was sollte ich wollen?"
    "Wissen Sie nicht …?"
    Du hast leider vergessen,
    dich rechtzeitig mit andern,
    zwecks Wahrnehmung deiner Interessen,
    20 zusammenzuschliessen.

    Du weisst von keinen Interessen,
    es sei denn von diesem Bedürfnis,
    das manchmal unüberwindlich da ist:
    einen dürren Zweig mit dem Fuss
    25 von der Strasse weg in die Gräser zu schieben.

  • Requiem für N.N., der von der Polizei an der Autobahn angehalten, sich mit dem eigenen Messer tötete

    Verstreutes — Publiziert: 01. Juni 1958

    Dass du nicht mit den anderen Schiffern
    einstiegst in Birnau
    in die rosig erlöschende Muschel,
    sondern es vorzogst,
    05 die Zustellung des ohnehin
    unvermeidlichen Befehls
    an der Autobahn zu erzwingen …

    Nicht erlaubt ist dies Auge,
    das nur schaut und nicht ansieht.
    10Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen:
    die Gefahr für die andern
    Verkehrsteilnehmer
    bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes –

    Aber «Was wollen Sie hier an der Straße?»
    15«Nichts, nichts, was sollte ich wollen?»
    «Wissen Sie nicht …?»
    Du hast leider vergessen,
    dich rechtzeitig mit andern,
    zwecks Wahrnehmung deiner Interessen,
    20zusammenzuschließen.

    Du weißt von keinen Interessen,
    es sei denn von diesem Bedürfnis,
    das manchmal unüberwindlich da ist:
    einen dürren Zweig mit dem Fuß
    25von der Straße weg in die Gräser zu schieben.