Requiem

Synopse

  • Requiem für seine Mutter

    Notizbuch 1954-55 — Entstanden: 01. April 1955

    Nah liegst du im Dunkel, wo
    deine Träume süsslich faulen
    und dein Blut, das lang floss
    mit den Schiffen, den schwarzsegligen,
    05den vielen, deiner Trauer, und den
    wenigen hellen der Freuden,
    durch die Städte, deren du keine
    zu betreten vermochtest:

    nah liegst du im Dunkel, wo schon
    10der Wurm an deine Kammer
    pocht dem Ufer des
    tiefen Sees, vor dessen
    Schlamm und blumenlos
    blinder Fläche du dich immer gefürchtet.

    15Gefürchtet, als du den
    Bruder am Ausgang überraschtest // 098
    und aufschrakst, weil er
    dich ansah, ertappt auf einsam unheimlichem Weg.

    Du sahst ihn verschwinden im Schilf
    20und zum ersten Mal, als ers mit Armen zerteilte,
    das Wasser des Sees,
    dem du jetzt nah liegst,
    wo es schon leis pocht an deine Zelle.
    Da steht still der Blutstrom, und vor
    25Anker liegen deine vielen schwarzsegligen
    Schiffe und deine wenigen hellsegligen,
    die es lang trieb durch die Städte,
    deren du keine zu betreten vermochtest, wie sehr
    du auch batest, dass man dir
    30 hinunterlasse den Steg zur Landung. // 099

    Sitzen auf dem roten Sofa im Turm
    mit dem Ritter, der die
    Windfahne hält;
    mit den Schwestern sitzen
    35und von den Freundinnen plaudern.

    Du sitzest unter den Schwestern im Zimmer
    und schaust durch das Fenster
    hinein auf den Blutstrom mit den
    vielen schwarzsegligen Schiffen
    40und den wenigen weisssegligen.....

  • Für meine Mutter (A)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 07. April 1955

    Du sassest unter den Schwestern im vom 
    Tüll gedämpften Plüschdunkel
    und schautest hinein auf den Blutstrom 
    der mit den vielen schwarzsegligen Schiffen 
    05und den wenigen weisssegligen trieb 
    an den Ufern entlang, deren du keins 
    zu betreten vermochtest. 

    Wenn dir winkte ein düsterer 
    Mann und du neugierig hinaus tratst 
    10 auf den Steg und er dich nahm an der Hand 
    da schriest du, immer ein Kind, „Nein“
    und rissest zurück dich aufs Schiff 
    und rissest mit dir die Kinder, 
    die fahren mit Abstand dir nach 
    15 und hören nur noch verhallen die 
    Orgeln, die Hymnen, die man bei deiner 
    Vorbeifahrt gespielt und gesungen 
    an geöffneten Toren. 

    Fahren dir nach, 
    20 und du liegst im Dunkel, wo man 
    schon an deine Kammer 
    pocht, nahe dem Ufer des tiefen 
    Sees, vor dessen 
    Schlamm und blumenlosem // 01v
    25 Ufer du dich als kleines Mädchen gefürchtet 
    und dich verstecktest hinter 
    den Tüll und den grossen 
    Flitterbaum an Weihnachten. 
    Gefürchtet wieder, als du 
    30 den Bruder, wie er hineinging ins seichte 
    trübe Wasser, überraschtest, und er dich 
    ansah, ertappt auf verbotenem Weg. 

    Dein schwarzsegliges Schiff, 
    das uns geleitet, fuhr nun 
    35 ein in das Haff, uns treibt 
    der Strom vorbei, und ist’s so, ists richtig, 
    dass man da hinter der Nehrung 
    dir nun aufzieht ein neues 
    Segel, ein weisses?

  • Für meine Mutter: Requiem (B)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 08. April 1955

    Du sassest mit den Schwestern in der
    von Tüll ein wenig erhellten Plüschgrotte
    und schautest hinaus auf den See 
    und sahst dich selbst auf dem 
    05Dampfer mit dem schwarzen Schornstein zwischen den Ufern 
    pendeln: nirgends hast dus betreten. 

    Auch als dir winkte der dunkle 
    Mann und du neugierig hinaus auf den Steg tratst 
    und er dich nahm an der Hand, da 
    10 schriest du „Nein“ und rissest 
    die Kinder aufs Schiff zurück: 
    Jetzt sitzen sie auf dem Hinterdeck 
    und sehn den weissen Spitz, der wie immer 
    das Männchen machte, jetzt ermüdet 
    15der dörflichen Prozession nach in die Kirche laufen, deren 
    Tür sich grad schliesst und wo 
    die Orgel verstummt. 

    Und du ruhst in der Kabine 
    und hörst uns nicht pochen und fürchtest dich vor dem // 02
    20 Schlamm und dem steinigen 
    Ufer des Sees: seit du den Bruder, 
    wie er hineinging ins seichte Wasser und 
    den Sand aufrührte überraschtest und er dich ansah und wegsah, 

    So fährst du allein auf dem Dampfer, 
    25 tiefer ins Gebirge, und ists so, ists richtig, wenn 
    wir im Wenden sehn in der Lücke, 
    wo sich die beiden Felshänge beinah berühren, 
    dass sich übers Verdeck 
    spannt ein weisses 
    30 Zelt über die Sommergesellschaft?

  • Requiem (C)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 19. April 1955

    Du sassest mit den Schwestern in der
    von Tüll ein wenig erhellten Plüschgrotte
    und schautest auf den See hinaus 
    und sahst dich selbst auf dem 
    05Dampfer zwischen den Ufern pendeln: 
    nirgends hast dus betreten. 

    Auch nicht als dir einer eindringlich winkte 
    und du neugierig auf den Steg tratst 
    und er dich an der Hand fassen wollte: Du 
    10 schriest „Nein“ und rissest 
    die Kinder aufs Schiff zurück. 

    Jetzt sitzen sie auf dem Hinterverdeck, und der 
    weisse Spitz, der wie immer vor dir das Männchen machte, 
    lässt sich als man die Brücke wegzieht 
    ermüdet auf die Vorderbeine 
    15fallen und läuft der dörflichen Prozession in die Kirche nach, 
    wo die Orgel grade verstummt. 

    Doch du ruhst schon in der Kabine 
    und hörst das Klopfen nicht 
    und schläftst lieber, weil du 
    20 vor dem Schlamm dich fürchtest und 
    vor den Steinen des Ufers: seit du den Bruder 
    überraschtest, wie er hineinging ins seichte 
    Wasser und den Sand aufrührte 
    und dich ansah und dann wegsah, wie ertappt. // 03v

    25 Allein fährst du jetzt mit dem Dampfer 
    tiefer ins Gebirge, und wir sehn im Wenden
    in der Lücke, wo sich die beiden Felshänge 
    beinah berühren, dass dir die Kellner 
    übers Verdeck ein weisses 
    30 Linnen spannen, da du 
    allein bliebst von der Sommergesellschaft.

  • Requiem (D)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 19. April 1955

    Sie sass mit den Schwestern in der
    von Tüll ein wenig erhellten Plüschgrotte
    und schaute auf den See hinein 
    und sah sich selbst auf dem 
    05Dampfer zwischen den Ufern kreuzen: 
    nirgends hat sies betreten. 

    Auch nicht als ihr einer eindringlich winkte 
    und sie neugierig auf den Steg trat 
    und der andre sie an der Hand fasste: „Nein“
    10schrie sie und riss 
    die Kinder zurück aufs Schiff. 
    Da setzten sie sich aufs Hinterverdeck, 
    und sahn zu, wie der weisse Spitz, der vor ihr, 
    (wie immer,<)> das Männchen machte, 
    15 sich ermüdet auf die Vorderbeine, 
    als man die Brücke wegzog, fallen 
    liess und der dörflichen Prozession in die Kirche nachlief, 
    wo die Orgel eben verstummte. 

    Nun ruht sie schon in der Kabine 
    20 und hört das Klopfen nicht 
    und schläft lieber, weil sie 
    vor dem Schlamm und vor den 
    Steinen am Ufer sich fürchtet: 
    seit sie den Bruder überraschte, // 04v
    25 wie er hineinging ins seichte Wasser 
    und den Sand aufrührte 
    und sie ansah und dann, wie ertappt, wegsah. 

    Allein fährt sie jetzt mit dem Schiff 
    tiefer ins Gebirg, und die Kinder 
    30 sehn beim Zurückschaun im Wenden 
    in der Lücke, wo sich die beiden Felshänge 
    beinah berühren, dass die Kellner 
    ein weisses Linnen zur Teezeit 
    spannen übers Verdeck für die Dame, wo sie 
    35 allein von der Sommergesellschaft noch da ist.

  • Requiem (E)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 06. Mai 1955

    Sie sitzt mit den Schwestern in der
    mit Plüsch ausgeschlagenen Grotte und schiebt
    den Tüll vom Fenster zurück und schaut 
    auf den See hinein und sieht 
    05sich selbst auf dem Dampfer zwischen 
    den Ufern kreuzen: den 
    von ihr niemals betretnen. 

    Auch nicht, als einer ihr winkt 
    und sie neugierig auf den Steg tritt 
    10und er sie an der Hand fasst: „Nein“
    schreit sie und reisst 
    die Kinder zurück aufs Schiff. 
    Die setzen sich aufs Hinterverdeck, 
    während der weisse 
    15Spitz, der vor ihr, wie immer<,>
    das Männchen machte, 
    sich ermüdet auf die Vorderbeine, 
    da man die Brücke wegzog, fallen 
    lässt und dann der dörflichen 
    20Prozession nachläuft // 05v
    in die Kirche, wo eben 
    die Orgel das „Tantum ergo“ anstimmt. 

    Vorn in der Kabine 
    ruht sie sich aus und hört 
    25das Klopfen nicht und schläft, auch 
    weil sie vor dem Schlamm und vor den 
    Steinen am Ufer sich fürchtet: 
    seit sie den Bruder 
    beim Hineingehn ins seichte 
    30Wasser überraschte, als er den Sand 
    aufrührte und sie 
    ansah und dann wegsah, wie ertappt. 

    Allein fährt sie jetzt 
    tiefer ins Gebirge, und die 
    35Kinder sehn beim Zurückschaun 
    in die Lücke, wo sich die beiden 
    Felsenhänge beinah berühren, 
    dass die Kellner ein helles 
    Sonnendach übers Verdeck // 06
    40spannen für die Dame, die 
    von der Sommergesellschaft allein noch da ist, 
    für den Fall, dass sie 
    zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (Einer Toten) (F)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 18. Mai 1955

    Sie sitzt neben den Schwestern im roten
    Fauteuil und schiebt den Tüll
    vom Fenster zurück und 
    sieht sich selbst auf dem See zwischen den Ufern 
    05kreuzen, die sie niemals betritt. 

    Auch nicht, als einer ihr winkt 
    und sie neugierig auf den Steg tritt 
    und er sie an der Hand fasst: „Nein“ 
    schreit sie und reisst die Kinder 
    10auf den Dampfer zurück. 

    Die setzen sich aufs Hinterdeck, 
    während der weisse 
    Spitz, der vor ihr, wie immer, 
    das Männchen machte, 
    15sich ermüdet<,> da man die Brücke zurückzog, 
    fallen lässt und dann der 
    Dorfprozession nachläuft 
    in die Kirche, und der Orgel 
    in das „Tantum Ergo“ hineinbellt. 

    20In der Kabine vorn ruht sie sich aus 
    und hört das Klopfen nicht und schläft // 08
    auch weil sie den Schlamm und 
    das Geröll am Ufer nicht mag 
    seit sie den Bruder beim Hineingehn ins seichte 
    25Wasser überraschte, als er den Sand 
    aufrührte und sie ansah und dann, 
    wie ertappt, schnell wieder wegsah. 

    Lieber fährt sie jetzt allein 
    tiefer ins Gebirge, und die Kinder 
    30sehn beim Zurückschaun in die Lücke, 
    wo sich die Felsenhänge beinah berühren, 
    wie die Kellner ein helles Sonnendach 
    übers Verdeck spannen für die Dame, 
    die von der Sommergesellschaft einzig noch da ist, 
    35für den Fall, dass sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (G)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 25. Juni 1955

    Neben den Schwestern sitzt das Mädchen
    auf dem Sofa und schiebt die Gardine
    vom Fenster zurück und sieht das Schiff auf dem See,
    das immer grösser wird und jetzt anlegt, 
    05einer winkt der Frau, die heraus 
    auf den Steg tritt und fasst sie an der Hand: 
    „Nein“ sagt sie mit schmalen Lippen und reisst den 
    Knaben auf den Dampfer zurück; aber 
    der entläuft ihr verschüchtert ans Ufer, 
    10während sie selber in die Kabine 
    flüchtet und nicht 
    hinschaut auf den Spitz, der vor ihr das Männchen 
    macht und sich enttäuscht, // 10
    weil man die Brücke zurückzieht, 
    15bevor sie ihm etwas hinwarf, 
    fallen lässt und der Dorfprozession in die Kirche 
    nachläuft und der Orgel ins „Tantum ergo“ hineinbellt. 

    Lieber fährt sie allein 
    tiefer ins Gebirg, und des Mädchens 
    20Auge folgt dem des Knaben 
    ans Ufer zur Lücke, 
    wo sich die Felsen beinah 
    berühren, und wo die Kellner ein helles 
    Sonnendach übers Verdeck 
    25spannen für die Dame, die von der 
    Sommergesellschaft einzig 
    noch da ist, für den Fall, dass 
    sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (H)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 26. Juni 1955

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern
    auf dem Sofa und schiebt die Gardinen
    vom Fenster zurück und sieht 
    das Schiff auf dem See, das immer 
    05wächst bis es an der Lände anlegt, 

    wo einer der Frau, die heraus 
    auf den Steg tritt, winkt 
    und sie hart an der Hand fasst: 
    „Nein“ schreit sie tonlos, lippenlosen 
    10zusammengepressten Munds und risse den 
    Knaben mit sich aufs Schiff zurück 
    wenn er ihr nicht entrönne ans Land. 

    So flüchtet sie allein in die 
    Kabine und schaut 
    15nicht hin auf den Spitz, der vor ihr 
    das Männchen macht und sich, 
    enttäuscht, weil man die Brücke // 12
    zurückzieht, bevor sie 
    ihm etwas hinwirft, fallen 
    20lässt und der Dorfprozession in die Kirche 
    nachläuft und der Orgel 
    ins „Tantum ergo“ hineinbellt. 

    Lieber fährt sie allein 
    tiefer ins Gebirg; und das Auge 
    25des Mädchens im Fenster folgt mit 
    dem Auge des Knaben am Ufer 
    dem Dampfer zur Lücke, wo sich 
    die Felsen beinah berühren 
    und wo die Kellner ein helles 
    30Sonnendach übers Verdeck 
    spannen für die Dame, die von der 
    Sommergesellschaft einzig 
    noch da ist, für den Fall, dass 
    sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (J)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 27. Juni 1955

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern
    auf dem Sofa und schiebt die Gardinen
    vom Fenster zurück und sieht 
    das Schiff auf dem See, das immer 
    05wächst, bis es an der Lände 

    anlegt, wo einer der Frau, 
    die heraus auf den Steg tritt, 
    winkt und sie hart an der Hand fasst: 
    „Nein“ schreit sie tonlos, lippenlosen 
    10Mundes und risse den Knaben 
    mit sich aufs Schiff zurück, wenn er 
    ihr nicht ans Ufer entwischte. 

    So flüchtet sie allein in die 
    Kabine und schaut 
    15nicht hin auf den Spitz, der vor ihr 
    das Männchen macht und sich, 
    weil man die Brücke zurückzieht, ohne 
    dass sie ihm ihr Lächeln zuwarf, verärgert 
    fallen lässt und der Dorfprozession 
    20in die Kirche nachläuft und der Orgel 
    ins „Tantum ergo“ hineinbellt. // 14

    Lieber fährt sie allein 
    tiefer ins Gebirg; und das Auge 
    des Mädchens im Fenster folgt mit 
    25dem Auge des Knaben, der im Hin 
    und Her der Passanten immer noch 
    still steht, dem Dampfer 
    zur Lücke, wo sich die Felsen 
    beinah berühren und wo 
    30die Kellner ein helles 
    Sonnendach übers Verdeck 
    spannen für die Dame, 
    die von der Sommergesellschaft 
    einzig noch da ist: Für den 
    35Fall, dass sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (K)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 09. Juli 1955

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern auf dem Sofa
    und schiebt die Gardinen vom Fenster zurück
    und sieht das Schiff auf dem See, das immer wächst, 
    bis es an der Lände anlegt, und sieht die Frau, 

    05 sich selbst, die heraus auf den Steg tritt, wo einer 
    ihr winkt und sie hart an der Hand fasst: 
    „Nein“ schreit sie lippenlos, tonlos
    und risse den Knaben mit sich aufs Schiff zurück, 
    wenn er ihr nicht ans Ufer entwischte. 

    10 So flüchtet sie allein in die Kabine 
    und schaut nicht hin auf den Spitz, 
    der vor ihr das Männchen macht und sich, 
    weil man die Brücke zurückzieht, 
    ohne dass sie ihm ihr Lächeln zuwarf, 
    15 verärgert fallen lässt und der Prozession in die Kirche nachläuft 
    und der Orgel ins „Tantum ergo“ hineinbellt. // 16

    Lieber fährt sie allein tiefer ins Gebirg; 
    und das Auge im Fenster folgt mit dem Knabenauge, 
    das aus dem Hin und Her des Kais 
    20 immer noch still blickt, 
    dem Dampfer zur Enge, wo sich die Felsen beinah berühren 
    und wo die Kellner ein helles Sonnendach übers Deck spannen 
    für die Dame, die von der Sommergesellschaft einzig noch da ist: 
    Für den Fall, dass sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (L)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 12. Juli 1955

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern auf dem Sofa und schiebt
    die Gardinen vom Fenster zurück  
    und sieht das Schiff auf dem See, das immer wächst, bis es (an der
    Lände) anlegt, 

    und sieht die Frau, sich selbst, die auf den Steg heraustritt, 
    wo einer ihr winkt und sie hart an der Hand fasst: 
    05„Nein“ schreit sie lippenlos, tonlos und risse den Knaben mit sich aufs 
    Schiff zurück, 
    wenn er ihr nicht ans Ufer entwischte. 

    So flüchtet sie allein in die Kabine und schaut nicht hin auf den Spitz, 
    der vor ihr das Männchen macht und sich, weil man die Brücke 
    zurückzieht, ohne dass sie ihm ihr Lächeln zuwarf, 
    verärgert fallen lässt und der Prozession in die Kirche nachläuft und 
    der Orgel ins „Tantum ergo“ hineinbellt. 

    10Lieber fährt sie allein tiefer ins Gebirg; 
    und das Auge im Fenster folgt zugleich mit dem Auge des Knaben 
    dem Dampfer vom Gewimmel des Kais zur Enge, wo sich die Felsen 
    beinah berühren 
    und wo die Kellner ein Sonnendach übers Deck spannen für die Dame, 
    die von der Sommergesellschaft einzig noch da ist: 
    15Für den Fall, dass sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem (M)

    Manuskripte 1955 — Entstanden: 15. Juli 1955

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern auf dem Sofa und schiebt
    die Gardinen vom Fenster zurück
    und sieht das Schiff auf dem See, das immer wächst, bis es anlegt, 

    und sieht sich selbst, die Frau, die auf den Steg tritt, 
    wo einer ihr winkt und sie hart an der Hand fasst: 
    05"Nein" schreit sie lippenlos, tonlos und risse den Knaben mit 
    sich zurück, 
    wenn er ihr nicht ans Ufer entwischte. 

    So flüchtet sie allein in die Kabine und schaut nicht hin auf 
    den Spitz, 
    der vor ihr das Männchen macht und sich, weil man die Brücke 
    wegzieht, ohne dass sie ihm ihr Lächeln zuwarf, 
    verärgert fallen lässt und der Prozession in die Kirche nach-
    läuft und der Orgel ins Tantum Ergo hineinbellt. 

    10Lieber fährt sie allein tiefer ins Gebirg; 
    und das Auge im Fenster folgt dem Dampfer zugleich mit dem Auge 
    des Knaben 
    vom Getümmel des Kais zur Enge, wo sich die Felsen fast berühren 
    und wo die Kellner ein Sonnendach übers Deck spannen, für die Dame, 
    die einzig von der Sommergesellschaft noch da ist: 
    15Für den Fall, dass sie zur Teezeit herauskommt.

  • Requiem

    Typoskripte 1955 — Entstanden: 1955

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern auf dem Sofa und schiebt die 
    Gardinen vom Fenster zurück 
    und sieht das Schiff auf dem See, das immer wächst, bis es anlegt,

    und sieht sich selbst, die Frau, die auf den Steg tritt,
    wo einer ihr winkt und sie an der Hand fasst:
    05 "Nein" schreit sie lippenlos, tonlos und risse den Knaben mit sich
    zurück, 
    wenn er ihr nicht ans Ufer entwischte.

    So flüchtet sie allein in die Kabine und schaut nicht hin auf den
    Spitz, 
    der vor ihr das Männchen macht und sich, weil man die Brücke weg-
    zieht, ohne daß sie ihm sein Stück Zucker zuwarf,
    verärgert fallen lässt und der Prozession in die Kirche nachläuft
    und der Orgel ins Tantum Ergo hineinbellt.

    10Lieber fährt sie allein tiefer ins Gebirg;
    und das Auge im Fenster folgt dem Dampfer zugleich mit dem Auge 
    des Knaben 
    vom Getümmel des Kais zur Enge, wo sich fast berühren die Felsen 
    und wo die Kellner ein Sonnendach spannen übers Deck, für die Dame, 
    die einzig noch da ist von der Sommergesellschaft:
    15Für den Fall, dass sie zur Teezeit herauskommt.

  • REQUIEM

    Die verwandelten Schiffe 1957 — Publiziert: 1957

    Das Mädchen sitzt neben den Schwestern auf dem Sofa und
    schiebt die Gardinen vom Fenster zurück 
    und sieht das Schiff auf dem See, das immer wächst, bis es anlegt,

    und sieht sich selbst, die Frau, die auf den Steg tritt,
    wo einer ihr winkt und sie an der Hand faßt:
    05 «Nein» schreit sie lippenlos, tonlos und risse den Knaben mit sich
    zurück,
    wenn er ihr nicht ans Ufer entwischte.

    So flüchtet sie allein in die Kabine und schaut nicht hin auf den
    Spitz,
    der vor ihr das Männchen macht und sich, weil man die Brücke
    wegzieht, ohne daß sie ihm sein Stück Zucker zuwarf,
    verärgert fallen läßt und der Prozession in die Kirche nachläuft
    und der Orgel ins Tantum Ergo hineinbellt.

    10Lieber fährt sie allein tiefer ins Gebirg;
    und das Auge im Fenster folgt dem Dampfer zugleich mit dem
    Auge des Knaben
    vom Getümmel des Kais zur Enge, wo sich fast berühren die
    Felsen
    und wo die Kellner ein Sonnendach spannen übers Deck, für die
    Dame,
    die einzig noch da ist von der Sommergesellschaft:
    15Für den Fall, daß sie zur Teezeit herauskommt.