Reduktionen (Kommentar)

Ausgabe

Kartoniertes Bändchen (11.7 x 18.2 cm), starkes Papier; Druckauflage 2900 Ex.

S. (3)   Titelseite: Kuno Raeber / »Reduktionen« / Gedichte / Rogner's Edition
S. (5)   Vorwort
S. 7-19 Inhaltsverzeichnis (Inhalt) mit Seitenangaben
S. 11-111 Text
S. 113, 115, 117, 119 Buchanzeigen
S. 120  Impressum und Datum (Juni 1981)

Meist sehr kurze, einstrophige Gedichte, jedes auf separater Seite.

Gedichttext auf vorderer Umschlagseite (U1):

Worte sind Reste.
Danach weder Bäume noch Häuser.
Der Gletscher
gleißend im Schweigen.

Hintere Umschlagseite (U4): Teil des Vorwortes und biographische Daten

 redutktionen U4

Tagebucheintragung, 4.8.1980 (A-4-a/06):

Umschlagtext zu den „Reduktionen“:

Diese Gedichte sind Reduktionen, sie halten von den Gegenständen der Welt, die dem Autor jemals begegneten, nur den entscheidenden Eindruck fest, die Vision, der Klang einer Begegnung, die ihn wie ein Blitz traf. Mythos, Geschichte, Natur sind zurückgeführt auf ein paar Grundfiguren. Konzentriert und allen Beiwerks entledigt, sind sie zuweilen in ihrer Knappheit Rätselsprüchen ähnlich.

Vgl. den Entwurf für das Vorwort im Notizbuch 1965-80

Zwei weitere Entwürfe vom 3.9.1980 und 4.9.1980 finden sich auf einem separaten Blatt:

Diese Gedichte, die ersten nach einer Pause von siebzehn Jahren, sind Reduktionen. Erfahrung der Natur, der Geschichte, des Mythos, von allem Beiwerk befreit, zurückgeführt auf jähe Gesichte und Klänge, wie sie der Augenblick gibt. [3.9.80

Diese Gedichte<,> die ersten nach einer Pause von 17 Jahren<,> sind, soweit sie nicht im Gedanklichen bleiben, Reduktionen: sie halten von den Gegenständen der Welt nur die Vision, den Klang eines Augenblicks der Begegnung fest – Natur, Mythos, Geschichte sind zurückgeführt auf ein paar Grundfiguren. In ihrer Kargheit mögen sie zuweilen an Rätselsprüche erinnern.  [4.9.80

 

2 Widmungsexemplare im Nachlass (Schachtel 134) mit Zitaten aus Genügen und Winter im Sommer

Verlagssituation (vgl. die Korrespondenz, B-4-c-RED)

Am 28. April 1980 schloss Raeber einen Vertrag mit dem Erb Verlag in Düsseldorf über den Gedichtband ab. Die Rechte wurden später an den Ullstein Verlag übertragen, wo der Band im Juni 1981 in der Taschenbuchreihe "Rogner's Edition bei Ullstein" herauskam (vgl. Erb Verlag an Raeber, 12.8.1981 und Verlag Ullstein an Raeber, 8.9.1981)

Am 3.4.1984 teilt der Ullstein Verlag Raeber die Absicht mit, den Restbestand von 1760 Exemplaren "an ein Großantiquariat abzugeben und den Titel aus dem Programm zu nehmen".

Rezensionen

F.A.Z., 20.7.1981

Blick in verwunschene Gärten
Gedichte im George-Ton: Kuno Raebers „Reduktionen“

Nach langem Schweigen ist es schwer für einen Schriftsteller, wieder zu Wort zu kommen. Dies gilt besonders für den Versemacher. Als solcher hat sich einst der Schweizer Kuno Raeber – er wird im nächsten Jahr sechzig – vorgestellt. Sein letzter liegt lange zurück. Er nannte sich „Flussufer“ und stammt aus dem Jahr 1963. Erwähnt seien auch die Reiseskizzen „Calabria“ und sein Roman „Alexius unter der Treppe oder Geständnisse vor einer Katze“ (1973). Die sparsame, spröde Schreibart, das Mediterrane, die südliche Atmosphäre mag manchem in Erinnerung geblieben sein.

Der Gedichtband „Reduktionen“ wirkt wie ein Neubeginn. er ist – nach den Worten des Autors – jedenfalls als solcher gedacht. Es sollte darin um ein radikales Reduzieren der Worte gehen. Das erste Gedicht gleicht einem Motte: „Worte sind Reste. Danach / weder Bäume noch Häuser. Der Gletscher / gleißend im Schweigen.“ Der Titel des Gedichts lautet „Worte“ und spricht für die vielen anderen, eintönigen Wörter dieser wie ausgetrocknet wirkenden Sammlung kleiner, einander sehr ähnlicher Texte, die rasch wie die Wiederholung einer angestrengten Absicht erscheinen.

Seine Absicht hat Raeber kundgetan. Es soll „Nichts mehr oder nur noch Spuren von dem Mobiliar der Historie, der Mythologie und der technischen Zivilisation“ übrigbleiben. Die Spuren des früheren Lyrikers blieben aber durchaus zurück: nur um vieles verkürzter, geraffter, doch dadurch nicht lebendiger. Der Verfasser spricht davon, daß „das grammatikalische Gerüst der früheren Gedichte nicht mehr da sei“. Er läßt lediglich bestimmt Substantive und Verben, für die er eine Vorliebe hat (zum Beispiel „Grotte“) zurück. Sie sollen das andere füllen: die Leere dieser elliptoiden Gebilde, die – nach dem Wunsche Raebers – „Die Vorstellung einer Musik der schwebenden Assoziationen“ geben sollen. Das ist recht undeutlich, allenfalls ein bißchen geheimnisvoll formuliert und sagt einfach zu wenig.

Raeber beschränkt sich auf Andeutungen. Aber sie müßten brisanter sein, nicht so erlesen, so ausgesucht und apart. Seine Zeilen lassen wenig aufblitzen, das über eine gewisse Öde und mittägliche Monotonie hinausginge. Die „Grotte im Ohr“ mit ihrem etwas eintönigen Singsang und Nachhall hat etwas von exklusiver Penetranz – vermutlich beabsichtigt. Denn diese „Reste“ sind reichlich stilisiert und bekommen etwas Kryptomanes, das in der Repetition den Reiz der Einfachheit und Wesentlichkeit verliert. Im Grunde trifft das für alle Themen und Gegenstände der Gedichte zu, die ein anspruchsvolles Schweigen verbreiten – wie jener sattsam bekannte Gang ins Innere von Wahrnehmung und Geheimnis, der in deutschen Gedichten offenbar nicht verschlungen genug sein kann: „Der Gang durch die Grotten das Knirschen der Kiesel im Finstern. Wie lang schon / vergessen wie lang schon das leuchtet vergessen.“ ||

Dieses Vergessen wird vielfältig variiert. Doch im Gedächtnis stellen sich meist verwandte Bilder von jenem „Rest“-Süden ein, der in seiner Kargheit an Verständlichkeit, vor allem aber an Sinnenhaftigkeit einbüßte. Der Verlust von Sensitivität bringt den genannten Austrocknungsprozeß zustande, der die Atmosphärik mindert und das Ganze mitunter versteinert und mit jugendstilähnlichen Bildvorgängen anreichert, trocken-artifiziell wie „Unverändert verändert“: „Unverändert die Wälder die Weiher. / Unverändert die schwimmenden Rosen / die Weiher / die Wälder / unverändert. / Verändert.“ Ein trockener Stefan-George-Ton liegt in der Luft. Die Disziplinierung oder was immer hier beabsichtigt ist, wurde jedenfalls zu weit getrieben. Das Gedicht wirkt ausgeleert. Und diesem Schicksal erliegen viele der Kurzgedichte Raebers.

Abgesehen vom Vokabular, das anspruchsvoll wirkt, ist die Szenerie eher die Szenerie von hängenden und verwunschenen Gärten einer Phantasie von einst, vor vielen Jahrzehnten. Das Mini-Kunstwerk Gedicht wird überbelastet und erstarrt zu einer leeren Kunstfigur, einer Hülse, dann wieder zu einer Handvoll „Weisungen“ oder gar „strengen Geboten“, von denen bei „Winter im Sommer“ fast wieder im Ton einer George-Nachfolge die Rede ist. Die Artikulation will ich gewiß nicht „lockern“, doch sie könnte sich, bis zum Sprachlichen hin, das ältlich bleibt, etwas mehr Sensualität zumuten, ohne sich etwas zu vergeben. Der „abgeräumte Weltstoff“ ist zur südlichen Pretiose geworden, oft sehr fein, sehr kultiviert – und sehr langweilig.

KARL KROLOW

 

Neue Zürcher Zeitung, Nr. 151, 3.7.1981

Quinta Essentia
Kuno Raeber: «Reduktionen»

Hg. Die Gedichte, die Kuno Raeber in einem Sommer geschrieben hat – 1980 laut Vorwort, 1979 laut Umschlagtext –, sind das Ergebnis äusserster Konzentration und höchster Läuterung. Der Titel verspricht nicht zuviel: reduziert ist das Wortgebilde auf einen Kern, der nicht mehr zu teilen, nicht mehr zu mindern ist.

Man traut sich kaum, von Motiven zu sprechen. Landschafts-Assoziationen verweisen auf einen Grundbestand – der Ueberlieferung zwar, antikisch-biblisch; aber solch sparsam erinnertes Traditionsgut leitet die Wahrnehmung nur eben weiter zum Urstoff des Sehens und Hörens, zu den Elementen irdischen Daseins.

Bukolisch
[…]

Zum Elementar-Landschaftlichen – Grotte, Dunkel, Kälte; Wüste, Helle, Mittagsstille – treten die Hauptbewegungen, -richtungen menschlicher Existenz.

Genügen
[…]

Die Reste und Spuren von Mythologie werden unmittelbar zur Diktion des Verhaltens.

Mondlandung
[…]

In all ihrer Kürze und Kargheit bewahren die Gedichte einen durchschwingenden Rhythmus, der sich beim Lesen mehrerer Stücke tief einprägt und von dem man schliesslich die ganze Sammlung gleichmässig belebt findet. Das scheinbar Fragmentarische der einzelnen Texte hat nichts mit dem Abbröckeln, mit dem desperaten Verstummen zu tun, das in zeitgenössischer Lyrik so häufig eintritt. Vielmehr spricht sich in ihm eine grosse Sicherheit aus: Reden und Schweigen halten ein festes und feines Gleichgewicht, und aus solcher Balance gewinnt der Rhythmus seinen steten Impuls.

Fragmentarisch ist nur das Gesagte; zusammen mit dem Ungesagten, aber hörbar Mitschwingenden bildet es ein Ganzes. Und zum Ganzen finden sich Bild und Gedanke, die immer neu in federnder Spannung aufeinander bezogen sind. Die «Reduktion» führt nicht nur zu kürzester Form, sondern zugleich auf ein klassisches Mass. Raebers Gedichte gehören zum Bedeutendsten, Reifsten, was in deutscher Sprache – seit langem – entstanden ist.

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